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10/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
prägen. Antworten liefert eine qualita-
tiv-empirische Studie, die wir im Früh-
jahr 2016 durchgeführt haben. Als Basis
dienten 962 Freitextkommentare von
Bewerbern, die für die „Candidate Ex-
perience Awards DACH 2015“ zu ihren
Erlebnissen bei der Jobsuche befragt
wurden. Insgesamt beschrieben sie 417
positive und 545 negative Erlebnisse, die
inhaltsanalytisch ausgewertet wurden.
Zentrale Einflussfaktoren
•Transparenz: Ein hohes Maß an Trans-
parenz, das durch aussagekräftige Stel-
lenausschreibungen erzeugt werden
kann, erleben Bewerber als positiv. Es
ermöglicht ihnen, sich ein realistisches
Bild vom Arbeitgeber und dem Jobange-
bot zu verschaffen und dieses Bild mit
den eigenen Anforderungen an einen
Arbeitgeber und eine Stelle abzuglei-
chen. Zudem ist eine Transparenz über
den Ablauf und Stand des Recruiting-
prozesses wichtig für die Candidate
Experience. Bewerber empfinden das
Bereitstellen von Informationen zum
Prozedere als positiv. „Unklare Anforde-
rungen zu erwartetem Umfang und Art
der zu hinterlegenden Informationen“
werden als negativ wahrgenommen.
•Fairness: Die Candidate Experience
wird auch durch die Gerechtigkeit und
Professionalität der Personalauswahl
geprägt. Bewerber empfinden es als po-
sitiv, wenn sich Personaler „ehrlich, auf-
richtig, konsequent und fair gegenüber
allen Beteiligten“ verhalten und wenn
Personalauswahlinstrumente zum Ein-
satz kommen, die es ihnen ermöglichen,
ihre Fähigkeiten und Kenntnisse zu
zeigen. Darüber hinaus spielt die indi-
viduelle Wertschätzung der Person und
Qualifikation des Bewerbers eine Rolle.
Bewerbern das Gefühl zu vermitteln,
dass ihre „Qualifikation und Berufser-
fahrung gebraucht“ wird, beeinflusst
die Candidate Experience positiv. Glei-
ches gilt, wenn Bewerbern ein (telefoni-
sches) Feedback „mit individuellen Be-
gründungen, warum es zu einer Absage
gekommen ist” gegeben wird.
•Beziehungsorientierung: Die Candida-
te Experience wird durch ein hohes Maß
an dialogischer Kommunikation, die Be-
werber zu „aktiven, gleichberechtigten
Gesprächsteilnehmern“ macht, positiv
geprägt. Darüber hinaus begrüßen Be-
werber es, wenn Unternehmen gezielt
Beziehungsaufbau und Beziehungspfle-
ge betreiben, also den Kontakt aufrecht-
erhalten, „auch wenn es keine konkre-
ten Stellenangebote gibt“.
•Gestaltung des Recruitingprozesses:
Ein weiterer Einflussfaktor ist die Dauer
des Prozesses. Bewerber nehmen eine
schnelle Rückmeldung nach einzelnen
Prozessschritten und einen zügigen
Recruitingprozess normalerweise als
positiv wahr. Im Fall einer unkommen-
tierten Absage kann allerdings auch
eine sehr schnelle Rückmeldung zu
negativer Candidate Experience füh-
ren, denn „drei Stunden nach Versand
der Bewerbung bereits eine Absage zu
erhalten, die angeblich nach reiflicher
Überlegung war”, kann Zweifel an der
Gewissenhaftigkeit und Fairness der
Personalauswahl hervorrufen. Zudem
ist die Benutzerfreundlichkeit des Be-
werbungsportals für die Candidate Ex-
perience von Bedeutung. Bewerber freu-
en sich, „wenn alles schnell und einfach
geht und [sie] (…) Dokumente als PDF
hochladen“ können. Die Realität sieht
jedoch oft anders aus: „Viele Online-
Bewerberportale sind absolut furchtbar,
kaum verständlich und bei Weitem nicht
zeitgemäß“. Auch die organisatorischen
Rahmenbedingungen haben Auswir-
kungen auf die Candidate Experience:
„Zwischen Tür und Angel“ stattfinden-
de Vorstellungsgespräche oder fehlende
Termintreue können negative Candidate
Experience hervorrufen, während Auf-
merksamkeiten wie die „Bereitstellung
von Verpflegung“ im Vorstellungsge-
spräch positiv erlebt werden.
Ansatzpunkte zur Verbesserung
Aus den Studienergebnissen lassen sich
erste Handlungsempfehlungen für Un-
ternehmen ableiten, die die Candidate
Experience ihrer Bewerber in Zukunft
verbessern wollen:
•Sorgen Sie für ein hohes Maß an
Transparenz, indem Sie aussagekräftige
Stellenausschreibungen verfassen und
die einzelnen Bewerbungsschritte sowie
die Gesamtdauer des Prozesses auf der
Karrierewebseite oder im persönlichen
Kontakt erläutern.
•Schaffen Sie Fairness, indem Sie nach-
vollziehbare Kriterien der Personal-
auswahl und professionelle Auswahl-
instumente anwenden und Bewerber
wertschätzend behandeln. Begründen
Sie Ihre Absagen gegenüber den Bewer-
bern.
•Erreichen Sie ein hohes Maß an Bezie-
hungsorientierung, indem Sie eine per-
sonalisierte Bewerberkommunikation
und ein professionelles Talent Relation-
ship Management einsetzen.
•Sensibilisieren Sie alle am Recruiting-
prozess Beteiligten für die Bedeutung
und die Einflussfaktoren der Candidate
Experience.
Bewerberkontaktpunkte analysieren
Zusätzlich zu diesen allgemeinen Hand-
lungsempfehlungen können eine un-
ternehmensspezifische Analyse von
Bewerberkontaktpunkten und die Befra-
gung von Kandidaten zu ihren Erlebnis-
sen im Bewerbungsprozess hilfreiche
Hinweise für eine weitere Verbesserung
der Candidate Experience liefern. Maß-
nahmen zur Verbesserung der Candi-
date Experience sollten jedoch nicht zu-
lasten der prognostischen Validität der
Personalauswahl gehen und sie sollten
ökonomisch sinnvoll sein.
DR. HENNING RODE
ist bei
Thyssenkrupp Materials im
strategischen Personalma-
nagement tätig.
WOLFGANG BRICKWEDDE
ist Leiter des Institute for
Competitive Recruiting (ICR)
mit Sitz in Heidelberg.
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