DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 7/2015 - page 41

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die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf
einer anderen Konferenz. Die Kommunale Woh-
nungsgesellschaft Erfurt (Kowo) hat das For-
schungs- und Pilotprojekt „Bauen mit Weitblick“
initiiert, das im Rahmen der IBA Thüringen auf-
zeigen soll, wie sich preisgünstiger Geschosswoh-
nungsbau entwickeln lässt.
GdW-Hauptgeschäftsführerin Ingeborg Esser
betont: „Wir können die Wohnungsknappheit in
Ballungsräumen nur durch Strategien bekämp-
fen, die zumehr Neubau inmittleren und unteren
Preissegmenten führen.“
Antworten aus Wien
Wie aber können diese Strategien aussehen? Ant-
worten auf diese Frage kann Wien deshalb ge-
ben, weil die österreichische Hauptstadt seit den
Gemeindebauten der 1920er Jahre (etwa dem
berühmten Karl-Marx-Hof) über eine fast durch-
gehende Tradition des günstigen Wohnungsbaus
verfügt. Allerdings bauen die Stadt und ihr Woh-
nungsunternehmen, dieWienerWohnen, seit 2004
nichtmehr selberWohnungen. Dafür hat die Kom-
mune ein System entwickelt, das es gemeinnüt-
zigen Bauträgern (in Österreich gilt nach wie vor
das Wohngemeinnützigkeitsgesetz) ermöglicht,
geförderten Wohnungsbau zu realisieren.
Eine zentrale Rolle spielt dabei der Wohnfonds
Wien. Er verwaltet und vergibt die gewaltigen
Grundstücksreserven der Stadt, die derzeit knapp
2,3 Mio. m
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betragen. Größere Wohnungsbau-
grundstücke werden dabei im Rahmen von sog.
Bauträgerwettbewerben zumFestpreis vergeben.
Dabei bewerben sich Projektentwickler gemein-
sammit Architekten. „Entschiedenwird nach dem
Vier-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit“, sagt Die-
ter Groschopf, stellvertretender Geschäftsführer
des Wohnfonds Wien. Berücksichtigt werden also
die ökonomische, die ökologische, die soziale und
die architektonische Qualität. Die Mieten der so
entstehendenWohnungen sind detailliert festge-
legt und liegen in der Regel bei rund 7,50 €/m
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bruttokalt (also inklusive der kalten Nebenkosten,
aber ohne Heizung und Warmwasser).
Keine Angst vor Dichte
Mit welchen architektonischenMitteln die Planer
arbeiten, verdeutlichen der Berliner Delegation die
beiden Wiener Architekten Oliver Scheifinger
lichkeiten, die Baukosten zu senken. Ein Beispiel:
Die Architekten in Wien erschließen wesentlich
mehr Wohnungen über ein Treppenhaus, als das
bei uns der Fall ist, und arbeiten auchmit Lauben-
gängen. Das reduziert die Treppenhausflächen,
erhöht den Anteil der vermietbaren Fläche und
trägt so wesentlich zur Kostensenkung bei.
Würden solche Lösungen auch in
Deutschland auf Akzeptanz stoßen?
Das ist eine berechtigte Frage. Was wir tun, muss
ja letztlich unseren Kunden gefallen. Der Lau-
bengang hat bei uns tatsächlich ein Imageprob-
lem. Wir werden jetzt aber bei einem Neubau in
unserem Quartier Mariengrün im Süden Berlins
erstmals Fünf- und Sechsspänner realisieren. Falls
wir feststellen sollten, dass das von den Mietin-
teressenten nicht akzeptiert wird, müssten wir
natürlich darauf reagieren. Ich bin aber überzeugt,
dass es möglich ist, kostengünstige und trotzdem
hochwertige Lösungen zu finden.
Welche weiteren Möglichkeiten sehen Sie,
um die Baukosten zu senken?
Z. B. den Verzicht auf Keller. Grundsätzlich ha-
benwir für uns vier Parameter formuliert. Erstens
wollen wir das Verhältnis zwischen bebauter und
unbebauter Fläche so gestalten, dass das Grund-
stück möglichst gut ausgenutzt wird. Zweitens
wollen wir den Anteil der vermietbaren Fläche
an der Geschossfläche möglichst hoch halten.
Drittens prüfen wir das Verhältnis zwischen Glas
und Stein in der Fassade, arbeiten also mit op-
timierten Fensterflächen. Viertens verzichten
wir weitgehend auf Vor- und Rücksprünge in der
Fassade und streben kompakte, gut nutzbare und
funktionale Baukörper sowie Grundrisse an.
Bei welchen Baukosten könnten Sie auf diese
Weise landen?
Ziel ist, die reinen Baukosten auf ca. 1.400 €/m
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zu drücken. Hinzu kommen die Baunebenkosten.
Diese sollen nicht mehr als 15%betragen, was wir
dadurch erreichen, dass wir die Planungsleistun-
gen innerhalb unseres Unternehmens erbringen.
Zusammen mit den Grundstückskosten sollten
wir so bei Gesamtkosten von 1.800 - 1.900 €/m
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landen. ZumVergleich: Wennwir in Berlin Projekt-
entwicklungen aufkaufen, dürfen diese nach den
Vorgaben des Senatsmaximal 2.500 €/m
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kosten.
Die Reduktion kommt letztlich denMietern zugute.
Manche Kritiker monieren, auf diese Weise
entstehe Billigarchitektur, ja sogar der
Leerstand von morgen. Was entgegnen Sie?
Diese Gefahr sehe ich nicht. Günstig heißt nicht
schlecht, sondern gut und effektiv geplant und
ausgeführt. Und wir bauen ja nicht auf der grünen
Wiese, sondern in gewachsenen Quartieren, in de-
nen auch künftig dieNachfrage gegeben seinwird.
Frau Jahn, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christian Hunziker.
Wohnungsbau in ganz großem Stil: In der Seestadt Aspern im 22. Wiener Bezirk entsteht
nicht nur ein See, sondern auch ein Wohngebiet mit 10.500 Einheiten
Quelle: Luiza Puiu
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