personalmagazin 03/2016 - page 72

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RECHT
_BESCHÄFTIGUNGSVERHÄLTNIS
personalmagazin 03/16
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einstimmig gefasst werden. Auch die Auf-
lösung der Gesellschaft sei nur einstim-
mig möglich. Zudem habe die Ehegattin
der Firma ein privates Darlehen in Höhe
von 60.000 Euro gewährt und sei zusam-
men mit ihrem Ehemann noch eine weite-
re Darlehensschuld über 20.000 Euro ein-
gegangen. Wenn man noch dazu nehme,
dass sich bei der Führung einer gemein-
samen Firma durch Ehegatten schon auf-
grund des ehelichen Verhältnisses selbst
die Annahme eines Weisungsrechts aus-
schließe, könne man nicht davon ausge-
hen, so das Unternehmerehepaar, dass
die Ehefrau den arbeitsrechtlichen Wei-
sungen ihres Ehegatten ausgesetzt sei.
BSG mit neuen Vorgaben zur
Sozialversicherungspflicht
Der Ansicht, dass auch mitarbeitende
Minderheitsgesellschafter eines Famili-
enunternehmens im Einzelfall als Un-
ternehmer gelten können, hat das BSG
nun mit folgenden Prämissen einen er-
heblichen Dämpfer versetzt:
• Auch wenn eine sogenannte „Sperr-
minorität“ vorliegt, reiche dies für die
Verneinung eines Beschäftigungsver-
hältnisses nicht aus. Dies selbst dann
nicht, wenn auch vertraglich vereinbart
ist, dass auch die Auflösung der GmbH
ohne Zustimmung des Minderheitsge-
sellschafters nicht erfolgen könne.
• Die Einbringung privater Darlehen in
nicht unerheblicher Höhe könne an der
Beurteilung eines Beschäftigungsver-
hältnisses ebenfalls nichts ändern. Damit
werde nur ein Haftungs- oder Ausfallrisi-
ko übernommen, wie es mit jeder Darle-
hensgewährung verbunden sei.
• Schließlich sei auch das Argument,
dass es innerhalb einer Ehe nicht vor-
kommen könne, dass arbeitsrechtliche
Weisungen erfolgen, unbeachtlich. Dies
könne, so das BSG, zwar „aufgrund ge-
genseitiger familiärer Rücksichtnahme“
im Regelfall durchaus anzunehmen
sein. Dieser Gesichtspunkt würde aber
„im Falle eines familiären Zerwürfnis-
ses“ versagen.
Eine bloße „Schönwetter-Selbststän-
digkeit“, mit diesen Worten schließt das
Urteil ab, sei „mit Blick auf das Erfor-
dernis der Vorhersehbarkeit sozialver-
sicherungs- und beitragsrechtlicher
Tatbestände indessen schwerlich hin-
nehmbar und nicht anzuerkennen“.
BSG distanziert sich von früherer
Kopf-und-Seele-Theorie
Dass es sich bei der Malerbetriebs-Ent-
scheidung tatsächlich um eine über den
Einzelfall hinausgehende Grundsatzent-
scheidung handelt, zeigt ein weiteres
Urteil desselben Senats vom 29. Juli 2015
(Az. B 12 KR 23/13 R). Darin mussten
sich die Bundesrichter mit einer noch von
ihnen selbst im Jahre 1994 akzeptierten
Ausnahme auseinandersetzen. Seinerzeit
wurde der GmbH-Geschäftsführer eines
reinen Familienbetriebs, der nur Minder-
heitsgesellschafter war, als sozialversi-
cherungsfrei gewertet. Das Argument der
Bundesrichter war seinerzeit: Der formell
nur mit einer Minderheitsbeteiligung
ausgestattete Familienangehörige sei
faktisch „Kopf und Seele“ des Unterneh-
mens und bestimme zweifelsohne fak-
tisch jederzeit die „Geschicke“ der GmbH.
Von dieser Ausnahmemöglichkeit distan-
zierte sich jetzt der Senat mit folgenden
Worten: „Die für das Leistungsrecht der
Arbeitsförderung und das Recht der Un-
fallversicherung von den dafür zustän-
digen Senaten entwickelte sogenannte
„Kopf und Seele“-Rechtsprechung ist für
die Beurteilung des sozialversicherungs-
rechtlichen Status nach § 7 Abs. 1 SGB IV
nicht heranzuziehen.“
Statusfeststellungsverfahren können auch zu einem vielfach unbekannten Ergebnis
führen: dem Ausschluss nur von der gesetzlichen Krankenversicherung.
Auch wenn unstreitig ein echtes Arbeitsverhältnis vorliegt: Es kann passieren, dass ein
Bescheid ergeht, der zwar ein Beschäftigungsverhältnis annimmt, aber ausdrücklich
eine Versicherungspflicht nur für den Bereich der Krankenversicherung ablehnt – obwohl
das vereinbarte Gehalt eindeutig unterhalb der einschlägigen Versicherungspflichtgren-
ze liegt. Dies kann der Fall sein, wenn die Sozialverscherungsbehörde Kenntnis davon
hat, dass die angemeldete Person neben ihrer Arbeitnehmertätigkeit noch einer selbst-
ständigen Erwerbstätigkeit nachgeht und diese den sogenannten Hauptberuf darstellt.
Dadurch soll verhindert werden, dass mit der (legalen) Aufnahme einer unter Umstän-
den minimal vergüteten Anstellung, ein preisgünstiger Versicherungsschutz in der ge-
setzlichen Krankenversichrung erlangt wird – und das, obwohl die Selbstständigkeit das
eigentliche Berufsleben darstellt. Der Begriff der Hauptberuflichkeit ist nicht eindeutig
definiert, die Beurteilung wird gesetzlich nur durch eine Auslegungshilfe erleichtert. Da-
nach wird eine Hauptberuflichkeit „vermutet“, wenn der Mitarbeiter im Rahmen einer
selbstständigen Tätigkeit eigene Arbeitnehmer beschäftigt. Weitere Prüfungsschritte
ergeben sich aus internen Vorgaben der Sozialversicherung, die sich an der sozialge-
richtlichen Rechtsprechung orientieren. Diese sieht die Hauptberuflichkeit immer als
Einzelfallentscheidung an, sodass man sich darüber also von Fall zu Fall streiten kann.
Scheinbar verkehrte Welt – Teil 2
STATUSFESTSTELLUNG
THOMAS MUSCHIOL
ist Fachautor und
Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Arbeits-
und betrieblichen Sozialversicherungsrecht.
Fachbeitrag
Das BSG-Urteil (Az. B12 KR
9/14 R) im Volltext (HI8805103)
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
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