wirtschaft und weiterbildung 1/2017 - page 57

wirtschaft + weiterbildung
01_2017
57
Clayton Christensen.
Der 64-jährige Professor
of Business Administration an der Harvard
Business School gilt als weltweit führender
Experte für Innovation und Wachstum. In
seinem berühmten Buch „The Innovator‘s
Dilemma (1997)“ beschäftigte er sich
erstmals mit der Theorie der disruptiven
Innovation
Kerngeschäft laufen. Denn sie brauchen
eine völlig andere Organisations- und
Kostenstruktur. Das bedeutet, dass Unter-
nehmen für eine Zeit zwei verschiedene
Organisationen managen müssen. Wenn
das disruptive Geschäft wächst, wird es
vielleicht auch Kunden vom Kerngeschäft
abwerben. Aber als Manager sollten Sie
nicht versuchen, dieses Problem zu lösen,
bevor es ein Problem ist.
Wie wichtig ist disruptive Innovation?
Christensen:
Alle drei Arten von Innova-
tion sind wichtig. Es muss eine Balance
geben. Ein Problem ist aber, dass die
Effizienz-Innovation die größte Rendite
bringt. Das ist hart für die Unternehmen.
Denn damit können sie nicht wachsen.
Entrepreneurship ist daher ein Backup-
Plan für Unternehmen, weil sie sich in-
tern nicht erneuern können. Entrepre-
neurship bedeutet Versuch und Irrtum
und wir haben noch nicht gelernt, wie
man das intern machen kann. Auch in-
krementelle Innovationen sind wichtig,
um den Markt am Laufen zu halten. Nur
schaffen sie kein Wachstum.
Disruption wird oft mit Erfolg
gleichgesetzt.
Christensen:
Auch das ist falsch. Nicht
jedes disruptive Unternehmen ist erfolg-
reich und nicht jeder Erfolg kommt von
einem disruptiven Unternehmen. Der Er-
folg von Uber basiert ebenso wie der von
Apple auf einem Plattform-Modell. Uber
verbindet Fahrer und Fahrgäste digital,
das I-Phone verbindet App-Entwickler
mit Telefonnutzern. Doch nur Apple folgt
einem disruptiven Weg, weil es ein Öko-
system von App-Entwicklern aufgebaut
hat und das iPhone so zu einem Compu-
ter transformiert hat.
Und was ist mit dem Elektro-Auto?
Christensen:
Wenn ein Elektro-Auto
100.000 Dollar kostet, ist das Luxus und
keine Disruption. Das ist eine erhaltende
Innovation und die Anbieter konkurrieren
dann vielleicht mit den Luxusautos von
BMW. Die echte Disruption passiert in
China. Dort ist bereits jedes zehnte Auto
ein Elektroauto und das kostet nur 3.000
Dollar. Das sind zwar nur kleine Autos,
die sich aber viele leisten können. Das
führt zu Wachstum. Ein anderes Beispiel
ist das Unternehmen Godrej in Indien, die
unter anderem Kühlschränke herstellen.
Sie haben erkannt, dass sich viele Inder
auch keinen billigen Kühlschrank leisten
können. Also haben sie eine neue Tech-
nologie entwickelt, mit der man Lebens-
mittel kühl halten kann und bieten das
Gerät für 49 Dollar an. Die Nachfrage ist
riesig und sie mussten viele neue Mitar-
beiter einstellen.
Viele Geschäftsideen scheitern. Wie lässt
sich die Misserfolgsquote reduzieren?
Christensen:
Wenn eine Geschäftsidee
auf einer fundierten Theorie basiert und
man seine Entscheidungen aufgrund von
Kausalitäten trifft, steigt auch die Erfolgs-
quote. An der Harvard Business School
haben wir seit 2007 einen Fond, der in
neue Geschäftsideen investiert. Wer Geld
haben will, muss allerdings erst ein the-
oretisch fundiertes und disruptiv inno-
vatives Geschäftsmodell vorlegen, das
auf Innovation und Wachstum aufbaut.
Bis heute haben wir in 18 Unternehmen
investiert. Drei sind gescheitert, 15 sind
sehr erfolgreich. Das Problem ist, dass
Risikokapitalgeber keine Forschung lesen
und daher nicht auf die richtigen Dinge
achten. Der Kapitalmarkt erlaubt oft nicht
das, was man tun sollte.
Heute setzen viele Unternehmen vor
allem auf Daten und Algorithmen. Liegt
hier künftig der Schlüssel zum Erfolg?
Christensen:
Daten repräsentieren immer
nur ein Phänomen, aber sie sind nicht das
Phänomen selbst. Jeder Teil der Daten
wurde von einer Person geschaffen und
diese Person hat sich einige Elemente des
Phänomens herausgenommen, sie in die
Daten inkludiert und andere dafür ausge-
schlossen. Wenn man seine Entscheidung
aufgrund von Daten trifft, basiert sie also
immer nur zum Teil auf der Wahrheit
und Daten beziehen sich zudem immer
nur auf die Vergangenheit. Man braucht
eine Theorie, um bewerten zu können,
welche Kausalität dahintersteht. Manage-
mententscheidungen nur aufgrund von
Daten zu treffen, halte ich für falsch. Ich
bin zwar noch nicht tot, und weiß nicht
wie es ist, aber ich stelle mir vor, wenn
sie mich in den Himmel lassen und ich
mich umschaue, dann gibt es dort keine
Daten. Und wenn ich frage, warum das so
ist, dann antworten sie mir: Weil Daten
immer lügen. Immer wenn Daten in den
Himmel wollen, dann schicken wir sie
zur Hölle.
Interview: Bärbel Schwertfeger
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