Höhe der Zahlungen für Vergleiche oder
"Stillhalteabkommen"
veröffentlicht
werden müssten, entstünde schnell ein
informelles Unternehmensranking. Be-
werber könnten bei Unternehmen, die
häufig hohe Wiedergutmachungen zah-
len, leicht erahnen, welches Arbeitskli-
ma dort herrscht. Umgekehrt wären Un-
ternehmen, in denen solche Fälle nicht
vorkommen, bei der Akquise gefragter
Fachkräfte im Vorteil.
Allerdings dürfte eine solche Offen-
legungspolitik im Widerspruch zu den
Geheimhaltungsvereinbarungen stehen,
die bei der Beilegung von Fällen sexueller
Belästigung gewöhnlich unterzeichnet
werden. Unternehmen, die angeben, wie
viel sie für einen Vergleich gezahlt haben,
müssen also ihre Geheimhaltungsverein-
barungen entsprechend ändern.
Zu bedenken gilt auch: Die offenge-
legten Ausgaben und Zahlungen zeigen
bei weitem nicht alle Folgekosten. Diese
unbehelligt geblieben sein kann. Sie ver-
deutlicht, dass bestehende Gesetze offen-
bar kaumWirkung zeigen, die Prävention
von sexueller Belästigung also eher eine
Frage der Kultur ist als eine Frage der
Rechtsprechung.
Es bewegt sich etwas
Sexuelle Belästigung sei „ein allgegenwär-
tiges, chronisches Problem, das dauer-
haften psychischen Schaden verursachen
kann“, betonte die American Psychologi-
cal Association 2017. Deshalb muss jede
Veränderung am Arbeitsplatz beginnen.
Die Debatte in der Arbeitswelt gewinnt
an Fahrt.
• Bereits 2015 hat eine unabhängige
Expertenkommission der Bundes-An-
tidiskriminierungsstelle einen Bericht
mit Handlungsempfehlungen für Un-
ternehmen veröffentlicht.
• HR Dive, ein renommierter Blog für
Personalverantwortliche, führte unter
den „HR Trends 2018“ erstmalig auch
den Punkt „Bekämpfung sexueller Be-
lästigung am Arbeitsplatz“ an.
• Das Freiburger Institut für Arbeitswis-
senschaften misst 2018 in seinen Stu-
dien zur psychischen Arbeitsbelastung
ebenfalls erstmalig den Faktor sexuelle
Belästigung.
Was tun?
Unternehmen sollten das Thema mithilfe
von drei Hauptfragen angehen:
1. Wie wollen wir grundsätzlich mit
dieser Frage umgehen?
2. Wie gehen wir mit entsprechenden
Beschwerden um?
3. Wie können wir sicherstellen, dass
die Antwort unseres Unternehmens
angemessen ist?
Sichtbare und
unsichtbare Kosten
Durch #MeToo ist der Umgang von Un-
ternehmen mit ihren Mitarbeiterinnen in
den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.Be-
schwerden wegen sexueller Belästigung
nachzugehen, zählt nicht erst jetzt zu den
Fürsorgepflichten des Arbeitgebers. Dass
auch Präventionsmaßnahmen sinnvoll
und notwendig sind, liegt auf der Hand.
Sie einzuführen und durchzusetzen ist
fraglos zweckmäßiger, als sich mit einzel-
nen Vorfällen im Nachhinein zu befassen.
Allerdings spielen auch weitere Faktoren
eine Rolle. Wie eine Reihe wissenschaftli-
cher Artikel darlegt, die unmittelbar nach
dem Weinstein-Skandal veröffentlicht
wurden, verursachen sexuelle Belästigun-
gen sowohl sichtbare als auch unsichtba-
re Kosten. Dies zu ignorieren, wäre für
Unternehmen ein enormes Risiko. Zur
Erinnerung: Der Hollywoodkonzern 21st
Century Fox musste im November 2017
im Zusammenhang mit dem Skandal um
sexuelle Belästigung bei Fox News 90 Mil-
lionen Dollar zahlen. Davon flossen 50
Millionen Dollar in Vergleichszahlungen
und 40 Millionen in „Golden Handshakes“
für Topmanager, die das Unternehmen
infolge des Skandals entließ.
Solche Zahlen sind durchaus aus-
sagekräftig für die Kultur eines Unter-
nehmens. Eine Transparenzkampagne
könnte daher viel bewirken: Wenn die
#NotInOurCompany:
Vier Punkte, auf die Ihre Strategie sich fokussieren sollte
Transparenz:
Alle Mitarbeiter sollten umfassend darüber informiert sein, an wen sie
sich wenden und was sie tun müssen, wenn sie Opfer sexueller Belästigung werden.
Auch die Täter sollten wissen, mit welchen Konsequenzen sie rechnen müssen.
Mitwirkung:
Wer eine Beschwerde einreicht, muss nicht nur anfangs, sondern wäh-
rend des gesamten Verfahrens gehört werden. Dazu gehört auch ein regelmäßiges
Feedback. Wenn die Geschädigten im Durchschnitt 295 Tage auf Feedback warten
müssen – wie eine US-Statistik zeigt – so ist das völlig inakzeptabel. Noch erschüt-
ternder ist, dass die Hälfte der Verfahren ohne Ergebnis beigelegt wird. Wichtig ist,
dass Täter wie Opfer Zugang haben zu Konfliktlösungsverfahren wie Mediation oder
Schlichtung – sie sind flexibler und zielen eher auf Lösungen ab, bei denen beide
Parteien übereinkommen.
Konfliktlösung:
Nicht notwendigerweise besteht die Lösung immer in der Entlassung
des Täters. Eine Entschuldigung, eine Veränderung der Arbeitsorganisation, eine
Beförderung (die objektiv gerechtfertigt ist, dem Opfer wegen Nichteingehens auf
die sexuellen Avancen aber nicht gewährt wurde) und ein intensives Training für den
Täter könnten im Einzelfall wirksamer sein als eine Disziplinarmaßnahme.
Zeitfaktor:
Je früher das Verfahren abgeschlossen ist, desto besser für alle Beteilig-
ten – auch für das Opfer. Sobald das eingesetzte Gremium alle Fakten gesammelt
und darauf basierend eine Entscheidung gefällt hat, muss das Unternehmen sie
vollumfänglich umsetzen. Das Schlimmste, was in diesem Stadium passieren kann,
ist, dass die Beschwerde eines Opfers fehlerfrei evaluiert wurde, sich die Vorwürfe
erhärten ließen, das Unternehmen sich aber weigert, die angeordneten Konsequenzen
umzusetzen. Eine implizite Vereinbarung zwischen Personalabteilung und Unter-
nehmensspitze muss die Integrität des Verfahrens bis zum Abschluss sicherstellen.
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Sexuelle Belästigung