Wirtschaft und Weiterbildung 3/2019 - page 25

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wirtschaft + weiterbildung
03_2019
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Mit „Ego“ ist hier in diesem Artikel nicht
etwa Egoismus gemeint, der landläufig
als überhöhte Selbstversorgung interpre-
tiert wird. Als Ego gilt die persönliche
Prägung, die einerseits wichtig ist, um
uns selbst zu stabilisieren, und anderer-
seits oft den angemessenen Umgang mit
der Realität verhindert. Der Veränderung,
die in der Arbeitswelt ansteht, stehen
Ego-Bedürfnisse nach Sicherheit, Zuge-
hörigkeit und Anerkennung im Weg (ein
Fallbeispiel erläutert gleich die genauen
Zusammenhänge).
Der Paradigmenwechsel von autoritätsori-
entierter Hierarchie zu einer selbstorgani-
sierenden Arbeitswelt steht unabdingbar
vor der Tür. Unabdingbar deswegen, weil
sich Organisationen künftig weder einen
langen Entscheidungsweg über die Hie­
rarchieebenen noch den Verzicht auf die
kollektive Intelligenz leisten können. Die
neue Arbeitswelt lässt sich aber nicht mit
neuen Tools herbeiführen. Nötig ist sogar
mehr als ein neues „Mindset“: Es braucht
Bewusstseinsarbeit, um in jedem Betei-
ligten eine Stabilität und Orientierung
jenseits des Egos zu ermöglichen, sonst
können wir uns nicht über die Rigidität
einer hierarchischen Struktur und die
Orientierung an individuellen Leistungen
hinausentwickeln.
New Work heißt auch
„egofreier Raum“
Der Kern von New Work heißt „selbstver-
antwortlich etwas beitragen“. Die darin
enthaltene Verantwortungs- und Macht-
delegation braucht die persönliche Hal-
tung jedes Beteiligten, etwas zum Ziel
einer Organisation beitragen zu wollen.
Dazu muss man darauf verzichten, die
eigenen Egobedürfnisse zu versorgen.
Nur wer diesen zugrunde liegenden Kern
erkennt und persönlich lebt, kann glaub-
haft New Work erschaffen. Um Methoden
wie „Agility“, „Holacracy“ und „Design
Thinking“ wirksam werden zu lassen,
bedarf es bei allen wichtigen Managern
einer grundlegend anderen inneren Ori-
entierung. Die Organisationskultur muss
in einen egofreien Raum transformiert
werden. Erst wenn sich Manager und
Führungskräfte über ihre eigenen un-
befriedigten Egobedürfnisse hinaus ent-
wickelt haben und sich einem höheren
Sinn widmen, können sie (von dieser Be-
wusstseinsebene aus) führen. Nur so er-
zeugen sie das wahrhaftige „Wir“. Dieser
Schritt fordert jeden einzelnen Manager
persönlich heraus. Er benötigt zusätzlich
eine organisatorische Implementierung,
die gezielt die Macht der Egos ablöst
und eine „wesentliche“ Kultur und eine
sinnorientierte Organisation entstehen
lässt. Auch wenn dies aus Sicht der der-
zeit gelebten Praxis (der Orientierung an
Pflicht und am eigenen Vorteil) utopisch
erscheint, sind wir doch in der Lage, eine
solche Kultur zu erschaffen – mit geziel-
ter Bewusstseinsarbeit einer kritischen
Masse von Managern und Führungskräf-
ten. Ein Training der New-Work-Methodi-
ken allein reicht nicht aus, sondern birgt
nur die Gefahr, dass die Methodiken ihre
Substanz verlieren und für die Egobedürf-
nisse der Einzelnen missbraucht werden.
In Anlehnung an Peter Druckers berühm-
ten Satz „Culture eats strategy for break-
fast!“ passt hier der Satz: „Ego-Drives eat
new work for breakfast!“
Beispiel: HR-Direktor will
etwas Neues etablieren
Stefan ist HR-Direktor eines internationa-
len mittelständischen Unternehmens mit
2.300 Mitarbeitern. Er findet die New-
Work-Ansätze interessant und möchte
diese in seiner Firma nutzen. Dazu lässt
er sich von einigen Anbietern die New-
Work-Methodiken vorstellen und entwi-
ckelt daraus eine Präsentation für den
Vorstand. Dieser stellt kritische Fragen,
die Stefan nicht sofort beantworten kann.
Um diese vermeintliche Kompetenzlücke
zu überspielen und seine Akzeptanz beim
Vorstand zu sichern, ergänzt er selbst ein
paar kritische Bedenken. Wieso tut er
das, obwohl er doch innerlich überzeugt
ist, dass seine Firma die New-Work-
Ansätze integrieren muss, um zukunfts-
fähig zu sein? Sowohl seitens des Vor-
stands als auch seitens von Stefan sind
hier vorbewusste Ego-Drives dominant.
Der Vorstand hat seine Kompetenz durch
kritische Fragestellungen bewiesen und
dadurch seinerseits kein sicheres Feld ge-
schaffen, auf dem die an ihn herangetra-
genen Anliegen neutral betrachtet werden
können. Stefans innere Schutzfunktion
(Super-Ego/Über-Ich/innerer Richter)
reagiert sofort auf die imaginierte Gefahr
eines Ansehens- oder gar Jobverlusts und
hindert ihn innerlich daran, für seine
„Wahrheit“ einzutreten. So wird diese
kleine Dynamik ausschlaggebend dafür,
ob New Work eingeführt wird oder nicht.
Fachbegriff
Was steckt dahinter?
New Work
Erstmalig von Frithjof H. Bergmann geprägter Begriff, der als Sammelbegriff
für die entstandenen und entstehenden Methoden der selbstorganisierten
Zusammenarbeit genutzt wird – jenseits der Steuerung durch die Hierar-
chie. New Work bedeutet auch, den Mitarbeitern persönliche Erfüllung zu
ermöglichen und Raum für Kreativität zu geben.
Teal
Bezeichnung einer Farbe, die für ein Organisationsbewusstsein steht, das
die bisherigen Orientierungen integriert und gleichzeitig über sie hinaus-
geht. Das ist ein Begriff, der hauptsächlich von Frederik Laloux, Don E. Beck
(Spiral Dynamics) und Ken Wilber etabliert wurde.
Holacracy
Methodik, wie Befugnisse und Entscheidungen in selbstorganisierten
Teams genutzt werden.
Agility
In der Wirtschaft bezeichnet dieser Begriff ganz allgemein die Anpassungs-
fähigkeit von Systemen an die Veränderung der Umwelt.
Scrum
Aus der Softwareentwicklung stammende Methode der schrittweisen und
damit agilen Annäherung an die Lösung komplexer und volatiler Probleme,
wobei die Ganzheitlichkeit der Methode durch das Team sichergestellt wird.
Design
Thinking
Iterative Problemlösungsmethode, die ähnlich wie Scrum durch Reflexions-
schleifen in einem interdisziplinären Team eine agile Anpassung ermöglicht.
„New Work“ einfach erklärt
Definitionen.
Kurze, knappe Erläuterungen zu Begriffen des
„New Work“, die in diesem Artikel vorkommen.
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