Controller Magazin 6/2016 - page 24

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mit vertretbarem Aufwand umgesetzt werden
können und vor allem Akzeptanz und Verständ-
nis finden. Haben wir es bei zahlreichen Kenn-
zahlen mit einem natürlichen Spannungsver-
hältnis zwischen dem „betriebswirtschaftlichen
Soll“ und dem „praktischen Können“ zu tun?
Sandt:
Ein klares „Jein“. Hier sollte man unter-
scheiden, ob man Kennzahlen für eine
Ent-
scheidungsunterstützung oder die Verhal-
tenssteuerung
einsetzen möchte. Für die Ent-
scheidungsunterstützung (einiger, weniger,
i. d. R. gut ausgebildeter Führungskräfte) kann
man sich auf komplexere Kennzahlen fokussie-
ren. Wollen Sie Verhalten steuern, sind viele
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen. Sie
müssen die wesentliche Finanz-Kennzahl (zu-
mindest einigermaßen) nachvollziehen können.
Biel:
Bitte veranschaulichen Sie diese These
mit einem Beispiel.
Sandt:
Ja, gerne. „Umsatzerlöse“ ist die am
besten nachvollziehbare Finanzkennzahl, aber
nicht ausreichend umfassend als Periodener-
gebnisgröße. Dem gegenüber ist der CVA eine
umfassende Ergebnisgröße, aber komplex und
schwer verständlich. Welche/r Nicht-Finanz-
Manager/-in kann seinen/ihren Mitarbeitern
und Mitarbeiterinnen den CVA erklären und de-
ren Elemente und Stellhebel? Es gilt, die beiden
Anforderungen – einerseits Verständlichkeit
und andererseits Eignung als (finanzieller) Leis-
tungsindikator – auszubalancieren.
Biel:
Gibt es hierzu eine „goldene Regel“ oder
gilt „es kommt darauf an“?
Sandt:
Dabei ist es durchaus möglich, dass die
einzelnen Unternehmen, bezogen auf ihr kon-
kretes Geschäft, diese beiden Gegenpositionen
unterschiedlich ausgleichen. Es gibt aus meiner
Sicht kaum ein Patentrezept, aber es ist klar,
dass eine reine Steuerung nach Umsatzerlösen
nicht zielführend ist, Margen vernachlässigen
die Kapitaleffizienz. Eine Finanzkennzahl sollte
die drei wesentlichen, generischen Stellhebel
Umsatzwachstum, Kosten- und Kapitaleffizienz
umfassen sowie risikoadjustierte Kapitalkos-
tensätze berücksichtigen.
Biel:
Offenbar geht es zum einen um den be-
triebswirtschaftlichen Anspruch an die Aussa-
lungen, z. B. mit den Piloten und deren Berufs-
verband Vereinigung Cockpit. Haben Manage-
ment und Arbeitnehmervertreter das gleiche
Verständnis von der Profitabilität der Gruppe?
Im Jahr 2014, in dem es zu Streiks der Piloten
kam, erwirtschaftete der Lufthansa-Konzern
ein EBIT von 1 Mrd. € – auf den ersten Blick
scheinbar nicht schlecht. In der umfassenderen
und aussagekräftigeren Ergebniskennzahl
EACC (
Earnings after Costs of Capital
) sieht es
anders aus: -223 Mio. € (siehe Abbildung 1).
Auch im Vorjahr 2013 erzielte die Lufthansa bei
einem positiven EBIT von 936 Mio. € einen ne-
gativen EACC in Höhe von -338 Mio. €. Ist das
den Arbeitnehmern so bewusst?
Biel:
Ist das CVA-Konzept in der Praxis noch
vertreten?
Sandt:
Der
Bayer-Konzern
das einzige HDAX-
Unternehmen, das noch ein CVA-Konzept an-
wendet. Fast alle deutschen Unternehmen, die
ein wertorientiertes Konzept nutzen, entschei-
den sich gegen ein CVA-Konzept. Selbst die
(bisher zu 31%) abgespaltene Kunststoffsparte
– im Oktober 2015 unter dem Namen Covestro
börsennotiert und wenige Zeit später bereits in
den MDAX-aufgestiegen – hat nicht das vorher
angewendete Bayer-CVA-Konzept weiterge-
führt, sondern ein Wertbeitragskonzept einge-
führt.
Biel:
Bitte lassen Sie einfügen, dass Convest-
ro für die gelungene Umstellung des Control-
lings anlässlich des Börsengangs mit dem
ControllerPeis 2016 durch den Internatio-
nalen Controller Verein
ausgezeichnet wur-
de. „So wurde ein sehr ausgewogenes Ver-
hältnis zwischen kurzfristig-pragmatischen
Lösungen des IPO-Prozesses und einer ganz-
heitlich visionären Gestaltung der langfristigen
Steuerungs- und Controlling-Landschaft im
Unternehmen hergestellt“, wie es u. a. in der
Begründung heißt.
Biel:
Steht hinter ihren Ausführungen ein grund-
sätzliches Problem, das Controllerinnen und
Controllern immer wieder begegnet? Betriebs-
wirtschaftliche Konzepte, u. a. auch Kennzah-
len, sollen betriebswirtschaftlich „richtig und
korrekt“, dem Stand betriebswirtschaftlicher
Kenntnisse und Erkenntnisse gerecht werden.
Sie müssen aber auch praxistauglich sein, d. h.
fung beziehende Finanzkennzahl, die aber ver-
gleichsweise schwer verständlich ist.
Biel:
Wir beobachten unterschiedliche Konzepte
und Kennzahlen, aber auch Umstellungen und
Veränderungen der Unternehmen hinsichtlich
ihrer wertorientierten Kennzahlen. Wie können
wir diese Beobachtung einordnen?
Sandt:
Es ist richtig, dass Umstellungen und
Anpassungen festzustellen sind.
Biel:
Welche Gründe tragen diese Verände-
rungen?
Sandt:
Begründet werden diese Umwandlun-
gen meisten mit der
Problematik der Ver-
ständlichkeit
der jeweiligen Kennzahlen.
Biel:
Können Sie uns diese Feststellung mit ei-
nem praktischen Beispiel veranschaulichen?
Sandt:
Nehmen wir den Fall der
Deutschen Te-
lekom
. Dort hieß es, das Problem mit dem EVA
sei gewesen, dass man dieses Konzept nicht
oder nur schwer im ganzen Unternehmen habe
vermitteln können. Aus diesem Grunde habe
man sich letztlich auf eine besser verständliche
Kennzahl geeignet, die Gesamtkapitalrendite.
Und der Return on Capital Employed – kurz
ROCE – ist ja nichts anderes als die Gesamtka-
pital-Rendite (Interview mit Timotheus Höttges,
damals CFO Deutsche Telekom AG, heutiger
CEO, ZfCM, 55. Jg (2011), Heft 5, S. 291).
Biel:
Können Sie uns diese Thematik mit einem
weiteren Unternehmensbeispiel vertiefen und
verdeutlichen?
Sandt:
Nehmen wir die Lufthansa. Sie hat
2015 das CVA-Konzept durch ein Wertbei-
tragskonzept ersetzt („The new metric is more
transparent, easier to handle and can be fully
integrated in the system of key performance in-
dicators for value-based management. … This
new metric is less complicated to calculate and
therefore easier for all stakeholders to under-
stand.“ Lufthansa Annual Report 2014, S. 31).
Gerade im Lufthansa-Konzern ist die Frage
nach Wertschaffung und deren Nachvollzieh-
barkeit nicht nur für die Eigentümer, sondern
selbstverständlich auch für die Mitarbeiter von
Interesse. Denken Sie nur an die Tarifverhand-
Interview zum Thema: Unternehmenssteuerung mit Kennzahlen – eine „Dauerbaustelle“?
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