Personalmagazin 8/2018 - page 36

„Es fällt mir schwer, zu einer Anschul-
digung Stellung zu nehmen, die mir sehr
unglaubwürdig vorkommt und über deren
tatsächlichen Umstände wir auch nichts
Genaues wissen.“ Ähnliche Worte wie die-
se eines Repräsentanten der Filmfirma
MGM dürften schon öfter in deutschen
Personalbüros gefallen sein, wenn eine
Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter andeu-
tete, Opfer sexueller Belästigung gewor-
den zu sein. Im konkreten Fall ging es
um die Aussagen der 20-jährigen Tänze-
rin Patricia Douglas, die gegenüber MGM
den Vorwurf erhob, auf einer von der Pro-
duktionsfirma organisierten Party verge-
waltigt worden zu sein. Rund 120 Frauen
waren aus ganz Amerika nach Los Ange-
les gekommen, um an einemWettbewerb
teilzunehmen. Dort fanden sie sich 300
betrunkenen Männern gegenüber. Einige
von ihnen betatschten und belästigten
sie sexuell – öffentlich und unter aller
Augen. Das war 1937. Die Antwort von
MGM reflektiert den damaligen Umgang
mit dem Thema. Auch wenn sich Frauen
gegen das Verhalten von Männern im Ar-
beitsleben lautstark wehrten, schenkten
ihnen Vorgesetzte oder Unternehmens-
führung wenig Gehör. Das Geschehene
wurde geleugnet, vertuscht oder als ein-
vernehmlich dargestellt.
Patricia Douglas, deren Geschichte der
Dokumentarfilm Girl 27 (2007) erzählt,
gilt heute als Vorreiterin der #MeToo-Be-
wegung. Mit ihrer Beschwerde machte
sie deutlich, dass Vergewaltigung und
sexuelle Belästigung mehr sind als ju-
ristisch relevante Straftaten. Sie sind
ein Ausdruck dafür, wie Männer Frauen
in der Gesellschaft behandeln. Douglas
machte damals schon klar, dass eine Frau
immer das Recht haben muss, über ihren
eigenen Körper bestimmen zu dürfen. Im
Fall des Filmproduzenten Harvey Wein-
steins sieht das sein Anwalt auch achtzig
Jahre später noch nicht so. Seine Vertei-
digungsstrategie fußt auf der Auffassung:
„Wenn eine Frau Sex einsetzt, um ihrer
Hollywood-Karriere nachzuhelfen, dann
ist das keine Vergewaltigung.“
Douglas' Beschwerde wurde abge-
schmettert. Dafür geriet sie in die Müh-
len einer brutalen Rufmordkampagne,
die sie als "Schlampe" darstellte – denn
„Schlampen können nicht vergewaltigt
werden.“ Das war das Ende ihrer kaum
begonnenen Hollywood-Karriere. Doch
ihre Geschichte lebt weiter. Heute steht
sie für die Notwendigkeit, das Kartell des
Schweigens rund um das Thema sexuelle
Belästigung zu zerstören – nicht nur im
Showgeschäft, sondern in jeder anderen
Branche auch. Der Weinstein-Skandal
und die daraus entsandene #MeToo-Be-
wegung sind ein wichtiges Zeugnis: Sie
zeigen die Bereitschaft, das Schweigen
zu durchbrechen.
#MeToo: Der Bann ist
gebrochen
Oktober 2017: Dutzende Schauspielerin-
nen, darunter Stars wie Gwyneth Paltrow,
Angelina Jolie und Salma Hayek, bezich-
tigen den mächtigen Hollywood-Produ-
zenten Harvey Weinstein der sexuellen
Belästigung, einige sogar der Vergewal-
tigung. Frauen weltweit erkennen im
Weinstein-Fall ihre eigene Geschichte
wieder und tauschen sich dazu in den
sozialen Medien unter dem Hashtag #Me-
Too aus. Belästigungen am Arbeitsplatz
sind Auslöser für eine so nie da gewesene,
öffentlich geführte Debatte. Die Wucht,
die diese Kampagne rund um den Globus
entwickelte, zeigt zweierlei:
1. Sexuelle Belästigung erleben Frauen
in allen Lebensbereichen.
2. Sexuelle Belästigung existiert in al-
len Branchen und in allen Ländern.
Statistiken bestätigen das. In Deutsch-
land ergab eine Statista-Umfrage vom
März 2018, dass sexuelle Belästigung und
sexuelle Gewalt in der Arbeitswelt nach
dem geschlechtsspezifischen Lohnge-
fälle das zweit- und drittgrößte Problem
für deutsche Frauen darstellen. Sexuelle
Belästigung von Frauen beschreibt fast
die Hälfte der Bevölkerung als „ziemlich
häufig“, während ein Fünftel sie als „sehr
verbreitet“ sieht.
In einer Umfrage in Schweden – einem
Land, das in Bezug auf das Geschlech-
terverhältnis gemeinhin als fortschritt-
lich gilt – gaben 81 Prozent der befragten
Frauen an, sexuelle Belästigung erlebt zu
haben. In Frankreich liegt dieser Anteil
bei 75 Prozent und in Großbritannien bei
68 Prozent. Schätzungsweise 45 bis 55
Prozent der Frauen in den EU-Staaten
haben seit ihrem 15. Lebensjahr sexuelle
Belästigung erlebt. Jeder dritte US-Ame-
rikaner gibt an, bei der Arbeit schon
einmal sexuell belästigt worden zu sein.
Angesichts der Datenlage ist klar, dass
die Wirtschaft von diesem Thema nicht
Würden die
Zahlungen
für Vergleiche
wegen sexueller
Belästigung
veröffentlicht,
hätten
Bewerber ein
aussagekräftiges
Ranking über das
Arbeitsklima.
Anmerkung des Autors:
In diesem Artikel werden vornehmlich Frauen als Opfer
beschrieben, weil sie statistisch die weit größere Gruppe
darstellen. Selbstverständlich werden auch Männer
Opfer sexueller Belästigung.
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