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03/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
sollten jedenfalls auch Fremd-Geschäfts-
führer einer GmbH bei „Zahl der in der
Regel beschäftigten Arbeitnehmer“ mit
angegeben werden und – soweit zutref-
fend – auch bei den Entlassungen.
Verzwickt wird es bei den ebenfalls
grundsätzlich anzugebenden Entlas-
sungs- und bei den Auswahlgründen:
Dieser Punkt ist noch völlig ungeklärt.
Hier sollte je nach Einzelfall entschie-
den werden, wie vertraulich der Entlas-
sungsgrund ist und welche Risiken in
Kauf genommen werden. Will man im
Hinblick auf die Wirksamkeit der Kün-
digungen auf Nummer sicher gehen,
sollten auch diese Punkte bezüglich der
Beendigung des Geschäftsführeranstel-
lungsvertrages angegeben werden. Bei
einer Komplettstilllegung oder Liquida-
tion einer Gesellschaft wäre dies zum
Beispiel auch unproblematisch.
Da es aber derzeit nun einmal den § 17
Abs. 5 KSchG gibt und zumindest in der
Literatur umstritten ist, ob auch ohne
BAG-Entscheidung direkt europarechts-
konform auszulegen ist, sollten zusätz-
lich die Zahlen ohne die Geschäftsführer
angegeben und ein erläuterndes Schrei-
ben beigefügt werden. Besser zwei Vari-
anten anzeigen als sich auf eine Variante
festzulegen, die Richter dann später in
den Kündigungsschutzprozessen als
falsch einstufen und die Kündigungen
dadurch unrettbar unwirksam sind.
Gleiches – zwei Varianten – gilt
vorsorglich auch bei Minderheitsge-
sellschaftergeschäftsführern und gege-
benenfalls bei Praktikanten – auch wenn
diese in den Unterlagen der Arbeitsa-
gentur durchgehend als Arbeitnehmer
im Sinne des § 17 KSchG bezeichnet
werden. Soweit die Schwellenwerte der
Richtlinie in Art. 1 Abs. 1 a) i) höher
sind als in § 17 KSchG kann bis zu einer
Entscheidung des BAG und/oder einer
Gesetzesänderung bei unionskonformer
Auslegung auch noch mit diesen „ge-
spielt“ und argumentiert werden.
Bis zu einer höchstrichterlichen Klä-
rung sollten Arbeitgeber auch bei der
Unterrichtung und Konsultation des
Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG
vorsorglich die genannten Angaben
berücksichtigen, wenn auf Geschäfts-
führerebene oder bei Praktikanten Ent-
lassungen beabsichtigt sind.
Europäischer Arbeitnehmerbegriff
nicht abschließend geklärt
Auch unter Berücksichtigung der
„Danosa“-Entscheidung (siehe Kasten
Seite 68) dürfte es vertretbar sein, einen
Vorstand einer AG nicht als europarecht-
lichen Arbeitnehmer anzusehen. Ge-
nauso wie – wenngleich wegen „Dano-
sa“ risikobehaftet – die Abberufung des
Geschäftsführers selbst als Organ der
Gesellschaft gemäß § 38 GmbH-Gesetz,
die von der Beendigung des Geschäfts-
führeranstellungsvertrags zu trennen
ist, keine Entlassung nach § 17 KSchG
sein dürfte, weil hier der Schutzzweck
der Richtlinie noch nicht betroffen ist.
Die weitere Entwicklung ist abzuwar-
ten (siehe Kasten auf dieser Seite). Gera-
de der europäische Arbeitnehmerbegriff
wird die Gerichte weiter beschäftigen.
So hat etwa das OLG Düsseldorf (Az. I 6
U 47/12) entschieden, dass ein GmbH-
Geschäftsführer keinen besonderen
Kündigungsschutz als Schwerbehinder-
ter nach §§ 85 ff. SGB IX genießt. Die
Begründung: Der Anwendungsbereich
der Richtlinie 2000/78/EG sei nicht be-
troffen. Daher erfordere der Fall keinen
europäisch einheitlichen Arbeitnehmer-
begriff. Dabei ist jedoch zu berücksich-
tigen, dass es sich um ein Zivilgericht
handelte und der BGH – anders als das
BAG – traditionell davon ausgeht, dass
GmbH-Geschäftsführer unabhängig vom
Einzelfall keine Arbeitnehmer sind. Was
wohl der EuGH dazu sagen würde?
DR. ALEXANDRA HENKEL
ist
Fachanwältin für Arbeitsrecht,
Wirtschaftsmediatorin und
Partnerin bei FPS in Berlin.
Konsequent angewandt, könnte der europäische Arbeitnehmerbegriff, der Arbeitnehmerrechte zumindest für den
weisungsgebundenen Fremd-Geschäftsführer vorsieht, auch in anderem Zusammenhang greifen.
Nach der EuGH-Entscheidung muss der Gedanke erlaubt sein, dass
künftig auch andere Arbeitnehmerrechte für weisungsgebundene
Fremdgeschäftsführer, aber auch Minderheitsgesellschafter, gelten
könnten. Schließlich argumentiert der EuGH bislang, dass durch
die Richtlinien ein europaweit einheitlicher Schutz gewährleistet
werden sollte. Ein Beispiel wäre die Umsetzung der Arbeitszeit-
richtlinie 2003/88/EG durch das Arbeitszeitgesetz. Würde also für
Geschäftsführer der Acht-Stunden-Tag gelten? Oder die Umsetzung
der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG im Arbeitnehmerüberlassungs-
gesetz: Folgt aus der EuGH-Entscheidung das Aus der genehmigungs-
freien Geschäftsführeranstellung bei der Holding und gleichzeitigem
Einsatz als Geschäftsführer der Tochtergesellschaften ohne gesonder-
ten Vertrag? Oder die Umsetzung der Befristungsrichtlinie 1999/70/
EG durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz: Erfolgt künftig eine
Befristung von Geschäftsführeranstellungsverträgen von mehr als
zwei Jahren nur noch mit sachlichem Grund? Ganz zu schweigen von
Teilzeitarbeitsrichtlinie 97/81/EG, Elternurlaubsrichtlinie 2010/18/EU
et cetera – als kleine Beispiele für europäische Arbeitnehmerschutz-
regelungen. Im deutschen AGG ist der „Trend“ bereits angekommen:
In § 6 Abs. 2 AGG sind auch Geschäftsführer und Vorstände, soweit
es den Zugang zur Tätigkeit oder den beruflichen Aufstieg betrifft,
vom persönlichen Anwendungsbereich erfasst. Zudem wird nach der
„Danosa“-Entscheidung diskutiert, ob Altersgrenzen für Vorstände je-
denfalls unterhalb des Regelrentenalters, wie sie etwa die Empfeh-
lung des „Deutschen Corporate Governance Kodex“ vorsehen, alters-
diskriminierend und europarechtswidrig sind (offengelassen durch
den BGH, Az. II ZR 163/10). Wobei die Frage bleibt, ob Vorstände
einer deutschen AG bereits unionsrechtlich Arbeitnehmer sind.
Wird der Geschäftsführer künftig häufiger zum Arbeitnehmer?
AUSBLICK
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