Wirtschaft und Weiterbildung 1/2018 - page 16

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wirtschaft + weiterbildung
01_2018
merkt: Die Beeinträchtigung meines Freundes sorgt dafür, dass
mein Fokus erweitert wird – und ich die Welt anders sehe als
zuvor. Detaillierter. Intensiver. Bewusster. Auch das habe ich
nach dem Ende unserer Reise in meinen Alltag mitgenommen.
Es wäre vielleicht übertrieben zu sagen, dass ich jeden Stein
und jedes Pflänzchen, die mir in den Blick kommen, feiere
als wäre es das Letzte, was ich sehe. Aber ich schaue schon
genauer hin.
„Entschleunigung“ und „Achtsamkeit“ sind dazu die
Stichworte in der Trainersprache …
Bouman:
Entschleunigung kommt automatisch. Das kann man
gar nicht verhindern: Wenn der Sehende eine Frage hat, kann
der eine sie nicht hören und der andere darf nicht antworten.
Da muss man sich einiges einfallen lassen – und man muss
sich Zeit nehmen. Kein Wunder, dass wir zu Fuß nur vier statt
der geplanten 20 Kilometer pro Tag zurücklegen konnten. Das
Trampen wiederum brachte dann ganz eigene Herausforde-
rungen mit sich. Schon blöd, wenn das Teammitglied, das am
besten Französisch spricht, gerade nichts sagen kann. Die gute
Nachricht: Wenn man muss – zum Beispiel, weil es regnet
und man einfach nur weg will – kommt man auf die besten
Lösungen.
Mit Konflikten habt Ihr sicherlich gerechnet, aber im Film sieht
es so aus, als ob Euch die Heftigkeit und die Tiefe der
Auseinandersetzungen dann doch überrascht haben. Habt
Ihr eine konkrete Erfahrung, die Ihr mit Führungskräften, die
mit Konflikten zwischen verschiedenen Teammitgliedern zu
kämpfen haben, teilen wollt?
Bouman:
Ich will es mal so formulieren: Das Wichtigste an
Konflikten ist es, sie auszutragen. Manchmal entzünden sich
Konflikte an vermeintlichen Kleinigkeiten. Zum Beispiel an den
bereits angesprochenen Essensfragen. Wir neigen ja dazu, sol-
che Themen zu banalisieren. Gleichzeitig wissen wir: Ernäh-
rung ist essenziell. Wenn man absolut nichts sieht, die Zeit viel
langsamer vergeht, der Hunger immer größer wird und man
genau weiß, dass man auf die Mithilfe der anderen angewiesen
ist, dann ist das keine Kleinigkeit mehr.
Stumpp:
Es gibt so viel Unausgesprochenes. Und wenn man
nicht darüber redet, so ist es trotzdem da. Als ich nach einer
Woche ohne Hören endlich die Kopfhörer mit weißem Rau-
schen abnehmen durfte, habe ich geweint vor
Erleichterung. Es hatte sich so viel angestaut:
Enttäuschungen, Spannungen, Hilflosigkeit.
War das ein Moment, in dem das Projekt zu
scheitern drohte und Ihr einfach nur
aussteigen wolltet?
Bouman:
Das kann man so sagen. Nach gut zehn Tagen ging
gar nichts mehr. Nichts lief mehr rund. Es gab so viel Streit,
der zumeist nur auf Missverständnissen beruhte. Bis wir zu
der Einsicht kamen, dass es unumgänglich sei, für einen Mo-
ment unsere „Handicaps“ abzulegen und uns auszusprechen.
Dann konnte es weitergehen. Nicht die Einschränkungen an
sich hatten uns das Leben schwergemacht, sondern unser Um-
gang miteinander. Das mussten wir erst einmal verstehen und
uns aussprechen. Sonst hätten wir es überhaupt nicht bis zum
Atlantik geschafft.
Stumpp:
Eines haben wir alle drei gelernt – ein jeder auf seine
ganz eigene Weise: Wenn sich jemand nicht wertgeschätzt
fühlt, dann ist das nie ein privates Thema des Einzelnen, son-
dern immer ein Thema für alle.
Eine gute Führungskraft weiß, wie wenig sie wirklich steuern
und managen kann ...
Bouman:
Wir müssen uns unsere Ohnmacht eingestehen. Wir
dürfen aber auch unsere Macht nicht ausnutzen.
Das sind alles doch sehr tiefe Einsichten. Ihr habt sie in drei
Wochen erlangt. Manche Führungskraft ist mit ihren Teams
wesentlich länger unterwegs, um diese Erfahrung zu machen
R
„Nach gut zehn Tagen ging gar nichts mehr. Nichts
lief mehr rund. Es gab so viel Streit, der zumeist
nur auf Missverständnissen beruhte.“
Bart Bouman
Lucia Sauer Al-Subaey (Mitte).
Die Geschäftsführerin der
Akademie für Führungskräfte auf der Bühne mit David und Bart.
Bart, Jakob und David (von links).
Die drei sind auf einem Selbst­
erfahrungstrip, der ihre Freundschaft auf die Probe stellt.
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