DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 12/2017 - page 45

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12|2017
wirksamen Handlungsoptionen bewertet werden
kann. Der spezifische Nutzen wird von den um-
setzungsrelevanten Akteuren nach individuellen
Zielsystemen, mittels jeweils eigener Verfahren
und unter situativ spezifischen Prämissen bewer-
tet. Gleiches gilt für eine gesamtwirtschaftlich-
umweltökonomische Perspektive. In Summe zeigt
sich, dass der Erfolg der politischen Bemühun-
gen auf das Zusammenwirken eines weitaus viel-
schichtigeren Interessengeflechts anwirtschaftli-
chen, gesellschaftlichen und politischen Akteuren
angewiesen ist, als es im bisherigen Strategiean-
satz adressiert wird. Dies bietet die Chance, rich-
tungsweisende Anpassungen vorzunehmen und
die Sichtweisen der verschiedenen Perspektiven
– samt ihrer systemischen Abhängigkeit unterei-
nander – im Steuerungskonzept festzuschreiben.
Konkurrenz zu anderen Schutzgütern
Das gegenwärtige Steuerungskonzept steht in
Konkurrenz zu anderen Schutzgütern und Ziel-
systemen, vermag diese Konflikte jedoch nicht
abzubilden und zu berücksichtigen.
Das primärenergetisch ausgerichtete Steuerungs-
konzept steht sowohl in Konkurrenz zu anderen
Schutzgütern (insbesondere Treibhausgase, kos-
tengünstiges Wohnen) als auch zu den Zielsyste-
men umsetzungsrelevanter Akteure (Wirtschaft-
lichkeit, Bezahlbarkeit). Diese Zielkonflikte lassen
sich im gegenwärtigen Steuerungskonzept mit
den gewählten Steuerungsindikatoren nicht ab-
bilden. So kann weder eine primärenergetische
Steuerung direkt auf die Kosten zur Vermeidung
von Treibhausgasen ausgerichtet werden noch auf
die finanziellen Effekte für die umsetzungsrele-
vanten Akteure. In der Neukonzeption können die
spezifischen Ausgangssituationen der Akteure,
ihre Partikularinteressen und Zielkonflikte umfas-
send identifiziert werden, um hierauf aufbauend
eine kosteneffiziente und umsetzungseffektive
Energie- und Klimapolitik für den Gebäudesektor
zu entwickeln, bei der mit den im Ordnungsrecht
geforderten Maßnahmen für jede Perspektive ein
ausreichender Nutzen generiert wird.
Anpassungen des Steuerungssystems
Die Wärmewende erfordert ein auf Effizienz und
Effektivität ausgerichtetes Steuerungssystem,
welches konsequent kostenminimierende und
nutzenmaximierende Maßnahmen priorisiert.
Geht man davon aus, dass die Tragfähigkeit der
Kosten den Engpass der Umsetzung bildet, so
müsste sich das auch in einem auf Effizienz und
Effektivität ausgerichteten Steuerungskonzept
widerspiegeln. Umweltökonomen fordern seit lan-
gem, die Vermeidungskosten sektorübergreifend
als Steuerungsgröße der Energie- und Umweltpo-
litik heranzuziehen. Für die gebäudespezifische
Wärmewende könnte das bedeuten, dass die
bisherige Nebenbedingung der Wirtschaftlich-
keit der Energieeinsparung (§ 5 Abs. 2 EnEG)
zur Zielfunktion modelliert wird: Minimiere die
Kosten der Energieersparnis für die immobilien-
wirtschaftlichen Akteure. Das bisherige Ziel der
Erreichung eines nahezu klimaneutralen Gebäu-
debestands würde zur Nebenbedingung werden.
Es ginge damit nicht mehr allein umdie technisch
beste Lösung, sondern die kostenminimale und
mehrwertstiftende Lösungmit demZiel, dass der
Beitrag der Akteure zur Wärmewende steigt.
Geeignete Steuerungsindikatoren
Manche Steuerungsindikatoren sind für die effizi-
ente und effektive Durchsetzung der Wärmewende
besser geeignet als andere.
Zur Umsetzung der Wärmewende ist ein Indika-
tor allein nicht geeignet, um bei den gegebenen
Zielsystemen die Effektivität einer Umsetzungs-
strategie zu gewährleisten. Aus den Mindestan-
forderungen, die die verschiedenen Perspektiven
zur Ermittlung eines subjektiven Nutzwertes an
das Energieeinsparrecht haben, kristallisiert sich
heraus, dass eine Kombination aus Treibhausgas-
emissionen und Endenergie (Energieeinheitspreis)
erfolgsversprechend erscheint, umden verschie-
denen Interessen gerecht zu werden. Auf diese
Weise können die gebäudespezifischen Anforde-
rungsniveaus sowohl aus den sektorenübergrei-
fenden Kosten zu Vermeidung von Treibhausgasen
(als umweltökonomische Steuergröße) als auch
aus den Kosten des Wohnens (soziale Effekte) ab-
geleitet werden. Damit würden zwei maßgebliche
Hemmnisse der gebäudespezifischen Energie- und
Klimapolitik aufgelöst werden können.
Systemgrenzen
Die imSteuerungssystemdefinierten Systemgren-
zen wirken entscheidend auf die akteursspezifi-
sche Effizienz einzelner Maßnahmen und damit
auf die Effektivität politischer Bestrebungen.
Inwieweit eine Neukonzeption des Energieein-
sparrechts erfolgreich sein wird, hängt nicht nur
von den im Ordnungsrecht formulierten Indika-
toren und deren Anforderungsgrößen ab, sondern
auch von den politisch definierten Systemgrenzen
(sowohl horizontal =gebäude-/sektorübergreifend
als auch vertikal = phasenübergreifend). Dieser
Sachverhalt wird künftig eine immer stärkere Be-
deutung haben – u. a. deshalb, weil im Zuge der
fortschreitenden Sektorenkopplung Technologien
die Systemgrenze „Gebäude“ verlassen. Diese „Sys-
temgrenzenüberschreitung“ findet beimNutzer be-
reits statt: Stichworte sind „Power to Heat“ oder
Elektromobilität. Die Anpassung des Ordnungs-
rechts an die Energiesystemtransformation und
an die Erfordernisse der Zukunft steht noch aus,
wird jedoch intensiv diskutiert.
Abschließend ist festzustellen, dass eine Umstel-
lung der Steuerungsindikatoren erhebliche Poten-
ziale freisetzen kann. Insbesondere könnten mit
alternativen Indikatoren die energie- und klima-
politischen Anforderungen auf den subjektiven
Nutzwert und auf eine effiziente Lastenverteilung
ausgerichtet werden. Voraussetzung ist, dass die
akteursspezifische Wirtschaftlichkeit sowie die
Vermeidungskosteneffizienz im Energieeinspar-
recht berücksichtigt werden.
ImZuge der anstehenden Neukonzeption des Ord-
nungsrechts bzw. einer zusätzlichen Strategie für
den Bestand können zeitnahMaßnahmen identifi-
ziert und später flächendeckend realisiert werden,
die entweder besonders attraktiv für Eigentümer
und Mieter oder, im sektorübergreifenden Ver-
gleich, besonders vermeidungskosteneffizient
sind. Mit anderen Indikatoren ist dieWärmewende
daher keine „Rocket Science“, stattdessen wird
politischer Interessenausgleich zwischen den Ak-
teurenmöglich und die erforderlichenMarktkräf-
te zur Beschleunigung der Wärmewende können
mobilisiert werden.
Quellen:
Müller, N. D., Pfnür, A. (2017): Steuerungskonzepte zur
Umsetzung der Wärmewende im Gebäudesektor – Syste-
matisierung und Diskussion alternativer Steuerungsindika-
toren für die Energie- und Klimapolitik im Gebäudesektor.
In: Pfnür, A. (Hrsg.), Arbeitspapiere zur immobilienwirt-
schaftlichen Forschung und Praxis, Band Nr. 34, S. 1-107.
Müller, N. D., Pfnür, A. (2016): Wirtschaftlichkeitsbe-
rechnungen bei verschärften energetischen Standards
für Wohnungsneubauten aus den Perspektiven von
Eigentümern und Mietern – Methodisches Vorgehen und
Fallbeispiel. In: Pfnür, A. (Hrsg.), Arbeitspapiere zur
immobilienwirtschaftlichen Forschung und Praxis, Band
Nr. 32, S. 1-95.
Produktion
Der Lebenszyklus eines Gebäudes respektive der eingesetzten Materialien
besteht aus vier Phasen: Produktion, Errichtung, Nutzung und Verwertung
Errichtung
Nutzung
Verwertung
HORIZONTALE SYSTEMGRENZE
1...,35,36,37,38,39,40,41,42,43,44 46,47,48,49,50,51,52,53,54,55,...84
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