personalmagazin 10/2018 - page 69

Arbeitszeitmodelle
69
fonhörer spart oft viel Tipperei – da kann man in einer halben
Stunde so viel wegschaffen wie sonst in zwei.“ Tools wie Slack,
Headset oder Spezialsoftware kommen bedarfsorientiert von
technischer Seite hinzu. Und ein weiteres Learning: Wer häufig
aus der Arbeit gerissen wird, braucht oft lange, um wieder den
Flow zu finden. Die rund 15 Mitarbeiter, darunter Programmie-
rer und Konzeptioner, sind deshalb angehalten, eine möglichst
störungsfreie Arbeitsatmosphäre zu schaffen: keine Musik, aus-
geschaltete Benachrichtigungsfunktionen auf dem Handy und
wenig Gespräche zwischendurch. Viele „Digital Enabler“ seien
ihm dankbar, dass sie konzentriert arbeiten könnten und nicht
vollgequatscht würden.
„Der soziale Kontakt ist natürlich wichtig. Das passiert dann
aber hauptsächlich nach 13 Uhr.“ Mittwochs und freitags setzen
sich zudem nach der offiziellen Arbeitszeit Vertreter aus den ver-
schiedenen Teams zusammen, um über die Arbeitsorganisation
zu reden. Sie tauschen sich aus, wo Probleme entstanden sind
und warum, wo Kompetenzen fehlen, was den Mitarbeitern ge-
holfen hat und wo man sich noch unter die Arme greifen könnte.
„Bei diesem Fünf-Stunden-Modell kann man nichts verstecken.
Es wird sofort klar, wo es hakt und welche Mitarbeiter einfach
zu viel Arbeit haben. Das ist wie eine Lupe auf Missstände.“
Als „Fünfstundenpapst“ sieht sich Lasse Rheingans dennoch
nicht, denn strenge Vorgaben lehnt er ab. Er hat sich auch schon
überlegt, die Arbeitszeiten ganz abzuschaffen. Doch da hat er
Angst, dass die Mitarbeiter automatisch wieder mehr arbeiten.
„Vielleicht gäbe es dann wieder diesen internen Wettkampf,
je früher, desto cooler und je länger, desto besser.“ Genau das
möchte der Geschäftsführer vermeiden. Es geht ihm darum, die
Mitarbeiter für die schlummernden Potenziale und eine neue
Organisationsform zu sensibilisieren. „Da lernen wir jeden Tag
noch etwas Neues.“
1930 prophezeite der britischen Ökonom John Mayard Keynes,
dass wir dank moderner Technologien künftig nur noch 15 Stun-
den die Woche arbeiten würden. Er sollte nicht recht behalten
– zumindest noch nicht. Denn derzeit ist seine These populärer
denn je. Wenn Roboter und Algorithmen immer mehr Aufgaben
übernehmen, sind neue Konzepte für Arbeit und Arbeitszeit
gefragt. Viele Arbeitnehmer wünschen sich mehr Freizeit, wie
eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) in Nürnberg ergab. Die Hälfte der männlichen und gut 40
Prozent der weiblichen Beschäftigten würden ihre wöchent-
liche Arbeitszeit demnach gerne um mindestens 2,5 Stunden
reduzieren.
Vor diesem Hintergrund wagen sich nun einige Unternehmen
im deutschsprachigen Raum an eine verkürzte Arbeitszeit heran.
Vorbilder kommen nicht nur aus den USA, sondern auch aus
Australien und Schweden: eine Toyota-Werkstatt in Göteborg,
die schwedische Werbeagentur Oss auf Gotland, das Finanz-
beratungsunternehmen Collins SBA in Tasmanien. Stephan
Aarstol, Gründer von Tower Paddle Board, inspirierte viele mit
seinem Buch „The five-hour workday: live differently, unlock
productivity, and find happiness“.
Rheingans Digital Enabler testen die
25-Stunden-Woche
Seit Kurzem hat auch Bielefeld ein Unternehmen, das sich dieser
Bewegung angeschlossen hat. Lasse Rheingans übernahm im
Oktober 2017 die Geschäftsführung der Agentur „Überblick“.
Neben dem neuen Portfolio für digitalen Wandel und dem neu-
en Firmennamen „Rheingans Digital Enabler“ zog bald auch
die 25-Stunden-Woche in die Kommunikationsagentur ein.
„Nine-to-five heißt im Agentur-Business oft nine-to-eight. Und
das macht die Leute kaputt“, ist Lasse Rheingans überzeugt,
der als Agentur-Gründer die Branche bestens kennt. In seinem
vorherigen Job hatte er schon zwei freie Nachmittage und fest-
gestellt, dass sein Privatleben dadurch intensiver wurde und
er trotzdem sein Arbeitspensum schaffte. Er wollte den Fünf-
Stunden-Tag ausprobieren und stellte in Gesprächen mit seinen
neuen Mitarbeitern fest, dass er mit dieser Idee auf Gegenliebe
stieß. So startete im November 2017 der Versuch: 25-Stunden-Wo-
che bei vollem Lohnausgleich.
Nur fünf Stunden am Tag arbeiten und das Gleiche schaffen
wie in acht – wie kann das gehen? Rheingans setzt den Hebel
vor allem bei Meetings, Arbeitseinteilung, Pausenkultur und
zeitsparenden Tools an. „Bei einem normalen Achtstundentag
benötigen wir viele Pausen. Da wird viel Zeit entspannt vertrö-
delt“, meint der Geschäftsführer. Wer diese Zeit zum intensiven
Arbeiten nutze, komme schon locker auf ein bis zwei Stunden
pro Tag. Gemütlich Kaffeekochen, mit den Kollegen plauschen,
E-Mails und News scannen – derartige Rituale gehörten mit zu
den größten Zeitfressern. Standardmäßig ein Stunde pro Meeting
zu reservieren, lasse sich auch vermeiden. Oft sei es mit 15 bis
30 Minuten auch getan. Bei den Agenturleuten in Bielefeld geht
es um acht Uhr morgens los, um halb neun treffen sich alle zum
Stand-up: Projektleitung und Teammitglieder gehen die Prios
und Aufgabenverteilung für den Tag durch.
Auch den Kundenkontakt haben die Digital Enabler optimiert.
„Unser Ticketsystem hat uns sehr viel Zeit gekostet, dieses ewige
Hin und Her mit Fragen und Rückfragen. Der Griff zum Tele-
Weniger Arbeitszeit bei
gleichem Lohn und vor allem
gleichem Arbeitsumfang:
Das kann in der Praxis
nur funktionieren, wenn
die Mitarbeiter wirklich
mitziehen. Denn die müssen
ihre Arbeit hocheffizient
einteilen, die soziale Inter­
aktion stärker strukturieren
und konsequent Zeitfresser
tilgen.
1...,59,60,61,62,63,64,65,66,67,68 70,71,72,73,74,75,76,77,78,79,...100
Powered by FlippingBook