DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 7/2015 - page 55

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7|2015
34. Zwischenahner Gespräch
Zuwanderer: keine Bedrohung, sondern große Chance
Das Zwischenahner Gespräch des vdw Niedersachsen Bremen stellt eine
der wichtigsten sozialpolitischen Diskussionsrunden in der Wohnungs-
wirtschaft dar. Das diesjährige Treffen im April nimmt dabei einen heraus-
ragenden Platz ein. Zentrales Thema waren Herausforderungen und
Perspektiven für Deutschland als Einwanderungsland. Zu den mehr als
150 Teilnehmern sprachen Praktiker aus der Wohnungswirtschaft und
prominente Gäste wie der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff und
der Philosoph, Publizist und Anwalt Dr. Dr. Michel Friedman.
Deutschland ist Einwanderungsland und wird es noch sehr lange bleiben,
das betonte Ex-Bundespräsident Wulff. Die Politik habe die Dynamik des
Themas allerdings unterschätzt. Er hob die Notwendigkeit hervor, die
multikulturelle Vielfalt zu gestalten und als Bereicherung zu sehen. Damit
in Verbindung stehe auch das, was man mit dem Begriff der Willkommens-
kultur beschreibe, so Wulff. Denn der größte Erfolgsfaktor für gelingende
Integration sei es, die Teilhabe von Migranten zu ermöglichen. Es gelte, die
Bürger für ein Europa der Vielfalt zu begeistern – und Signale zu senden,
dass die Gesellschaft Fremde aufnehmen wolle.
Moderiert vom Bremer Migrationsexperten Dr. Stefan Luft diskutierte die
Veranstaltung die Zuwanderung im europäischen Kontext. Bezugnehmend
auf Debatten über Flüchtlingszahlen und Ressentiments in der Öffentlich-
keit mahnten der Osnabrücker Prof. Dr. Jochen Oltmer und der niederlän-
dische Soziologe Prof. Dr. Paul Scheffer eine Entdramatisierung an. Sie
wiesen auf die Notwendigkeit von Zuwanderung hin, betonten allerdings
auch die Herausforderungen: Integration verlange sowohl der aufnehmen-
den Gesellschaft als auch den Aufzunehmenden etwas ab. Scheffer stellte
bekannte Sichtweisen auf den Prüfstand und fragte, ob der geforderten
Multikulturalität nicht auch ein Bedürfnis von Konfliktvermeidung inne-
wohne, ob nicht eine Debatte über das „richtige“ Maß an Diversität und
Gemeinsamkeit geführt werden müsse.
In ein ähnliches Horn blies Michel Friedman. Er hielt den Anwesenden in
einer bewegenden Rede einen Spiegel vor. Friedman hinterfragte Begriffe
und etablierte Sichtweisen, kritisierte die darin mitunter versteckte Heu-
chelei scharf. Auch er appellierte, Einwanderung nicht als Bedrohung zu
empfinden. Er habe noch nie Angst vor der Vielfalt des Menschen gehabt,
eher vor ihrer Einfalt, betonte er provokativ. Millionen von Menschen mit
deutschem Pass hätten einen Migrationshintergrund. „Und sind die alle
integriert? Sind alle Helmut Müllers integriert?“, fragte er. Einwanderer
seien für die Zukunft der Bundesrepublik essenziell. Die Einwanderung
habe bisher im Durchschnitt dreimal so viel eingebracht, wie sie gekostet
habe. Zuwanderung stelle eine große Aufgabe für Gesellschaften dar,
die Angst auslösen könne – dies gelte aber für jede Veränderung. Jeder
Mensch, der in einen bestehenden Zusammenhang eintrete, wie der neue
Nachbar, Kollege oder zuziehende Flüchtling, sei eine Herausforderung.
Friedman forderte seine Zuhörer auf, beim Thema Einwanderung nicht
zu schweigen. Vor dem Hintergrund seiner Geschichte kritisierte er aber
auch den schnellen Ruf nach Unterstützung und Förderung. Was ein
einzelner Mensch ausrichten könne, habe Oskar Schindler bewiesen, der
seine Mutter und seinen Vater auf eine Liste setzte und ihnen mit rund
1.200 anderen Juden das Leben rettete, während der Rest seiner Familie
im Holocaust umkam. „Der Einzelne kann die Welt verändern, wenn er eine
Haltung entwickelt,“ schloss er.
Der Blick auf die wohnungswirtschaftliche Praxis machte vielschichtiges,
engagiertes und strategisches Vorgehen der Wohnungsunternehmen im
Hinblick auf die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen deutlich.
Über die Modelle der Wohnungswirtschaft bei der Unterbringung und
Integration von Flüchtlingen in den Städten und Gemeinden berichteten
InWIS-Geschäftsführer Torsten Bölting und Dr. Matthias Rasch, Geschäfts-
führer der Lübecker Wohnungsgesellschaft „Trave“.
„Die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen aus aller Welt ist weitge-
hend gelungen, aber eine in Teilen skandalisierende Berichterstattung ver-
sucht, ein anderes Bild zu zeichnen. Die Wohnungswirtschaft ist geborener
Partner der Kommunen bei der Unterbringung, Betreuung und Integration
von Flüchtlingen“, betonte vdw-Verbandsdirektor Heiner Pott. Dieses
Aufgabenpaket wird in den nächsten Jahren die Arbeit von Wohnungsge-
sellschaften und von Genossenschaften in großem Maße prägen – auch das
ist eine der zentralen Botschaften des Zwischenahner Gesprächs.
Weitere Informationen:
ng
Energie und Technik
Rechtssprechung
Haufe Gruppe
Markt undManagement
Dr. Dr. Michel Friedman (li.) und vdw-Verbandsratsvorsitzender Rüdiger Warnke
Quelle: vdw Niedersachsen Bremen
Bundespräsident a. D. Christian Wulff und vdw-Verbandsdirektor Heiner Pott
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