Wirtschaft und Weiterbildung 3/2019 - page 30

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
03_2019
das wahre Selbst mit den New-Work-Me-
thoden? Beispiele:
• Ich bin neugierig.
• Ich freue mich auf die neue Freiheit,
nach meinem Ermessen entscheiden
zu können.
• Ich bin auch unsicher, weil ich noch
nicht genug weiß. Aber ich kann die
Unsicherheit aushalten.
• Ich lasse den Dingen Zeit, sich zu ent-
wickeln.
• Ich vertraue darauf, dass ich mir zu
jeder Zeit eine Meinung bilden kann,
und muss es nicht sofort tun.
• Ich fühle mich innerlich emotional ver-
bunden mit meiner Königs- und Krie-
gerkraft und dadurch grundsätzlich
entscheidungs- und handlungsfähig.
Man kann sich leicht vorstellen, dass
das Pilotprojekt ohne Bewusstseinsar-
beit und Persönlichkeitsarbeit nicht das
Potenzial gezeigt hat, das die Methode
beinhaltet. Und aus dem unbewussten
Wunsch, lieber im vertrauten Bereich der
Ego-Komfortzone zu bleiben, wurde der
Pilot beendet und eine Gesamteinführung
abgelehnt. Für Stefan ein persönlicher
Rückschlag. Für die Zukunftsfähigkeit
des Unternehmens eine katastrophale
Entscheidung.
Führung, wie wir sie bisher kennen, wird
in der New Work nicht mehr erforderlich
sein. Heutige Führungskräfte und Mana-
ger werden zu transformationalen Un-
terstützern auf dem Weg der Individuen
und des Kollektivs bei all den kleinen
und großen Entscheidungen zwischen
Ego-Bedürfnissen und Sinn/Wesentlich-
keit. Selbstverständlich wird es auch in
Zukunft Ego-Bedürfnisse geben. Eine
Führungsfunktion in der Zukunft hilft
den Kollegen einerseits, die Bedürfnisse
des Individuums nach Sicherheit, Zuge-
hörigkeit und Anerkennung zu stabili-
sieren, sowie andererseits diese nicht als
Hauptfaktor der Motivation anzusehen
und sie darüber hinaus zu entwickeln.
Analog der alten Motivationslehre von
Frederick Herzberg kann man künftig
die klassischen Ego-Bedürfnisse eher als
Hygiene-Faktoren bezeichnen und den
kollektiven Beitrag und die Sinnhaftigkeit
als Motivatoren. Dafür müssen die Füh-
rungskräfte ihre eigene Ego-Struktur/Per-
sönlichkeitsstruktur kennen und sich ein
ganzes Stück über sie hinaus entwickelt
haben. Keiner kann seine Struktur so ein-
fach ablegen, aber sich weniger davon
dominieren lassen. Die Ego-Struktur ver-
hindert den bewussten Umgang mit der
Realität und fokussiert sich immer auf
das Ich. Die Ego-Struktur beinhaltet:
• alles, was definiert ist (psychologisches
Betriebssystem)
• den inneren Richter/inneren Kritiker
(Super-Ego/Über-Ich)
• das Bemühen, ein bestimmtes Bild von
sich abzugeben
• die emotionalen Reaktivitäten und
• die durch Prägung entstandenen Be-
dürftigkeiten bezüglich Sicherheit, Zu-
gehörigkeit und Anerkennung (Ebenen
1 bis 3).
Es ist auch die Ego-Struktur, nicht die
gerne zitierten wirtschaftlichen Erforder-
nisse, die verhindert, die hier dargestellte
Bewusstseinsarbeit und die Förderung
der kollektiven Intelligenz einzuführen.
Schließlich verspricht ja die hierarchische
Struktur die Erfüllung einiger Ego-Bedürf-
nisse, was sie allerdings nur sehr bedingt
aushalten kann. Bereits Einstein wusste,
dass sich Probleme nicht auf der Ebene
lösen lassen, auf der sie entstehen. Otto
Scharmer benennt in seiner „Theorie U“
über Veränderungsarbeit diesen Aspekt
als „Presencing“, das heißt ein „Anwe-
sendwerden im Sinne unserer höchsten
zukünftigen Möglichkeit“. Die Wertschöp-
fung und Transformation vollzieht sich
durch den Weg des „U“. Es geht darum,
die gewohnten Denkmuster zurückzuhal-
ten, sich dann in die Stille und Reflexion
zu begeben, um danach im „Prototyping“
in schöpferischer Weise umzusetzen, was
klar geworden ist.
Wie wachsen wir über unser
Ego hinaus?
Anweisung, Forderung und Appell greifen
definitiv nicht, wenn man möchte, dass
Menschen über ihr Ego hinauswachsen.
Es bedarf eines respektvollen Verstehens
in einem Rahmen, der sich für den in-
neren Richter so sicher anfühlt, dass die
Ego-Mechanismen nicht gleich die Schot-
ten dicht machen. Verständnis und ge-
zielte Unterstützung helfen,
• den inneren Richter zu entmachten
• sich der eigenen Ego-Prägungen und
-Bedürfnisse bewusst zu werden
• das wahre Selbst dahinter zu erkennen
• zur Personal Mastery zu finden – Ent-
scheidungen treffen aus der Motivation
des wahren Selbst heraus anstatt aus
den vorbewussten Ego-Drives.
Dieser Entwicklungsschritt funktioniert
nur dann und genau dann, wenn die re-
flektierende Selbstbetrachtung in einer
absolut würdigenden und respektvollen
Weise geschehen kann. Jegliche Selbst-
verurteilung wäre kontraproduktiv. Dazu
muss zunächst der innere Richter er-
kannt und vom bewussten erwachsenen
Ich gemanagt werden. Dann werden be-
stimmte Bereiche der Prägung erkennbar
und differenzierbar. Erst wenn wir selbst
erkennen, was wir gar nicht selbst sind,
sondern nur hinzugenommen haben,
können wir es loslassen und mehr von
dem erkennen, was wir eigentlich sind.
Uns ist noch kein Fall begegnet, bei dem
hinter den Prägungen nicht ein Mensch
steht, der gerne zu etwas Sinnvollem bei-
tragen möchte.
Organisationen, die dem Kollektiv der
Führungskräfte und Manager die Tür zu
diesem wesentlichen Schritt öffnen, er-
zeugen damit nicht nur eine Transforma-
tion auf der individuellen Ebene, sondern
auch den Schritt von der Ich- zur Wir-Kul-
tur. Durch eine organisatorische Imple-
mentierung dieses Entwicklungsschritts
wird ermöglicht, die Ego-Dynamik in der
Organisation und ihre Auswirkung auf
die aktuell wichtigsten geschäftlichen
Herausforderungen besprechbar zu ma-
chen und damit erst wirksam zu mana-
gen. Erhöhte persönliche Verantwortung,
Mut und Bewusstsein zum Ansprechen
innerer Wahrheiten und damit zum He-
rausfordern von Routinen ermöglichen
einen aktiven Umgang mit den Ansätzen
der New Work.
Fazit:
Die Zeit ist reif, die individuelle und
kollektive Bewusstseinsentwicklung auch
in der Wirtschaft auf den Weg zu bringen.
Aus unserer Sicht wird der Erfolg einer
Organisation künftig nicht nur davon ab-
hängen, wie schnell ein Unternehmen auf
die komplexe Welt reagieren, sondern in
hohem Maße auch davon, was die Orga-
nisation zur Entwicklung der Welt beitra-
gen kann. Und damit lautet die eigent-
liche Frage: Wie viel Ego kann sich ein
Unternehmen heute noch leisten?
Cornelia und Christopher Weber-Fürst
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