Fiktion der Erfüllung der Schutzpflichten
nach § 12 Abs. 1 AGG. Ob damit auch eine
Enthaftung hinsichtlich möglicher Scha-
denersatzansprüche betroffener Arbeit-
nehmer einhergeht, ist freilich lebhaft
umstritten. Nicht anzunehmen ist jedoch,
dass eine Verletzung der Pflicht aus § 12
AGG selbst eine Benachteiligung mit ent-
sprechender Entschädigungspflicht nach
§ 15 AGG darstellt.
#5 Was tun, wenn es zur
sexuellen Belästigung im
Betrieb kommt?
Nicht nur die Fürsorgepflicht gebietet
es dem Arbeitgeber, bei (sexuellen) Be-
lästigungen oder sonstigen Benachteili-
gungen entschieden zu reagieren. Dies
gilt sowohl bei Benachteiligungen durch
eigene Mitarbeiter als auch bei Benach-
teiligungen durch betriebsfremde Dritte
(Dienstleister, Kunden, Lieferanten etc.).
Die Voraussetzung ist jedoch immer ein
betrieblicher Bezug. Denn der belästigte
Mitarbeiter kann nicht nur vom Arbeit-
geber verlangen, die Störung zu beseiti-
gen. Vielmehr kann er unter Umständen
auch Schadensersatzansprüche geltend
machen oder nach § 14 AGG sogar seine
Arbeitsleistung verweigern.
Verstoßen Beschäftigte gegen das Be-
nachteiligungsverbot, sehen § 12 Abs. 2
und Abs. 3 AGG repressive Maßnahmen
wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung
oder Kündigung vor. Dabei ist die Auswahl
der Mittel von der Schwere des einzelnen
Verstoßes abhängig. Bei sehr leichten
Verstößen kommt auch „lediglich“ eine
Ermahnung in Betracht, wohingegen bei
schwerwiegenden Verstößen auch eine
Kündigung ohne vorhergehende Abmah-
nung verhältnismäßig sein kann.
#6 Welche Maßnahme ist
die richtige?
Der Katalog des § 12 Abs. 3 und 4 AGG
baut die Sanktionsinstrumente nach
Schwere eines Verstoßes aufeinander auf:
Abmahnung, Umsetzung, Versetzung und
Kündigung als letztes Mittel (Ultima Ra-
tio). Bei der Auswahl des angemessenen
Sanktionsinstruments muss der Arbeit-
geber zunächst – wie bei sämtlichen ar-
beitsrechtlich relevanten Pflichtverstößen
– entscheiden, ob der betroffene Arbeit-
nehmer sein Verhalten steuern kann. Es
bedarf also einer Antwort darauf, ob es
dem Mitarbeiter grundsätzlich möglich
ist, sein Verhalten in Zukunft anzupassen.
Hierbei bietet die Reaktion des Mitar-
beiters auf den konkreten Vorwurf eine
Orientierungshilfe. Sieht er seine Ver-
fehlung ein, zeigt Anzeichen von Scham
und/oder Reue oder beruft er sich auf
ein „Augenblicksversagen“, so kann eine
Abmahnung wahrscheinlich die ihr in-
newohnende Warnfunktion erfüllen. Bei
Mitarbeitern, die schlicht leugnen oder
den Vorfall bagatellisieren, dürfte dies
weit weniger wahrscheinlich sein. In Fäl-
len, in denen ein Mitarbeiter einen (in-
soweit als unstreitig unterstellten) Sach-
verhalt wider jegliche Vernunft leugnet
oder verharmlost, sollte der Arbeitgeber
an Stelle einer Abmahnung über weiter-
gehende arbeitsrechtliche Mittel – wie
Umsetzung, Versetzung oder Kündigung
– nachdenken. Eine Kündigung wird in
der Regel jedoch erst dann ausgesprochen
werden können, wenn die milderen Mittel
die Störung nicht beseitigen konnten.
#7 Welche Rechte haben
Betriebsrat und Gewerkschaft
bei untätigen Arbeitgebern?
Der Betriebsrat und die Gewerkschaft
haben nach § 17 Abs. 2 AGG die Möglich-
keit, gegen einen untätigen Arbeitgeber
gerichtlich vorzugehen. Sie können beim
Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeit-
geber aufzugeben, eine Handlung vorzu-
nehmen, § 17 Abs. 2 AGG in Verbindung
mit § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Auf das
tatsächliche Vorhandensein eines Be-
triebsrats kommt es für die Rechte einer
Gewerkschaft nicht an, solange der be-
troffene Betrieb nur eine betriebsratsfä-
hige Größe aufweist.
#8 Hat eine sexuelle
Belästigung am Arbeitsplatz
auch strafrechtliche Folgen?
In Urteilen, die die sexuelle Belästigung
am Arbeitsplatz behandeln, wurde in der
jüngeren Vergangenheit zwar oft die Ver-
letzung der Würde anerkannt. Meistens
genügte den Richtern jedoch das jeweilige
Verhalten der Täter nicht, um eine wirk-
same Strafe auszusprechen. Belästigungs-
handlungen dieser Art sind bislang also
oft verharmlost worden.
Arbeitsrechtliche Tatsache ist aber
auch: Durch das AGG sind solche Beläs-
tigungshandlungen immer unzulässig
und müssen vom Arbeitgeber unterbun-
den werden. Ebenso wurde Ende 2016
die sexuelle Belästigung, also auch eine
solche am Arbeitsplatz, in § 184i Abs. 1
Strafgesetzbuch als neuer Tatbestand wie
folgt präzisiert: „Wer eine andere Person
in sexuell bestimmter Weise körperlich
berührt und dadurch belästigt, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder
mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die
Tat in anderen Vorschriften mit schwe-
rerer Strafe bedroht ist.“
Durch diese Anpassung im Gesetz
steigt künftig die Wahrscheinlichkeit,
dass die sexuelle Belästigung am Arbeits-
platz eine Strafe nach sich zieht – zumin-
dest, wenn es um Berührungen geht. Die
aktuelle #MeToo-Debatte wird in diesem
Kontext sicherlich ebenso ihren Beitrag
dazu leisten, dass eine sexuelle Belästi-
gung am Arbeitsplatz auch strafrechtlich
von den Gerichten nicht mehr nur als
„Kavaliersdelikt“ abgehandelt wird.
#9 Was bleibt rechtlich
von #MeToo?
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist
– trotz der aktuellen #MeToo-Debatte –
nach wie vor ein unbequemes Thema in
deutschen Unternehmen. Die Mehrzahl
tabuisiert es unverändert. Angesichts der
enormen Resonanz in der Öffentlichkeit
ist den verantwortlichen Unternehmens-
leitern und Personalern jedoch dringend
zu empfehlen, sich mit der Frage „Wie
gehe ich eigentlich mit sexueller Belästi-
gung im Betrieb um?“ genauer zu befas-
sen. Insbesondere sollten sie die mögli-
cherweise bereits installierten Abläufe
und Präventionsmechanismen auf den
Prüfstand stellen.
DR. NINA BOGENSCHÜTZ ist Fach
anwältin für Arbeitsrecht und Partnerin
bei AC Tischendorf in Frankfurt a.M.
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Sexuelle Belästigung