Personalmagazin 8/2018 - page 43

Übrigens braucht es nicht unbedingt Modelle wie Netzwerk­
organisation oder Holacracy. Hierarchien und selbstorganisier­
tes Arbeiten sind per se kein Widerspruch. Selbstorganisiertes
Arbeiten kann auch in Strukturen mit hierarchischer Führung
funktionieren. Jede Führungskraft muss für sich entscheiden,
welcher Grad an selbstorganisiertem und eigenverantwortlichem
Arbeiten für ihren Bereich geeignet ist.
Fünf Handlungsfelder weisen den Weg zur
Selbstorganisation
Wie bei anderen Veränderungen in der Arbeitsweise auch,
kommt es bei der Einführung von selbstorganisiertem Arbei­
ten schnell zur Überforderung, wenn es plötzlich an Strukturen,
Orientierung und generell Führung mangelt und gleichzeitig
die Mitarbeiterkompetenzen, um die Freiräume zu füllen, noch
nicht ausreichend ausgeprägt sind. Unser Modell mit fünf Hand­
lungsfeldern, das wir im Folgenden vorstellen, hilft dabei, von
Anfang an in den „Korridor der gelungenen Entwicklung“ (siehe
Abbildung auf der folgenden Seite) zu gelangen.
1. Sinn und Zweck
In selbstorganisierten Teams wird von Mitarbeitern mehr ver­
langt, als „einfach nur ihre Arbeit zu machen” im Sinne von
Anweisungen befolgen, ohne viel nachzudenken. Sie sollen
Verantwortung für das große Ganze übernehmen und Entschei­
dungen im Sinne des Teams/der Organisation treffen. Das ist viel
verlangt und wird von Mitarbeitern nur dann geleistet, wenn das
Handeln insgesamt als sinnvoll und zweckdienlich erachtet wird.
Die Motivationsgrundlage verschiebt sich von der Führungskraft
Drei Stufen der Selbstorganisation
Die heutige Wirtschaftswelt zeichnet sich durch einen stän­
digen und gleichzeitig unvorhersehbaren Wandel aus. Orga­
nisationen sehen sich einer hohen Dynamik und Komplexität
ausgesetzt. Während es immer weniger Situationen mit klaren
Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen gibt, nehmen komplexe
bis chaotische Situationen zu, die mehr Ausnahmen und weniger
Routinen erfordern. Dave Snowden stellt dies mit seinem Cyne­
fin-Modell treffend dar. Das Modell unterscheidet vier Domänen
von Problemstellungen: einfach (simple), kompliziert (compli­
cated), komplex (complex) und chaotisch (chaotic). Während
einfache und komplizierte Probleme mit klassischen Methoden
des Projektmanagements zu lösen sind, ist das für komplexe
und chaotische Situationen nicht mehr möglich. Organisatio­
nen reagieren auf diese Umstände mit dem Ruf nach Agilität,
veränderter Führung und einer Flexibilisierung der Strukturen.
In all diesen Vorhaben schwingt die Forderung nach deutlich
eigenverantwortlicherem und selbstorganisiertem Arbeiten mit.
Fachzeitschriften und Internet sind voll mit Unternehmens­
beispielen, die zeigen, wie diese ihre Organisation agil aufgestellt
haben und deren Mitarbeiter und Teams jetzt selbstorganisiert
arbeiten. In unserer Beratungspraxis erleben wir immer wieder,
dass Unternehmen und Teams versuchen, solche Beispiele der
Selbstorganisation aus anderen Unternehmen bei sich einzufüh­
ren, hierbei jedoch recht schnell scheitern. Als Antwort darauf
haben wir ein Modell entwickelt, das auf die Voraussetzungen
für selbstorganisiertes Arbeiten schaut und anhand dessen Un­
ternehmen analysieren können, inwieweit sie überhaupt schon
bereit für Selbstorganisation sind.
Doch was bedeutet Selbstorganisation eigentlich konkret? Die
Abbildung rechts oben zeigt drei Stufen des selbstorganisierten
Arbeitens. Auf der niedrigsten Stufe entscheiden die Teammit­
glieder eigenständig, wie sie ihre Arbeit am besten erledigen.
Auf der zweiten Stufe entscheiden sie zusätzlich auch über
die Güte der Arbeitsinhalte, setzen also eigene Standards und
kontrollieren sich selbst. Auf der dritten Stufe agiert das Team
eigenständig unternehmerisch und entscheidet über die eigenen
Arbeitsinhalte, Ziele und Art der Bearbeitung. Auf dieser Stufe
sind die Führungsrollen flexibel auf verschiedene Personen
aufgeteilt. Je nach Unternehmens- oder Teamkontext ist eine
andere Stufe der Selbstorganisation passend. Die entscheiden­
de Frage lautet daher: Wie viel Selbstorganisation ist für ein
Unternehmen verkraftbar und wie viel Selbstorganisation ist
überhaupt notwendig?
Wie viel Selbstorganisation passt zu uns?
In welchen Fällen Selbstorganisation hilfreich und in welchen
eher weniger hilfreich ist, zeigt der sogenannte Haufe-Qua­
drant (Abbildung Seite 46). Wenn zum Beispiel von Mitarbeitern
hauptsächlich die Umsetzung feststehender Aufgaben nach
klaren Routinen gefordert wird, ist eine eher klassisch geführte
Organisationsform per Weisung und Kontrolle gut geeignet. Zu
große Freiräume und Selbstorganisation könnten zu einer Über­
lastung der Organisation führen. Gleichzeitig führt eine zu straffe
Steuerung von Mitarbeitern, die eigentlich gestalterisch tätig
sein sollen, dazu, dass eine Art Schattenorganisation entsteht
und Mitarbeiter mühsam versuchen, um das System herum zu
arbeiten. Hier würde eine erhöhte Selbstorganisation ein agiles
und effizientes Netzwerk ermöglichen.
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Stufe 1
Die Teammitglieder entscheiden
eigenständig, wie sie ihre Arbeit am
besten erledigen.
Stufe 2
Die Teammitglieder entscheiden zu-
sätzlich auch über die Güte der Arbeits­
inhalte, setzen also eigene Standards
und kontrollieren sich selbst.
Stufe 3
Das Team agiert eigenständig
unternehmerisch. Führungsrol-
len sind flexibel auf verschiede-
ne Personen aufgeteilt.
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