Wirtschaft und Weiterbildung 3/2018 - page 46

training und coaching
46
wirtschaft + weiterbildung
03_2018
die weitere berufliche Entwicklung. Dies
ist schon deshalb nicht möglich, weil die
Feedback-Ergebnisse weder den Vorge-
setzten der beurteilten Führungskräfte
noch der Personalabteilung mitgeteilt
werden.
Ebenso ist es in fast allen Unternehmen,
die das 360-Grad-Feedback für die Füh-
rungskräfteentwicklung nutzen. Zumeist
erhalten das Top-Management und Perso-
nalabteilung nur einen Gesamtbericht, in
dem die Ergebnisse kumuliert dargestellt
sind. Hieraus können sie dann ersehen ...
• wie stark das gewünschte Führungs-
verhalten und die damit verbundenen
Skills in ihrer Organisation bereits aus-
geprägt sind
• wo noch Defizite bestehen
• welche Förder- und Entwicklungsmaß-
nahmen folglich in der nächsten Zeit
im Rahmen der betrieblichen Weiterbil-
dung angeboten werden sollten.
Dass die zugesicherte Anonymität ge-
wahrt bleibt, ist wichtig. Denn sonst
würde das Instrument in der Regel nicht
akzeptiert. Das heißt, die Mitarbeiter wür-
den sich entweder weigern, die Fragebo-
gen auszufüllen oder in ihnen geschönte
Antworten geben, wodurch das Feedback
wertlos wäre. Und die Führungskräfte?
Sie würden auf die Mitarbeiter zumindest
einen subtilen Druck ausüben, sie mög-
lichst positiv zu bewerten.
Ein Beispiel aus der
betrieblichen Praxis
Wie die Einführung und Durchführung
des 360-Grad-Feedback erfolgen kann, sei
am Beispiel eines anderen Technologieko-
nzerns erläutert, der dieses Tool seit fünf
Jahren als Personal- und Organisations-
entwicklungsinstrument nutzt. Nachdem
die Grundsatzentscheidung gefallen war,
wurde eine Projektgruppe gegründet.
Diese definierte zunächst die Befragungs-
bereiche und Themenschwerpunkte. Au-
ßerdem wurden die Bewertungskriterien
und die Teilnehmergruppen bestimmt.
Dann entwickelte die Projektgruppe
einen modular aufgebauten Fragebogen.
Nachdem die Fragebogen entwickelt
waren, wurden alle Beteiligten, Feed-
backgeber und -nehmer, zu einer Kick-
Off-Veranstaltung eingeladen. Dort er-
läuterte das Management, warum es das
360-Grad-Feedback einführen möchte.
Außerdem wurde das Verfahren erläutert
und mit den Teilnehmern diskutiert. An-
schließend verteilten Mitarbeiter der Un-
ternehmensberatung, die an dem Prozess
beteiligt war, die Fragebogen. An das Be-
ratungsunternehmen, also einen externen
Partner, sollten die Feedbackgeber auch
die ausgefüllten Bögen zurücksenden.
Dort wurden sie bezogen auf die einzel-
nen Führungskräfte und die verschiede-
nen Feedbackgeber-Gruppen (Mitarbeiter,
Kollegen und Vorgesetzte) ausgewertet.
Letzteres ist wichtig, weil diese aufgrund
ihrer Position und Funktion im Unterneh-
men zum Beispiel bezüglich des Kommu-
nikationsverhaltens einer Führungskraft
unterschiedliche Erwartungen haben.
Deshalb müssen die Differenzen sichtbar
bleiben.
Maßnahmen vereinbaren
Nachdem die Auswertungen vorlagen,
traf sich Mitarbeiter der externen Un-
ternehmensberatung mit den Führungs-
kräften zu Vier-Augen-Gesprächen und
besprach mit ihnen die Ergebnisse. Sie
schauten gemeinsam, wo Selbst- und
Fremdbild der Führungskraft auseinander
klaffen und der größte Erklärungs- und
Entwicklungsbedarf besteht. Außerdem
definierten sie gemeinsam die Themen,
die die Führungskraft im anschließenden
Workshop mit ihren Mitarbeitern erörtern
möchte.
In diesen Workshops stellte die betref-
fende Führungskraft ihren Mitarbeitern
jeweils zunächst die relevanten Ergeb-
nisse des 360-Grad-Feedbacks vor. Dann
bat sie diese, um mögliche Erklärungen,
wie einzelne Ergebnisse zustande kom-
men. Dabei war stets ein externer Berater
als Moderator anwesend. Er strukturierte
das Gespräch – unter anderem, um zu
vermeiden, dass sich die Beteiligten in
Details verlieren.
Der Moderator stärkte aber auch den Mit-
arbeitern und Führungskräften den Rü-
cken, offen Feedback zu geben. Denn dies
erfordert in den Workshops oft Mut. Denn
in ihnen wird zuweilen die Anonymität
durchbrochen. Schließlich kann sich eine
Führungskraft, wenn ein Mitarbeiter an-
hand von Beispielen aus dem Alltag er-
läutert, wie eine Beurteilung zustande ge-
kommen sein könnte, vorstellen, welche
Bewertung ihm der betreffende Mitarbei-
ter gab. Deshalb muss ein Mindestmaß an
Vertrauen zwischen den Mitarbeitern und
der Führungskraft bestehen. Der externe
Unterstützer sollte auch darauf achten,
dass im Workshop und im Vier-Augen-
Gespräch mit der Führungskraft Maß-
nahmen vereinbart werden, wie erkannte
Mängel im Führungsverhalten und in der
Zusammenarbeit beseitigt werden. Denn
das 360-Grad-Feedback ist kein Selbst-
zweck. Es soll Entwicklungsprozesse an-
stoßen oder forcieren.
Ein ähnliches, wie das skizzierte Verfah-
ren praktizieren viele Unternehmen, die
mit dem Instrument 360-Grad-Feedback
arbeiten – nur dass, die Befragung der
Mitarbeiter und Kollegen anders im ge-
schilderten Beispiel nicht mittels Papier-
fragebogen, sondern online erfolgt. In der
Regel führen sie die mit dem 360-Grad-
Feedback verbundene Befragung mehr-
malig, wenn nicht gar regelmäßig durch
– zum Beispiel alle zwei Jahre. Denn als
Organisationsentwicklungsinstrument
hat das 360-Grad-Feedback einen Ver-
laufscharakter. Setzt man es nur einmalig
ein, wird nur die Ist-Situation angezeigt.
Es werden jedoch keine Veränderungen,
die sich zum Beispiel im Verlauf eines
Change-Prozesses vollzogen haben, sicht-
bar. Folglich können die Resultate auch
nicht genutzt werden, um den weiteren
Prozess zu steuern.
Dr. Georg Kraus
R
Dr. Georg Kraus
ist Inhaber der
Unternehmensbe-
ratung Dr. Kraus &
Partner in Bruch-
sal. Er ist Autor
des „Change Management Handbuch“
(Cornelsen Verlag, 2004) sowie zahl-
reicher Projektmanagement-Bücher.
Seit 1994 ist er zudem Lehrbeauf-
tragter an der Universität Karlsruhe,
der IAE in Aix-en-Provence und der
technischen Universität Clausthal.
Dr. Kraus & Partner
Die Change Manager
Werner-von-Siemens-Str. 2-6
76646 Bruchsal
Tel. 07251 989034
AUTOR
1...,36,37,38,39,40,41,42,43,44,45 47,48,49,50,51,52,53,54,55,56,...68
Powered by FlippingBook