Wirtschaft und Weiterbildung 3/2019 - page 18

titelthema
18
wirtschaft + weiterbildung
03_2019
04.
Roboter
sind noch lange
keine selbstreferenziellen
Systeme wie die Menschen
05.
Coaching-Bots
bieten derzeit
in Tests viel heiße Luft mit
wenig Substanz
06.
Künstliche Intelligenz
kann
sich nicht auf der Meta-Ebene
mit Menschen unterhalten
R
Alles, was Sie über künstliche Intelligenz
wissen müssen, ist: Es gibt sie nicht!
Diese Aussage ist zwar vollständig und
richtig, reicht aber nicht, um an der aktu-
ellen Debatte teilzunehmen und sich eine
eigene Meinung zu bilden.
„Starke“ künstliche Intelligenz würde be-
deuten, die Vorgänge im Gehirn des Men-
schen abzubilden und nachzuahmen.
Dazu gibt es, Stand heute, noch nicht
einmal Forschungsprojekte. Wir sprechen
im öffentlichen Diskurs von „schwacher“
künstlicher Intelligenz. Diese zu definie-
ren ist schwierig, weil es selbst in der
Informatik keine eindeutige Bestimmung
des Begriffs gibt. Es ist ein Sammelbegriff
für Teilgebiete wie Big Data, Algorithmen,
Expertensysteme, maschinelles Lernen
und Data Science. Auch wenn zurzeit
jede noch so simple App als künstliche
Intelligenz tituliert wird, ist längst nicht
überall künstliche Intelligenz drin, wo
künstliche Intelligenz draufsteht. Unter
Informatikern ist es üblich, diese Be-
zeichnung erst zu benutzen, wenn über
„maschinelles Lernen“ gesprochen wird!
Das ist, meiner Ansicht nach, eine gute,
sinnvolle Näherung.
Was ist ein Algorithmus?
Mindestens zwei Begriffe aber sollte jeder
Mensch, der als mündiger Bürger in un-
serer digitalisierten Welt lebt, verstehen:
Algorithmus und maschinelles Lernen.
Man beachte dabei, dass Computer aus-
nahmslos nur wohldefinierte Probleme
lösen können.
„Die Algorithmen werden immer
schlauer“, heißt es oft und gerne, stimmt
aber leider gar nicht. Klären wir also, was
ein Algorithmus ist. Das ist einfach, denn
unser Alltag besteht aus vielen, vielen
Algorithmen. Wenn Sie Socken stricken,
duschen gehen, sich ein Brot schmieren
oder Muffins backen, folgen sie einer
Handlungsanweisung. Sie arbeiten be-
stimmte Schritte ab, um ein Problem zu
lösen. Das ist ein Algorithmus. Für das
Backen von Muffins sieht er eventuell fol-
gendermaßen aus:
• Alle Zutaten verrühren und bei 200
Grad Celsius circa 20 Minuten gold-
braun backen
• 125 Gramm weiche Butter
• 125 Gramm Zucker
• 1 Päckchen Vanillezucker
• 2 Eier trennen
• 200 Milliliter Milch
• 200 Gramm Mehl
• 1/2 Päckchen Backpulver.
Für einen backerfahrenen Menschen rei-
chen diese Informationen, für eine Ma-
schine ist dieser Algorithmus schlecht
formuliert. Er ist unpräzise („circa“ kann
ein Rechner nicht verarbeiten), es fehlen
Details (Wie geht Eier trennen?), die Rei-
henfolge der Arbeitsschritte ist nicht klar
(Backen kommt vor den Zutaten und dem
Eiertrennen). Damit eine Maschine so
etwas Simples wie ein Muffinrezept ver-
steht, muss der entsprechende Algorith-
mus explizit, Schritt für Schritt, mit defi-
niertem Ende und einem klaren Ergebnis
formuliert sein. Es sollen ja schließlich
nach einer endlichen Zeit immer Muffins
dabei herauskommen und nicht auf ein-
mal Brathähnchen.
Diese expliziten Algorithmen sind immer
nur genauso schlau oder dumm wie ihre
Programmierer. Und sie enthalten deren
Menschenbild, ihre Vorurteile und Stereo-
type! „Aber wir haben doch mittlerweile
„Künstliche Neuronale Netze“ (KNN).
„Die bilden das menschliche Gehirn nach
und lernen selbstständig“, kommt häufig
Angstmacherei funktioniert da besonders
gut, wo Wissen fehlt. Erstaunlicherweise
sind unter den Angstmachern sehr viele
Menschen ohne technisches Hintergrund-
wissen, dafür aber ausgestattet mit vielen
Buzzwords wie „disruptiv“ oder „selbst-
lernend“.
Wenn wir ernsthaft über eine Bedrohung
beratender Berufe durch die künstliche
Intelligenz sprechen wollen, brauchen
wir das passende Vokabular und die pas-
sende Betrachtungstiefe. Mantraartig zu
wiederholen, dass die Software „Alpha
Go“ den weltbesten Go-Spieler besiegt
hat und sich das Spielen auch noch selbst
beibrachte, ist genauso halb wahr wie die
unsinnige Kategorisierung von Büchern
auf der Amazon-Plattform. Zunächst
sollten wir Begriffe wie
• Intelligenz
• Emotion
• Empathie
• Lernen
• Wertschätzung
• Gefühle
• Kreativität
• komplexe Aufgaben lösen
• Denken
• Bewusstsein
• Ideen
• Intuition
• Erfahrung oder Erkenntnis
nicht mehr verwenden, wenn wir über
Maschinen sprechen. All das haben Ma-
schinen nicht und können Maschinen
nicht tun. Diese Begriffe sorgen aber
dafür, dass wir beginnen, die „Metall-
teile“ als Wesen zu betrachten. Es gibt
aber nun einmal keine künstliche Intelli-
genz, die etwas entscheidet oder tut, weil
sie das gerne möchte. Schauen wir auf
ein paar notwendige Begriffe und geben
ihnen die passende Bedeutung.
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