Das französische Gesetz befasst sich mit
„moralischer Belästigung“, wenn sie wie-
derholt auftritt und zu einer Verschlech-
terung der Arbeitsbedingungen führt,
die „die Rechte und Würde des Opfers,
die körperliche oder geistige Gesundheit
verletzen oder seine berufliche Laufbahn
beeinträchtigen“. Das Allgemeine Gleich-
behandlungsgesetz (AGG) in Deutschland
spricht von sexueller Belästigung, wenn
„[...] ein unerwünschtes, sexuell bestimm-
tes Verhalten, wozu auch unerwünschte
sexuelle Handlungen und Aufforderun-
gen zu diesen, sexuell bestimmte kör-
perliche Berührungen, Bemerkungen
sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes
Zeigen und sichtbares Anbringen von
pornografischen Darstellungen gehören,
bezweckt oder bewirkt, dass die Würde
der betreffenden Person verletzt wird,
insbesondere wenn ein von Einschüchte-
rungen, Anfeindungen, Erniedrigungen,
Entwürdigungen oder Beleidigungen ge-
kennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“
Den Definitionen ist eines gemeinsam:
Sie verknüpfen Belästigung mit Einwil-
ligung, Würde und einem gesunden Ar-
beitsumfeld – selbst wenn je nach Kultur,
Tradition und sozialer Wahrnehmungen
die Schwelle zwischen Belästigung und
einem ansonsten völlig akzeptablen und
einvernehmlichen Verhalten anders emp-
funden wird.
#MeToo bringt das Kartell des
Schweigens zum Einsturz
Völlig unabhängig vom kulturellen Hin-
tergrund oder der sozialen Wahrnehmung
ist es für Opfer fast überall kaummöglich,
das Schweigen rund um das geschehene
Unrecht zu durchbrechen. Das Schwei-
gen arbeitet gegen sie. Das beginnt da-
mit, dass die Opfer erst einmal aus der
eigenen Sprachlosigkeit herausfinden
müssen und endet häufig mit Geheim-
haltungsvereinbarungen, die Unterneh-
men Opfern sexueller Belästigung zur
Unterschrift vorlegen, damit der Vorfall
nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Kein
Wunder, dass mehr als ein Drittel der Op-
fer sich entschließt, das Erlebte für sich
zu behalten.
Dies könnte sich allerdings bald än-
dern. Wie die italienische Schauspiele-
rin und Aktivistin Asia Argento in ihrer
erschütternden Rede vor dem Europä-
ischen Parlament im März 2018 sagte:
„Wegen #MeToo, dieses weltweiten Phä-
nomens in den sozialen Medien, hat jetzt
jede Frau eine Stimme, jede Frau hat die
Chance, ihre Wahrheit zu berichten und
gehört zu werden.“ In Frankreich bei-
spielsweise gingen schon im Oktober
2017 bei den Behörden 30 Prozent mehr
Meldungen zu Vergewaltigungen, sexu-
ellen Übergriffen und Belästigungen ein
als im Vorjahr.
Diese Entwicklung wird auch Unter-
nehmen erfassen. Viele Personalmanager
sind allerdings immer noch der Auffas-
sung, dass sie sexuelle Belästigung wie
jedes andere Disziplinarvergehen behan-
deln können. Sie liegen falsch. Tatsäch-
lich kann der Schweigekodex nur dann
gebrochen werden, wenn das Opfer über-
zeugt ist, dass seine Aussage ernst ge-
nommen und vollständig vertraulich be-
handelt wird. Beides kann nur durch ein
dezidiertes Verfahren sichergestellt wer-
den, das sich von dem üblichen Vorgehen
bei Disziplinarvergehen unterscheidet.
Darüber hinaus sollte eine Ombudsper-
son hinzugezogen werden, die sich der
Angelegenheit annimmt. Doch Vorsicht:
Das Verfahren darf dem Opfer niemals
das Recht verwehren, sich an Polizei oder
Gericht zu wenden. Dieses Recht bleibt
dem Opfer während des gesamten Ver-
fahrens vorbehalten und darüber sollte
es auch informiert sein.
Das Vorgehen ist
entscheidend
Sexuelle Belästigung hat viele Gesichter:
Witze, sexuell suggestive Gesten, anzüg-
liche Blicke oder physische Übergriffe.
Bei einer solchen Bandbreite kann es für
Personalverantwortliche schwierig wer-
den, einen entsprechenden Vorfall zu
untersuchen. Und offenkundig fehlt es
an allgemein verbindlichen Regelungen.
Unstrittig bleibt allerdings: Die Integrität
des Verfahrens ist entscheidend dafür,
dass ein gutes Ergebnis zustande kommt.
#MeToo hat Unternehmen und ihren
Umgang mit sexueller Belästigung ins
Rampenlicht geholt. Nun müssen sie auf-
zeigen können, dass gegen alle Nuancen
von sexueller Belästigung hart durchge-
griffen wird und die damit verbundenen
Kosten tragen. Für Personalverantwortli-
che bedeutet das, dass sie nicht früh ge-
nug damit anfangen können, die tägli-
chen Gepflogenheiten im Unternehmen
genauer zu betrachten. Sonst kann es
teuer werden.
Infolge von
#MeToo stehen
Unternehmen
nun im Rampen
licht. Doch
immer noch
meinen viele
Personalmanager,
dass sie sexuelle
Belästigung wie
jedes andere
Disziplinarver
gehen behandeln
können.
PROF. DR. MATTEO WINKLER
lehrt und forscht an der HEC Business
School Paris.
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Sexuelle Belästigung