Wirtschaft und Weiterbildung 3/2019 - page 29

wirtschaft + weiterbildung
03_2019
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erforderlich, unsere Wahrnehmung zu
schulen dafür, was anstelle der Sicht aus
unseren Persönlichkeitsmustern die ak-
tuelle Realität ist, und dafür, was unser
Wesen möchte. Als Wesen bezeichnen
wir hier das wahre Selbst, das eigentliche
Ich, das schon da war, bevor wir geprägt
wurden, unsere originäre innere Größe,
in der unser Potenzial liegt. Wer sich
damit noch nicht beschäftigt hat, kann
vielleicht anhand der Begriffe „wichtig“
und „wesentlich“ eine erste Unterschei-
dung erkennen. Unserem Ego ist vieles
wichtig, aber wesentlich ist es deswegen
noch lange nicht. Üblicherweise haben
wir in keiner Phase unseres Lebens ge-
lernt, wie wir uns an unserem Wesen,
unserem wahren Selbst orientieren kön-
nen. Anpassung bis hin zur Normopathie
oder gegenteilig die Rebellion haben uns
geholfen, uns sozial und existenziell si-
cher zu fühlen. Beides verhindert, dass
wir zeigen können, wie und was wir ei-
gentlich sind. Wir sind gefangen in un-
seren inneren Mustern und Definitionen
über uns, über andere und darüber, wie
das üblicherweise zwischen uns läuft,
mit emotionaler Note. Diese sogenannte
Objektbeziehung ist ähnlich wie ein Be-
triebssystem unsichtbar in der Anwen-
dung. Sie liegt jedoch allem zugrunde
und wird leider weder bewusst noch
hinterfragt. Und unsere innere Aufpasser­
instanz, der innere Richter, hat dazu Defi-
nitionen entwickelt, wie wir idealerweise
sein sollten (Ego-Ideal) und womit wir
anerkannt (Ebene 3), gemocht (Ebene 2)
und existenziell sicher (Ebene 1) sind. Er
tut viel dafür, dass wir das unser ganzes
Leben so fortsetzen. Ohne Bewusstseins-
arbeit, das heißt ohne die Arbeit, sich
dieser Muster bewusst zu werden, kön-
nen wir uns selbst nicht erkennen. Wir
navigieren durch Leben und Job aufgrund
vermeintlicher Notwendigkeiten als ein
leider sehr einschränkend definierter
Mensch, der sich mit seinen Bedürfnissen
beschäftigt, immer wieder in emotionale
Reaktivitäten gerät und für das Wesentli-
che keine Kapazitäten mehr frei hat. Im
Wesentlichen, in unserem Wesen aber
liegt die Kraft, unser Potenzial zu entfal-
ten und es der Gemeinschaft beitragend
zur Verfügung zu stellen. Wenn wir nicht
angeregt und unterstützt werden, unser
wahres Selbst jenseits der Muster zu er-
leben und als Quelle der Orientierung zu
nutzen, sind wir im Dauerstress mit den
Ansprüchen und Attacken unseres inne-
ren Richters und der Image-Orientierung
unseres Egos beschäftigt. Sowohl persön-
lich als auch für die Organisation müssen
wir lernen, davon unabhängig zu werden
und mit unseren unbefriedigten Ego-
Bedürfnissen bewusst und angemessen
umzugehen.
„Innerer Richter“ und das Ego
sind aktiv
Am Beispiel von Stefans Arbeitgeber wol-
len wir zeigen, wie diese inneren Anteile
mit den New-Work-Methodiken umge-
hen. Folgen wir also dem Implementie-
rungsprozess des Piloten in der IT-Abtei-
lung. In einer Abteilungsversammlung
wird die Methodik präsentiert. Unab-
hängig davon, was die Mitarbeiter sagen
(wobei sich die meisten eher still ver-
halten), sind bei jedem Mitarbeiter und
Teamleiter der innere Richter und das Ego
aktiv. Was macht der innere Richter der
Mitarbeiter und Führungskräfte mit den
New-Work-Methoden? Beispiele:
• Er findet sie nicht gut. Er wertet sie ab.
Moderner Firlefanz!
• Er hat Angst, weil er die Orientierung
in dieser neuen Arbeitswelt nicht ein-
schätzen kann. Was ist denn hier dann
die Vorgabe?
• Er ist unsicher und will, dass ich jetzt
schon weiß, was auf mich zukommt
und wie ich es machen werde. Er
stresst mich. Er will, dass ich alles so-
fort beherrsche.
Was macht das Ego mit den New-Work-
Methoden? Beispiele:
• Ich zeige mich dem gegenüber offen.
Aber es kränkt mich, dass meine bishe-
rige Funktion als Führungskraft künftig
nicht mehr so viel wert sein soll.
• Ich betone, was davon ich schon kann.
• Ich krame all das aus, was ich kenne,
und wende es darauf an.
• Ich versuche, die Methoden für meinen
Vorteil zu nutzen.
• Ich suche mir eine bequeme Nische.
• Ich suche mir Leute, mit denen gemein-
sam ich die Methodik auf Abstand hal-
ten kann/mich schützen kann - zum
Beispiel durch Abwertung („Jetzt wird
schon wieder eine neue Sau durchs
Dorf getrieben“).
• Ich nutze meine bisherige Machtpo-
sition, um die Methoden abzulehnen
oder andere dazu aufzufordern.
Spannend ist, wie die Mitarbeiter und
Teamleiter reagieren würden, wenn sie
sich bereits über ihre Ego-Struktur hi­
naus entwickelt hätten, entweder durch
eigene Bewusstseinsarbeit oder durch die
Sogwirkung einer ego-freien Kultur durch
eine kritische Masse an bewussten Ma-
nagern und Führungskräften. Was macht
Cornelia
Weber-Fürst
ist selbstständige
Beraterin und Coach
(ICF) und Hauptauto-
rin von „Potenzialorientiertes Coaching –
Ein Praxishandbuch“. Gemeinsam mit
ihrem Mann bietet sie offene/firmenin-
terne Programme zur Persönlichkeits-
Bewusstseins-Arbeit an: „Triple A Leader-
ship: Awareness – Autonomy – Authen-
ticity“.
Coaching-House
Maximilianstr. 43, 80538 München
Tel. 089 17117850
AUTOREN
Weber-Fürst
ist selbstständiger
Berater und Coach
(ICF) für Persön-
lichkeitsentwicklung und Organisati-
onsentwicklung. Als Strategic Futurist
begleitet er Organisationen und Teams
in der Transformation zu Teal. Er ist Autor
des Buchs „The Future is Female“ und
Co-Autor des Buchs „Vision – Mission –
Werte“.
Coaching-House
Maximilianstr. 43, 80538 München
Tel. 089 17117850
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