Wirtschaft und Weiterbildung 1/2018 - page 19

wirtschaft + weiterbildung
01_2018
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auch unabhängige Trainer anbieten. Die große Frage wird aber
sein, wer sich das noch leisten kann?
Sie glauben, dass viele Jobs verschwinden?
Handy:
Künftig werden Maschinen die meisten Arbeiten über-
nehmen. Immer weniger Menschen werden daher einen Voll-
zeitjob in einem Unternehmen haben. Wir werden alle zu
selbstständigen Portfolio-Arbeitern mit verschiedenen Jobs und
temporären Aufträgen. Wir werden wie Schauspieler leben, die
sich von einem Engagement zum nächsten hangeln und sich
damit oft gerade so über Wasser halten. Es wird auch ein neues
Wertesystem geben, bei dem es nicht mehr darum geht, wie
viel Geld jemand hat, sondern wie viel Erfahrung er mitbringt.
Sind die Menschen darauf vorbereitet?
Handy:
Nein und ich mache mir große Sorgen. Nicht alle kom-
men mit der Situation zurecht und sie haben auch keine Rol-
lenvorbilder. Langfristig werden die Menschen sich anpassen
und lernen, dass sie sich auf sich selbst verlassen müssen.
Sie müssen sich selbst vermarkten. Sie benötigen Resilienz,
um mit Rückschlägen klarzukommen und Hilfe von Kollegen,
Freunden und Ehepartnern. Menschen brauchen reale Bezie-
hungen, sei es in der Partnerschaft, beim Sport oder beim Tref-
fen im Café. Ich bin optimistisch, dass die lokale Gemeinschaft
wieder aufleben wird. Die Menschen sind wieder mehr zu
Hause und wollen wissen, wer in ihrer Straße wohnt.
Es scheint auf der anderen Seite aber so zu sein, dass viele
junge Leute keine Festanstellung mehr wollen und ihre
Unabhängigkeit lieben …
Handy:
In der Tat finden immer mehr junge Menschen Gefal-
len an einer Freiheit ohne jede Form von Sicherheit und die
Unternehmen tun sich deshalb immer schwerer, gute Mitar-
beiter anzulocken. Sie sollten ihre Mitarbeiter nicht mehr als
disziplinierte Soldaten betrachten, sondern ihnen neue Fähig-
keiten beibringen und sie nach drei Jahren, wenn sie gut genug
sind, entlassen, damit sie ihr eigenes Unternehmen aufbauen
können. Sie sollten ihnen dann Startkapital geben und Anteile
übernehmen. Damit geben sie ihnen die gewünschte Unab-
hängigkeit, aber es gibt dennoch ein Gefühl der Verbundenheit
und diese ehemaligen Mitarbeiter werden dann die Quelle von
Kreativität sein.
Welche Rolle soll die Wirtschaft künftig für die Gesellschaft
spielen?
Handy:
Die Unternehmen müssen mehr auf die Menschlichkeit
achten. Und sie sollten überdenken, wie Organisationen heute
funktionieren. Die Frage ist, wer diese Revolution anführt. Wir
brauchen einen Martin Luther, dem es als einzelnen Menschen
gelungen ist, die Grundfeste der katholischen Kirche zu er-
schüttern. Doch wer ist unser Luther? Hier sind die Manager
gefordert.
Interview: Bärbel Schwertfeger
Global Drucker Forum 2017.
In Wien
wurde Charles Handy, der Abschluss­
redner des Global Drucker Forums, mit
Standing Ovations verabschiedet.
Charles Handy.
In den 80er-
und 90er-Jahren des letzten
Jahrhunderts galt er als der
einflussreichste europäische
Management-Querdenker, der
mit Büchern wie „Understan­
ding Organizations“ (1993) für
Aufsehen sorgte.
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