Personalmagazin 8/2018 - page 40

Die Varianten, in denen unangemesse-
ne Grenzüberschreitungen im arbeitstäg-
lichen Miteinander auftreten können,
sind vielfältig. Seit der medienwirksamen
Debatte um sexuelle Belästigung in der
Filmindustrie hat sich eine erhebliche
Verunsicherung breitgemacht. Wo sind
die Grenzen und wie müssen Arbeitgeber
die Persönlichkeitsrechte der Mitarbei-
ter schützen? Oder aber das Gegenteil:
Wann darf der Arbeitgeber gerade nichts
unternehmen, weil er andernfalls den in-
dividuellen Persönlichkeitsrechten der
Mitarbeiter nicht den geschützten Raum
lässt?
#1 Was sagt die Statistik?
Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten
in Deutschland hat sexuelle Belästigung
am Arbeitsplatz schon einmal beobachtet
oder selbst erlebt, über ihre Rechte sind
viele Mitarbeiter aber nur unzulänglich
informiert. Etwa 80 Prozent wissen nicht,
dass Arbeitgeber grundsätzlich verpflich-
tet sind, sie aktiv vor einer (sexuellen)
Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen.
Und mehr als 70 Prozent haben hierzu
auch keinen Ansprechpartner in ihrem
Betrieb. Das sind die wichtigsten Ergeb-
nisse einer repräsentativen Umfrage, die
die Antidiskriminierungsstelle des Bun-
des (ADS) bereits im Jahr 2015 zum Auf-
takt des Themenjahrs „Gleiches Recht.
Jedes Geschlecht.“ vorgestellt hat. Diese
sind bis heute imWesentlichen unverän-
dert geblieben.
#2 Führt die Debatte zu
neuen Arbeitgeberpflichten?
Nein. Arbeitsrechtlich ist die Diskussion
nicht neu. Bereits seit Inkrafttreten des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
(AGG) im Jahr 2006 sind Unternehmen
gesetzlich dazu verpflichtet, sexuelle
Belästigungen am Arbeitsplatz zu ver-
hindern (Prävention) und in dem Fall, in
dem sie doch auftreten, richtig und kon-
sequent darauf zu reagieren (Repression).
Eine sexuelle Belästigung am Arbeits-
platz oder im betrieblich veranlassten
Zusammenhang setzt nach § 3 Abs. 4
AGG nicht zwingend auch eine sexuelle
Motivation voraus. Vielmehr ist es häufig
ein Mittel der Machtdemonstration. Eine
sexuelle Belästigung kann insbesondere
in folgenden Konstellationen vorliegen:
• Körperliche Belästigungen, zum Bei-
spiel jede unerwünschte Berührung wie
etwa tätscheln, umarmen, küssen,
• sprachliche Belästigungen, etwa sexuell
anzügliche sowie zweideutige Bemer-
kungen und Witze oder Forderungen
zu intimen oder sexuellen Handlungen
(„Setz Dich auf meinen Schoß!“) und
• sonstige anzügliche Verhaltensweisen,
zum Beispiel Hinterherpfeifen, uner-
wünschte E-Mails, SMS, Fotos oder Vi-
deos mit sexuellem Bezug.
§ 12 Abs. 2 AGG empfiehlt Unternehmen
ein präventives Konzept, indem ihnen
bestimmte – fakultative – Organisations-
pflichten auferlegt werden, zum Beispiel
die Durchführung von Schulungen oder
die Aufstellung von Verhaltensregeln.
Dies soll ein Arbeitsumfeld frei von Sexis-
mus schaffen.
#3 Welche Präventions­
maßnahmen gibt es?
Neben den in § 12 AGG vorgesehenen
Schulungen ist es für Arbeitgeber und Be-
schäftigte wichtig, dass die Geschäftslei-
tung sich klar für eine Null-Toleranz-Un-
ternehmenskultur im Falle von sexuellen
Belästigungen ausspricht. Es sollte (ano-
nyme) Beschwerdemechanismen geben,
die zentral in den Unternehmensmedien
vorgehalten werden. Sinnvoll ist es sicher
auch, den Mitarbeitern Orientierungshil-
fen an die Hand zu geben, etwa durch
Ethik-Richtlinien oder einen Code of
Conduct, mit dem ein Rahmen für ei-
nen anonymen Austausch Betroffener
geschaffen wird.
#4 Was sind die Rechtsfolgen
bei fehlender Prävention?
Da das Gesetz dem Arbeitgeber keine
zwingende Schulungspflicht auferlegt,
folgt aus dem Unterlassen von Schulungs-
maßnahmen auch keine Sanktion. Aller-
dings kann sich der Arbeitgeber dann
auch nicht auf den positiven Nebeneffekt
des § 12 Abs. 2 Satz 2 AGG berufen: Hier-
nach gilt für Arbeitgeber, die ihren Schu-
lungspflichten nachgekommen sind, eine
Eine kurze, zu fest gedrückte Umarmung zum Geburtstag, eine schnelle
Follow-up-Mail nach einem netten Lunch („Schön war’s”), eine zufällige
Berührung beim gemeinsamen Blick auf den Bildschirm: Sind diese
Szenen Beispiele für ein gutes soziales Miteinander im Betrieb oder für
eine sexuelle Belästigung? Was Arbeitgeber wann unternehmen müssen.
#MeToo? Auch Sie
brauchen Antworten auf
diese Rechtsfragen
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