DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 12/2017 - page 44

ENERGIE UND TECHNIK
42
12|2017
Gutachten zur Wärmewende
Alternative Steuerungskonzepte zur effizienten Umsetzung
der Energiewende im Gebäudesektor
Die angekündigte Neukonzeption des Energieeinsparrechts für den Gebäudebestand ist eine harte Nuss.
Bislang konnte noch keine Einigung erzielt werden. Um weitere zweifellos im Gebäudesektor vorhandene
Potenziale erfolgreich zu heben, sollten die Anforderungen der Wärmewende auf die Entscheidungssitua-
tion der Akteure ausgerichtet werden. Dieser Beitrag zeigt, warum die politisch gewählten Steuerungskon-
zepte und -indikatoren sowie deren rechtliche Umsetzung dabei eine entscheidende Rolle spielen.
Einerseits steht der technischen Umsetzung der
Wärmewende im Gebäudesektor aus Sicht der
Ingenieure kaum etwas im Weg. Andererseits
verstärkt sich der Sanierungsstau in Deutschland
derzeit. Hier läuft der tradierte Politikansatz der
wellenartigen Verschärfung von Mindestanfor-
derungen in eine Sackgasse. Aus der Perspektive
der handelnden Akteure wird die Vorteilhaftig-
keit von Klimaschutzinvestitionenmit jeder Runde
der Verschärfung immer weniger plausibel. Eine
weitere Erhöhung der primärenergetischen An-
forderungen scheint als Möglichkeit der weiteren
Strategieentwicklung prinzipiell auszuscheiden
(siehe DW4/2017, S. 36 ff.). Gleichzeitig könnten
gerade imälteren Gebäudebestand zahlreiche Sa-
nierungsmaßnahmen prinzipiell für die beteiligten
Akteure auch unter wirtschaftlichen Bedingungen
durchgeführt werden.
Um die Sanierungsbreite in diese Richtung best-
möglich auszuweiten, gilt es für die Bundesre-
gierung momentan, den auf den Gebäudebe-
stand gerichteten Strategieansatz konsequent
zu erweitern, auch wenn nicht in jedem Fall die
maximal mögliche Sanierungstiefe erreicht wird.
Der Schlüssel eines solchen Ansatzes besteht in
der Nutzung von Marktkräften. Dazu sind die
politschen Maßnahmen selbst und ihre Rahmen-
bedingungen konsequent auf die Nutzen–Kosten-
Relationen der Akteure auszurichten. Eine aktuelle
Studie der Autoren imAuftrag der Bundesarbeits-
gemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland
e. V. (BID) zeigt, wie unterschiedlich Klimaschutz-
strategien aus den Perspektiven der Mieter, Ver-
mieter, Selbstnutzer, Immobiliendienstleister und
Gerätesteller, der umweltökonomischen Gesamt-
steuerung sowie aus Sicht der ingenieurtechni-
schen Maßnahme bewertet werden.
Ob der Klimaschutz erfolgreich wird, entscheidet
sich nicht in der Formulierung von technischen
Mindeststandards im Ordnungsrecht, sondern in
der Bewertung der Handlungsoptionen durch die
Akteure. Ein effektiver politischer Strategiean-
satz setzt den Stakeholdern der Wärmewende die
richtigen Anreize, damit sie anschließend auch
zuverlässig ihre Beiträge in der Umsetzung leisten.
Oft hängt dieWirtschaftlichkeit höherer energeti-
scher Standards vom Zusammenwirken mehrere
Stakeholder wie z. B. Vermieter und Mieter ab. In
solchen Fällen gilt es z. B. jenseits der rechtlichen
Regelung der Sanierungsumlage Beutegemein-
schaften strategisch anzureizen. Ein erhebliches
Potenzial für solche Beutegemeinschaften ber-
gen zukünftig Sektorkopplung und die Smart-
Building- sowie Smart-Grid-Technologien.
Für eine Ergänzung des tradierten Strategieansat-
zes gibt es bereits eine ganze Reihe an Ansätzen
wie z. B. die jüngst auf den Berliner Energietagen
vorgestellten gebäudeindividuellen Sanierungs-
fahrpläne. Grundsätzlich fehlt diesen und wei-
teren Maßnahmen der konsequente strategische
Überbau. Hier könnte eine durchgängige Orien-
tierung der Politikansätze an den Vermeidungs-
kosten und der Investitionseffizienz aus Sicht der
immobilienwirtschaftlichen Akteure sowie an der
Fördereffizienz staatlicher Mittel bei gleichzeiti-
gemAbbau der höchsten nicht monetären Hürden
zu einer erheblichen Aktivierung der Stakeholder
führen, die den Sanierungsstau zu einem erhebli-
chen Teil auflösen könnte.
Erste Ansätze liefert die aktuelle Studie zu alter-
nativen Umsetzungsstrategien der Energiewende
im Gebäudesektor, zugehöriger Steuerungsindi-
katoren sowie deren rechtlicher Umsetzung im
systemischen Kontext. Die Studie stellt die Frage,
mit welchemSteuerungskonzept respektive Steu-
erungsindikator zur Durchsetzung energie- und
klimapolitischer Ziele imGebäudesektor der Nutz-
wert für die verschiedenen Perspektiven bestmög-
lich abgebildet werden kann. Die Antworten fallen
simpel und richtungsweisend zugleich aus:
Große Komplexität
Die Komplexität im Entscheidungsfeld „Energie-
und Klimapolitik imGebäudesektor“ ist weit grö-
ßer, als es die derzeit eingesetzten Strategien und
Instrumente vermuten lassen.
So ist z. B. das gegenwärtige Steuerungskonzept
darauf ausgerichtet, die klimapolitischen Ziele
über primärenergetische Anforderungen an Ge-
bäude, die Effizienz der Gebäudehülle und über
den Einsatz erneuerbarer Energien zu erreichen.
Dieser Ansatz repräsentiert jedoch nur eine von
mehreren Perspektiven, mittels derer die Vor-
teilhaftigkeit von energetisch und klimapolitisch
Prof. Dr. Andreas Pfnür
Lehrstuhl für Immobilienwirt-
schaft und Baubetriebswirt-
schaftslehre
Technische Universität
Darmstadt
Dr. Nikolas Müller
Stiftungsprofessur Real Estate
Engineering and Management
HSBA Hamburg School
of Business Administration
Hamburg
1...,34,35,36,37,38,39,40,41,42,43 45,46,47,48,49,50,51,52,53,54,...84
Powered by FlippingBook