HR-Management
personalmagazin 10.18
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Foto: Rheingans Digital Enabler
Mit dem bisherigen Verlauf seines Experiments ist Rhein-
gans sehr zufrieden. Die Entwicklung des Umsatzes decke sich
mit der Planung, die vor dem Fünf-Stunden-Tag entstand. Be-
lastbare Zahlen hat er zwar noch nicht, aber dies hält er bei
Betriebsübernahmen generell für schwierig, da verschiedene
Umstrukturierungsmaßnahmen zusammenkämen. Die Anzahl
der Bewerbungen sei jedoch drastisch gestiegen, davon könnten
andere Arbeitgeber nur träumen. Und auch das Feedback der
Mitarbeiter gibt dem Geschäftsführer Anlass zu großem Optimis-
mus: „Die Mitarbeiter sind ausgeglichener und motivierter, weil
sie nicht ständig ihren persönlichen Krempel im Kopf haben, den
sie inzwischen entspannt am Nachmittag erledigen. Viele bilden
sich jetzt in ihrer freien Zeit weiter – nicht, weil ich das erwarte,
sondern einfach, weil sie Bock darauf haben.“ Auch die Kunden
hätten sich bisher nicht beschwert und überhaupt nicht wirklich
gemerkt, dass sich für sie etwas verändert habe.
Forschungsprojekt geht an den Start
Inwiefern diese Effekte von Dauer sind, interessiert nicht nur
Lasse Rheingans, sondern auch Sascha Armutat, Professor für
BWL, Personalmanagement und Organisation an der Fachhoch-
schule Bielefeld. Gemeinsammit Rheingans Digital Enabler will
er herausfinden, welche Effekte sich bei dem Experiment ein-
stellen und inwiefern sich daraus Quintessenzen für andere Or-
ganisationen ableiten lassen. „Momentan stehen die Mitarbeiter
unter starker Beobachtung und das könnte dazu beitragen, dass
sie in dieser Vorfront-Situation die fünf Stunden Arbeitszeit be-
sonders gut nutzen. Doch was passiert, wenn diese Arbeitsweise
zur Gewohnheit wird? Wie schnell tritt der Gewöhnungseffekt
ein und wird dann die neue Arbeitszeit zum Besitzstand? Was
passiert, wenn das Modell nicht mehr funktioniert und Mehr-
arbeit nötig wird?“, stellt der Professor einige Fragen, die ihn
beschäftigen. Besonders neugierig ist er bezüglich der neuen
Zeiteinteilung. „Uns interessiert, wie die Mitarbeiter das Modell
leben und ob die ganze Kulturarbeit am Unternehmen dann
außerhalb der offiziellen Arbeitszeit stattfindet“, so der Forscher.
Socializing, Projekt-Vorbereitungen, abendliches Kopfzerbre-
chen über die Gestaltung des nächsten Tages – viele Aufgaben
könnten nun außerhalb der vermeintlichen Arbeitszeit liegen,
sodass sich die Mitarbeiter doch mehr Zeit mit dem Unterneh-
men beschäftigen, als sie vor Ort sind. „Das ist der interessante
Beweis, den das Modell erbringen muss, um nicht nur kurzfristig
erfolgreich zu sein: Kriegt man die Kulturarbeit auch hin, ohne
dass man dafür Puffer in den Arbeitsalltag einbaut?“
Ein Augenmerk möchte er auch auf verschiedene Tätigkeiten
legen. „Bei Routineaufgaben kann ich mir gut vorstellen, dass
man die Arbeit derart komprimieren kann. Sobald man aber auf
eine hohe Interaktion angewiesen ist und Aufgaben hat, die von
kreativen Impulsen aus Gesprächen leben, ist ein ganz enges
Zeitgerüst nicht nur fokussierend, sondern auch belastend.“
Möglicherweise erlebten die Mitarbeiter dann die Leitlinie, die
Kollegen während der Arbeitszeit möglichst wenig anzuspre-
chen, doch als Zwang und Druck. Für eine Agentur sei es auch
sehr ungewöhnlich, die Arbeitszeit auf eine bestimmte Lage,
nämlich auf die Zeit von 9 bis 13 Uhr zu verorten. „Die Erwartung
der Kunden in diesem Umfeld geht eher Richtung 24/7. Die Frage
ist auch, wie die begrenzten Zeiten der Erreichbarkeit bei den
Kunden ankommen.“
Zu den Erfolgsbedingungen des Modells gehören laut dem
Professor für Personalmanagement auch die Art und Weise der
Führung, die Vergütungsgestaltung und die gesamte Unter-
nehmenskultur. Er möchte unter die Lupe nehmen, welche
Zusammenhänge hier bestehen. Bei agilen Arbeitsmethoden
in anderen Unternehmen hat er beobachtet, dass gerade Pro-
zessstandards eine wichtige Rolle bei der indirekten Führung
spielen. Begeisterung der Mitarbeiter, Arbeitsstrukturen und
Prozessstandards – diesen Dreiklang hat er besonders im Blick,
wenn er demnächst mit Bachelor- und Masterstudenten die
Forschungsarbeit aufnimmt. In dem Zusammenhang gelte es
auch, die rechtliche Perspektive nicht aus dem Auge zu verlieren
und zu fragen, was diese neue Zeiteinteilung für Arbeitsordnung
und Arbeitsvertrag bedeutet.
Stufenweise Einführung der 30-Stunden-
Woche bei E-Magnetix
In Österreich könnte es bald ein ähnliches Forschungsprojekt
geben: Die E-Magnetix Online Marketing GmbH aus Bad Leonfel-
den in der Nähe von Linz plant demnächst die 30-Stunden-Wo-
che bei vollem Lohnausgleich einzuführen. Die Arbeiterkammer
und eine Unternehmensberatung sind interessiert, das Projekt
zu begleiten. Der Ansatz ist gleich, die Auslöser und Vorgehens-
weise jedoch etwas anders. „Wir sind wie viele Unternehmen
vom Fachkräftemangel betroffen. In manchen Bereichen tun
wir uns schwer, Mitarbeiter zu finden. Oft hatten wir auf eine
Ausschreibung nur eine Bewerbung über Monate hinweg“, so
der 36-jährige Geschäftsführer Klaus Hochreiter. Er habe sich
Lasse Rheingans hat als Geschäftsführer einer Kommuni-
kationsagentur die 25-Stunden-Woche eingeführt.