Wirtschaft und Weiterbildung 1/2018 - page 27

wirtschaft + weiterbildung
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großzügige Förderung. Dieser 100-Milli-
onen-Euro-Topf hat ganz offensichtlich
zwei positive Aspekte: Zum einen wer-
den tatsächlich wertvolle Verbesserungen
angestoßen und zum anderen werden
die Leiter der diversen Forschungs- und
Entwicklungsarbeiten „überprüft“, ob
sie nicht Ideen verhindern oder Entwick-
lungen verschlafen haben, die es eigent-
lich verdient gehabt hätten, auf dem
„normalen Dienstweg“ zur Marktreife
geführt zu werden.
Viele der hier geschilderten Maßnahmen,
um an innovative Ideen von Mitarbeitern
oder externen Start-ups heranzukommen,
werden von einigen Mitarbeitern durch-
aus auch kritisch gesehen oder belächelt,
weil sie Unruhe in die Belegschaft tragen
und der Nutzen nicht von vornherein
feststeht.
Sicherer werden im Umgang
mit der Ungewissheit
„Wenn wir mit Innovationen Erfolg haben
wollen, dann müssen wir die Ungewiss-
heit gezielt suchen“, ist sich Kugel sicher.
„Aber gleichzeitig ist Ungewissheit das,
was Menschen am wenigsten mögen.“
Aber es bleibe keine andere Wahl, wer
Neues entdecken wolle, müsse sich in
Gebiete vorwagen, die vollkommen un-
bekannt seien.
Siemens unternimmt immerhin zwei
Dinge: Man setzt auf eine Personalent-
wicklung, die die Menschen sicherer
macht im Umgang mit der Unsicherheit
und man bietet, wo immer es geht, jenen
Mitarbeitern, die sich mit einem Start-up
selbstständig machen, ein Auffangnetz
an: Sie dürfen, wenn sie scheitern, in die
„alte Welt“ zurückkommen.
Beim Siemens-Konkurrenten General
Electric kennt man noch eine Möglich-
keit, Ungewissheit im Zaum zu halten.
Man bedient sich der Lean-Start-up-
Methode des amerikanischen Gründer-
papstes Eric Ries. Im Interview mit der
„Harvard Business Review“ berichtet der
Ex-General-Electric-Vorstandschef Jef-
frey R. Immelt, dass er Ries‘ Buch in nur
einem Tag durchgelesen habe. Das Buch
liefert eine Methode, wie unter extrem
undurchschaubaren Bedingungen neue
Produkte oder Dienstleistungen auf den
Markt gebracht werden können. Letztlich
sollen so tragfähige, neue Geschäftsmo-
delle entwickelt werden.
Ries wurde persönlich eingeladen, um
bei General Electric 80 interne Berater zu
schulen, die ihr Wissen dann an 40.000
Beschäftigte weitergaben. Immelt selbst
verfeinerte Ries‘ Ansatz und nannte die
Sache „Fastworks“. Es entstanden rund
300 Fastworks-Projekte. Eines davon ist
zum Beispiel die Entwicklung eines be-
stimmten Scanners, der statt in vier Jah-
ren in nur zwei Jahren zur Marktreife
gebracht wurde. Das geschah unter Ein-
beziehung von Kunden in einen „itera-
tiven“ Innovationsprozess. Der Ansatz
befragt die Kunden mehrfach – aber je-
desmal wird ihnen ein kurzfristig nach
ihren Wünschen optimierter Prototyp zur
Begutachtung vorgelegt. Die Kosten, um
einen Prototypen zu fertigen, lagen an-
geblich bei einem Zehntel der sonst üb-
lichen Kosten.
Ideenwettbewerbe können schließlich zu
lukrativen Innovationen führen.
Im Jahr 2016 führte Siemens für seine
Mitarbeiter den ersten „Hackathon“
durch. Ein Hackathon (Wortschöpfung
aus „Hack“ und „Marathon“) ist nach
Lehrbuch eine kollaborative Software-
und Hardware-Entwicklungsveranstal-
tung. Bei Siemens war es eine Ideen-
vertiefungsaktion. Eine Gruppe von
Mitarbeitern hatte bei den Kollegen 800
Ideen eingesammelt. An denen arbeiteten
während des Hackathons 1.700 Mitarbei-
ter weiter - und zwar über den ganzen
Globus verteilt. Die Aktion dauerte 24
Stunden und ging über verschiedene
Zeitzonen. Kugel: „Was mich besonders
freute: Mitarbeiter unterschiedlichster Hi-
erarchiestufen haben überall auf der Welt
gemerkt, dass sie zusammenarbeiten
und, wenn sie es wollen, einen Beitrag
zum großen Ganzen leisten können.“
100 Millionen Euro für gute
Idee der Mitarbeiter
Eine weitere, firmeninterne Maßnahme,
um Innovationen zu fördern, besteht
darin, dass Ideen von Kollegen zu neuen
Technologien oder zu Prozessoptimie-
rungen im Intranet veröffentlicht werden
und die Mitarbeiter bestimmter Abtei-
lungen dann darüber abstimmen, welche
Idee ausgearbeitet und umgesetzt werden
soll. Die Aktion heißt „Crowdfunding-
Markt“, weil die teilnehmenden Abtei-
lungen einen Teil ihres Budgets hergeben
müssen, um die Bearbeitung der ausge-
wählten Ideen zu finanzieren.
Manchmal hat es ganz offensichtlich Vor-
teile, ein Konzern zu sein. Der Siemens-
Vorstand beschloss, einen zusätzlichen
„Topf“ von 100 Millionen Euro bereit-
zustellen, um Verbesserungsvorschläge
und neue Ideen zu fördern. Wer immer
eine gute Idee hat, kann an allen seinen
Chefs vorbei sich an ein zentrales Gre-
mium wenden. Das gilt auch dann, wenn
er seine Idee bereits seinem direkten Vor-
gesetzten vorgestellt hat und der sie ver-
warf. Der Einreicher darf dem zentralen
Gremium seine Idee vorstellen und im
Idealfall wird er eine finanzielle Unter-
stützung für die Umsetzung bekommen.
80 Prozent der Ideen, die bislang vorge-
stellt wurden, bekamen laut Kugel eine
R
R
Neue Siemens-Zentrale.
16.000 Quadratmeter Glasfront zeugen davon, dass der
Konzern sich öffnet. Mehr Start-up und weniger Industriedenkmal.
Foto: www.siemens.com/presse
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