Wirtschaft und Weiterbildung 1/2018 - page 28

titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
01_2018
in unterschiedlichen Gestaltungsdimensi-
onen in zwei grundverschiedenen Modi
unterwegs zu sein - und zwar gleich-
zeitig!“ Dabei obliege es der jeweiligen
Führung, die notwendigerweise entste-
henden Widersprüche so zu bearbeiten,
dass trotzdem „Wirksamkeit“ entstehe.
Wimmer: „In jedem Fall braucht es – ver-
glichen mit dem reifen, profitablen Kern-
geschäft – in einem Experimentierlabor
deutlich weniger Hierarchie, mehr Eigen-
verantwortung und Selbstorganisation
sowie eine größere Offenheit und Netz-
werkfähigkeit nach innen und außen.“
Auf die Balance kommt es
entscheidend an
Es versteht sich fast von selbst, dass sich
jedes Unternehmen gleichermaßen um
die Optimierung des Bestehenden und die
Erforschung des Unbekannten kümmern
muss. Es gilt, unbedingt auf eine Balance
zwischen „explore“ und „exploit“ zu ach-
ten. Wenn das Tagesgeschäft vernachläs-
sigt wird, fehlt der regelmäßige Zahlungs-
eingang, von dem Geld für Experimente
abgezweigt werden kann. Das Risiko ist
viel zu groß, dass zu einem bestimmten
Zeitpunkt eine (aus finanziellen Grün-
den) dringend benötigte Innovation noch
nicht marktreif ist. Andererseits gibt es
ohne geschütztes „Gewächshaus“ keine
Erschließung neuer Märkte.
Schon schwerer zu beantworten ist die
Frage, wie ein Unternehmen zu gege-
bener Zeit das Neue in das bestehende
Tagesgeschäft integriert. Für eine „Zu-
sammenführung“ bieten sich folgende
drei Möglichkeiten an: 1. Das Top-Ma-
nagement macht die Integration zur Chef-
sache und bestimmt welche Innovation
„dran“ ist. Es besteht die Gefahr, dass
top-down viel Wissen und Motivation
verloren geht. 2. Mitarbeiter der traditi-
onellen Organisation treffen auf Kollegen
aus dem „Forschungslabor“ und arbeiten
in Projekten zusammen. So kann es einen
schnellen Transfer geben, der aber abhän-
gig vom einzelnen Mitarbeiter ist. 3. Es
herrscht ohnehin eine integrative Unter-
nehmenskultur. Alle Mitarbeiter sind von
sich aus neugierig und innovativ. Selbst-
gesteuerte Lernprozesse sind üblich, aber
von „oben“ nur schlecht zu steuern.
Martin Pichler
Resolving the innovator’s dilemma“ ver-
öffentlichten. Im Englischen werden im
Zusammenhang mit der „Beidhändigkeit“
vielfach die Begriffe „Exploit“ (Bestehen-
des optimieren) und „Explore“ (Neues
erkunden) benutzt.
Gerade im Zusammenhang mit der digi-
talen Transformation gibt es viele neue
Chancen für traditionelle Unternehmen.
Das Zusammenwirken von „Big Data“,
„künstlicher Intelligenz“ und „Robotik“
ermöglicht neue digitalisierte Prozesse,
Produkte und Geschäftsmodelle sowie
neue Formen der Zusammenarbeit. Die
damit verbundenen Veränderungs- und
Innovationschancen sind immens. Un-
ternehmen geraten immer öfter in eine
Situation, in der sie ihr Geschäft vollkom-
men neu überdenken und erfinden müs-
sen. Das Top-Management steht vor dem
Problem, dass es das bestehende Tages-
geschäft managen und sich gleichzeitig
darum kümmern muss, dass das Beste-
hende rechtzeitig abgelöst werden kann.
Die Frage lautet: Wie kann es gelingen,
gleichzeitig das Kerngeschäft zu sichern
und eine ungewisse digitale Zukunft zu
gestalten? Oder anders formuliert: Wie
kann die Organisation gleichzeitig in
einen Exploit- und einen Explore-Modus
versetzt werden?
Professor Rudi Wimmer, Gründer der sy-
stemischen Organisationsberatung OSB
international mit Hauptsitz in Wien,
warnt: „Ein Manager darf sich nicht nur
für eine Seite entscheiden, wenn er das
Überleben seiner Organisation sichern
möchte. Organisationen sind gezwungen,
Eine weitere Möglichkeit, wie Unterneh-
men sich auf eine ungewisse Zukunft
vorbereiten können, besteht darin, dass
sie neben der eigentlichen Geschäftstätig-
keit, mit der sie jetzt ihr Geld verdienen,
noch eine Art „Gewächshaus“ aufbauen,
in dem „vor Stürmen geschützt“ zum
Beispiel der Aufbruch in die digitale Welt
ausprobiert wird. Unternehmen bauen
nebenher kleine Organisationen auf, mit
denen sie ausprobieren, welche Produkte
oder Dienstleistungen in der Zukunft
auf dem Markt gut ankommen werden.
Neben dem bestehenden, derzeit erfolg-
reichen Tagesgeschäft, das weiter sorgfäl-
tig optimiert wird, experimentieren (or-
ganisatorisch abgegrenzt aber zeitgleich
im selben Unternehmen) extra abgestellte
Mitarbeiter mit halbfertigen Innovati-
onen.
Ambidexterity: altes Geschäft
sichern und Zukunft gestalten
Diese Entwicklung läuft unter dem Be-
griff der „strategischen Beidhändigkeit“
(Strategic Ambidexterity). Beidhändigkeit
steht für eine „Sowohl-als-auch“-Haltung
und heißt so viel wie „mit beiden Hän-
den geschickt sein“. Ambidexterity leitet
sich genau gesagt vom lateinischen ambo
„beide“ und dexter „rechte Hand“ ab.
Die „Päpste“ dieses Ansatzes sind die
Stanford-Professoren Charles A. O’Reilly
III und Michael L. Tushman, die in der
Zeitschrift „Organizational Behavior“
(28/2008) den bahnbrechenden Artikel
„Ambidexterity as a dynamic capability:
R
Weltrekord.
Dieses Flugzeug
flog mit einem innovativen
Elektromotor 340 Kilometer
pro Stunde schnell.
Foto: www.siemens.com/presse
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