personalmagazin 3/2017 - page 28

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MANAGEMENT
_PERSÖNLICHKEITSPROFILE
personalmagazin 03/17
es um den Einsatz von Persönlichkeits-
tests in der Personalauswahl geht.
Social Media: Darstellung des Selbst
oder doch Selbstdarstellung?
Neben Facebook-Likes sind auch an-
dere Zusammenhänge zwischen der
Social-Media-Nutzung und den Persön-
lichkeitseigenschaften bekannt: Bereits
vor Kosinski fanden andere Wissen-
schaftler schwache Zusammenhänge
etwa zwischen der Zahl der Kontakte,
Nachrichten oder veröffentlichten Bil-
der und den Big-Five-Persönlichkeits-
merkmalen. Die ersten Studien hierzu
stammen aus dem Jahr 2008. Vergleich-
bare Ergebnisse liegen inzwischen für
verschiedene Social-Media-Plattformen
vor. All diese Untersuchungen haben
jedoch dasselbe methodische Problem:
Die als zusammenhängend erkannten
Daten-Persönlichkeitspaare – etwa die
Zahl von Kontakten und Extraversion
– wurden durch die Studienteilnehmer
selbst generiert. Die Social-Media-Nut-
zer haben ihre Persönlichkeit nämlich
in der Regel anhand eines Persönlich-
keitsfragebogens selbst eingeschätzt.
Das Problem dabei ist, dass auf den So-
cial-Media-Plattformen oft „Impression
Management“, also Selbstoptimierung,
betrieben wird. Deshalb ist es nahelie-
gend, dass sich etwa eine Person, die
gerne als eher extrovertiert wahrgenom-
men werden möchte, sich nicht nur et-
was extrovertierter einschätzt, sondern
auch mehr Kontakte sammelt. Bei den
hier vorgestellten Korrelationsanalysen
ist entsprechend anzunehmen, dass die
Datengrundlage durch Faktoren wie
soziale Erwünschtheit, Impression Ma-
nagement und Kohärenzerwartungen
zumindest leicht verzerrt wurde.
Persönlichkeitstendenzen mithilfe
von Maschinen erkennen
In der Summe können die schwachen
Zusammenhänge zwischen verschiede-
nen Social-Media-Attributen und Persön-
lichkeitsmerkmalen trotzdem genutzt
werden, um Tendenzen der Nutzerper-
sönlichkeit zu erkennen. Hier kommen
zunehmend prädiktive maschinelle Lern-
verfahren zum Einsatz, die auch sehr
komplexe Zusammenhänge abbilden kön-
nen. Das Schlagwort für diese Verfahren
lautet künstliche Intelligenz: Beispiels-
weise konnten Forscher zeigen, dass ma-
schinell trainierte sogenannte Entschei-
dungsbäume deutlich bessere Ergebnisse
liefern als lineare Regressionsmodelle.
Derzeit wird daran gearbeitet, durch so-
genannte „Deep-learning-Ansätze“ wei-
tere Verbesserungen zu erreichen. Die
wesentlichen Vorteile solcher Verfahren
sind die geringen Einsatzkosten und die
Geschwindigkeit: Zumindest grobe Per-
sönlichkeitstendenzen lassen sich somit
kostengünstig und beinahe in Echtzeit
ermitteln, was beispielsweise für E-Re­
cruiting Systeme hochinteressant ist.
Die Datenlage bleibt ungewiss
Trotz der Offenheit des Internets ist
absehbar, dass die Betreiber von Social-
Media-Plattformen die benötigten Daten
nicht kostenlos zur Verfügung stellen
werden. In Sachen Anfragefrequenz, An-
fragezeitraum und Nutzerbreite wird es
bei den kostenlosen Datenschnittstellen
aller großen Betreiber Einschränkungen
geben. Zudem müssen die Nutzer häufig
der Auswertung applikationsspezifisch
zustimmen, bevor überhaupt Daten ab-
rufbar sind. Hinzu kommt, dass sich
einige prädiktive Social-Media-Attribute
ständig ändern: Als „Persönlicheitsin-
dikator“ weist beispielsweise das Inte-
resse an der Late-Night-Show „Colbert-
Report“ eine hohe Prognosegenauigkeit
auf; die Show ist inzwischen aber ein-
gestellt. Ebenso dürfte die Bedeutung
von „Mitt Romney“ in den sozialen Netz-
werken wohl künftig abnehmen. Zudem
sind die Ergebnisse in vielen Fällen
länderspezifisch. Eine Übertragung auf
Deutschland ist damit oft nur mit Ana-
logieschlüssen alla „Colbert ist gleich
Harald Schmidt“ möglich, womit der
Zusammenhang jedoch fraglich wird.
Daher müssten in Deutschland zunächst
eigene Studien durchgeführt werden.
Big Data als Orientierungshilfe
Analysen des Social-Media-Verhaltens
lassen nur grobe Rückschlüsse auf die
Persönlichkeit zu. Sie eignen sich damit
zwar nicht für individuelle Aussagen,
ermöglichen aber eine überblicksartige
Segmentierung anhand von fünf Persön-
lichkeitseigenschaften. Da Big-Data-Ana-
lysen stets Wahrscheinlichkeitseinschät-
zungen sind, ist eine exakte Vorhersage
nicht möglich und wird auch nie möglich
sein. Trotzdem sollten sich Personal­
manager jedenfalls die Grundlagen an-
eignen: Sie sollten Wahrscheinlichkeiten
als solche anerkennen und sich mit de-
ren Logik beschäftigen – dazu ist Übung
erforderlich. Notwendig bleibt das jedoch
allemal, denn aus wissenschaftlicher
Sicht stehen die Chancen für den Algo-
rithmus schon heute gut: Seine Progno-
sen sind verlässlicher als die des Per-
sonalers, der einen Kandidaten anhand
seines Facebook-Profils einschätzt.
PROF. DR. HEIKO WECK-
MÜLLER
lehrt Human Re-
source Management an der
FOM Hochschule Bonn.
PROF. DR. RICARDO
BÜTTNER
lehrt Wirtschafts-
informatik an der Hochschule
Aalen.
Derzeit wird an ma-
schinellen Verfahren
gearbeitet, mit denen
sich Persönlichkeits­
tendenzen kostengüns-
tig und beinahe in Echt-
zeit ermitteln lassen.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
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