personalmagazin 03/2016 - page 68

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RECHT
_MASSENENTLASSUNG
personalmagazin 03/16
Konkret für den GmbH-Geschäftsfüh-
rer genügte es dem EuGH dagegen, dass
dieser jederzeit gegen seinen Willen ab-
berufen werden könne, den Weisungen
und Aufsicht „des Organs“ (gemeint ist
wohl die Gesellschafterversammlung,
§ 37 GmbH-Gesetz) unterliege und eine
Vergütung als Gegenleistung bekomme.
Zwar habe der Geschäftsführer mehr
Ermessensspielraum bei seinen Ent-
scheidungen als ein Arbeitnehmer nach
deutschem Recht – dies sei aber nicht
relevant, entschieden die EuGH-Richter.
Nach den Entscheidungsgründen
scheint die Tatsache, dass der Geschäfts-
führer in dem Vorlagefall keine Gesell-
schaftsanteile hatte, jedenfalls keine
wesentliche Rolle zu spielen. Der EuGH
gibt nur umgekehrt an, dass diese Tatsa-
che alleine nicht für die Bestimmung der
Arbeitnehmereigenschaft der Geschäfts-
führer ausreichen würde.
EuGH: Auch Praktikanten fallen unter
europäischen Arbeitnehmerbegriff
Außerdem entschied der EuGH: Auch
Praktikanten, die im Unternehmen
praktisch mitarbeiten, um Kenntnisse
zu erwerben oder zu vertiefen oder eine
Berufsausbildung zu absolvieren, seien
Arbeitnehmer im Sinne der Massenent-
lassungsrichtlinie. Vorausgesetzt, sie
arbeiten unter den Bedingungen einer
echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehalts-
verhältnis für einen Arbeitgeber nach
dessen Weisung. Dies bejahte der EuGH
für eine Dame, die an einer vom Jobcen-
ter geförderten Umschulungsmaßnahme
zur Bürokauffrau teilnahm und deshalb
ein Praktikum im Unternehmen machte.
Das Gericht gab ausdrücklich an, dass
die nationale Einordnung und auch die
Frage, ob es eine öffentliche Förderung
hierfür gab, nicht relevant seien.
Noch ist offen, ob der EuGH von einem
weiteren Praktikantenbegriff als in der
Definition des § 22 Abs. 1 Satz 2 Min-
destlohngesetz ausgeht. Es spricht al-
lerdings einiges dafür. Offen ist auch,
ob nicht nur Fremd-Geschäftsführer als
Arbeitnehmer bei Massenentlassungen
gelten, sondern zumindest auch Minder-
heitsgesellschafter. Hierfür sprechen die
Urteilsgründe, wonach die Frage der Ge-
sellschaftsanteile alleine nicht relevant
ist. Zumal auch ein Minderheitsgesell-
schafter – wie ein Fremd-Geschäftsfüh-
rer – gegen seinenWillen abberufen und
angewiesen werden kann.
Tipp zum Arbeitnehmerbegriff:
Besser zwei Varianten anzeigen
Die Formulare der BA für die Massen-
entlassungsanzeige sind an die neue
Entwicklung noch nicht angepasst
(Formulare Anzeige von Entlassungen,
BA KSchG 2 01/2015; Anlage zur An-
zeige von Entlassungen, BA KSchG 2a
05/2014; Liste der zur Entlassung vor-
gesehenen Arbeitnehmer, BA KSchG 3
01/2015). Nach der EuGH-Entscheidung
Die erste wichtige Entscheidung – entgegen der ständigen Rechtsprechung des BAG –
zum Thema „Massenentlassung“ traf der EuGH bereits vor zehn Jahren.
Mit dem Urteil vom 27. Januar 2005 entschied der EuGH (Az. C-188/03; „Junk“), dass als
Entlassung nicht der letzte Tag des Arbeitsverhältnisses (Ende der Kündigungsfrist) gilt,
sondern der Zugang der Kündigung. Dem hat sich das BAG dann unter Aufgabe seiner
vorherigen Rechtsprechung ausdrücklich angeschlossen (BAG 23. März 2006, Az. 2 AZR
343/05). Konnte vorher also der Arbeitgeber insbesondere bei längeren Kündigungsfris-
ten erst einmal die Kündigungen aussprechen und dann in Ruhe die Massenentlassungs-
anzeige erstatten, so muss er dies heute vor Ausspruch der Kündigung machen.
Erst die Anzeige, dann die Kündigung
RÜCKBLICK
Bereits im Jahr 2010 beschäftigte sich der EuGH mit der Frage, ob der Vorstand einer
lettischen Aktiengesellschaft (AG) ebenfalls unter den Arbeitnehmerbegriff fällt. Die
Parallele zum deutschen Recht zu ziehen, ist allerdings nicht ohne Weiteres möglich.
In dem Verfahren (Az. C-232/09; „Danosa“) entschied der EuGH, dass ein weiblicher
Vorstand einer lettischen AG ohne eigene Unternehmensbeteiligungen für die Dauer der
Schwangerschaft dem Mutterschutz der Richtlinie 92/85/EWG unterfällt und deshalb ihre
Abberufung aus dem Amt im Wesentlichen wegen der Schwangerschaft unwirksam sei.
Auch hier hielt der EuGH alleine den europäischen Arbeitnehmerbegriff für anwendbar
und entschied für die Arbeitnehmereigenschaft im Wesentlichen aufgrund der Weisungs-
gebundenheit gegenüber dem Aufsichtsrat. Die Stellung eines lettischen (Fremd-)Vor-
stands soll ähnlich der Stellung des deutschen Fremd-Geschäftsführers einer GmbH sein.
Die herrschende Auffassung der Literatur geht noch davon aus, dass diese Entscheidung
keine Auswirkungen auf den Vorstand einer deutschen AG hat, weil dieser nicht gleicher-
maßen weisungs-, sondern nur ausnahmsweise an Beschlüsse der Hauptversammlung, §
119 Abs. 2 Aktiengesetz (AktG), gebunden ist. Außerdem kann der Vorstand – anders als
im EuGH-Fall – nach § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG nur aus wichtigem Grund abberufen werden.
Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH dies auch so sehen wird.
Die „Danosa“-Entscheidung des EuGH
RÜCKBLICK
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