Wirtschaft und Weiterbildung 3/2019 - page 12

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wirtschaft + weiterbildung
03_2019
Bernhard Kuntz
Gute Berater zeichnen sich auch dadurch aus, dass
sie eine klare Sprache sprechen. Beim Formulieren
ihrer Selbstportraits lassen viele Berater diese
Kompetenz vermissen. Viele Berater entpuppen
sich auf ihrer Webseite als wahre Storytelling-
Künstler in Sachen Selbstdarstellung. Einkäufer in
den Unternehmen denken sich ihren Teil, wenn sie
lesen, Berater X …
... sammelte langjährige Führungserfahrung in nam­
haften Unternehmen. Das kann auch heißen: Der
Berater leitete einige Zeit eine Putzkolonne. Dann
wurde er wieder entlassen.
... zählt zu seinen Kunden namhafte Unternehmer
und Personen des öffentlichen Lebens. Das kann
auch heißen: Der Berater kennt den Vorsitzenden
des örtlichen Gewerbevereins und organisierte
schon mal einen Basar für den Lions-Club.
... ist auch ein gefragter Redner und Keynote Spea­
ker. Das kann auch heißen: Der Berater wäre
gerne kein Nobody mehr und ist deshalb bei meh­
reren Redner-Agenturen gelistet.
... studierte Rechts- und Ingenieurwissenschaften
sowie BWL und Psychologie. Das kann auch
heißen: Der Berater war für diese Studiengänge
jeweils ein, zwei Semester eingeschrieben, hat
jedoch keinen akademischen Abschluss.
... gilt laut XY-Zeitung oder XY-Magazin als der füh­
rende Experte auf seinem Gebiet. Das kann auch
heißen: Die betreffende Zeitschrift veröffentlichte
auf ihrer Webseite oder in einer Sonderbeilage
einen „gesponserten“ Artikel von ihm und publi­
zierte darunter dieses Eigenlob, weil der Berater
für die Veröffentlichung bezahlt hat.
... ist ein namhafter Blogger und Influencer zum
XY-Thema. Das kann auch heißen: Seine Werbe­
agentur riet ihm wegen ausbleibender Anfragen:
„Versuch‘s doch mal mit einem Blog und Insta­
gram oder in den Spuren von Donald Trump mit
Twitter“.
... wurde mit dem XY-Gütesiegel ausgezeichnet. Das
kann auch heißen: Der Berater bezahlte einen
vierstelligen Betrag dafür, dass er mit dem „Güte­
siegel“ werben darf – wie alle anderen Berater,
die hierfür bezahlten.
... ist Lehrbeauftragter an mehreren renommierten
Hochschulen. Das kann auch heißen: Er hält ab
und zu (fast) unentgeltlich Vorlesungen an einer
privaten Hochschule, weil dies seine Biografie
schmückt.
... ist ein Trendsetter und Vordenker. Das kann auch
heißen: Der Berater glaubt, seine zu Hause, im
„stillen Kämmerchen“ gedachten Gedanken
seien einzigartig und revolutionär.
... weiht Sie in die Geheimnisse erfolgreicher Ver­
käufer (oder innovativer Hirnforscher) ein. Das
kann auch heißen: Der Berater schaute schon
mal den Verkäufern auf dem Hamburger Fisch­
markt über die Schultern und/oder las einen
pseudo-wissenschaftlichen Schmöker.
... machte mit seinem Unternehmen Pleite und
startete danach ein fulminantes Comeback. Das
kann auch heißen: Der Berater ist eine routinierte
Plaudertasche, die in den Seminaren immer wie­
der wie eine hängen gebliebene Schallplatte von
ihrer glorreichen Wiederauferstehung erzählt.
... arbeitet systemisch. Das kann auch heißen: Er
schaut ab und zu auch mal interessiert nach links
und rechts und erzählt gerne, dass alles mit allem
zusammenhängt.
... beriet in den letzten zehn Jahren über 1.000
Unternehmen und schulte 100.000 Mitarbeiter.
Das heißt ganz bestimmt: Der Berater beherrscht
noch nicht die Grundrechenarten, denen zufolge
1+1 einfach nur 2 ist und nicht 100.
Die Liste der „Bonmots“, die man auf Berater-Web­
seiten findet, ließe sich endlos fortsetzen. Gemein­
sam ist ihnen: Alle Aussagen sind nicht mit Zahlen
und Fakten oder gar konkreten Namen hinterlegt.
Gastkommentar
Finger weg von
Biografie-Bastlern
Bernhard Kuntz ist der Gründer und Inhaber der Agentur „Die Profilberater GmbH“, Darmstadt, die Bildungs- und Beratungsanbieter beim (Online-)Marketing unter-
stützt. Er ist Autor unter anderem der Bücher „Die Katze im Sack verkaufen“, „Fette Beute für Trainer und Berater“ und „Warum kennt den jeder?“.
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