wirtschaft und weiterbildung 1/2017 - page 64

grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
01_2017
Fragen wir uns einmal, wie man Charakter schulen
kann. Betrachten wir dazu die beiden charakter-
lichen Extrempole „Starrsinn“ und „Wankelmut“.
Wie ein Terrier verbeißt sich der Sture in seinen
Standpunkt, ganz egal, wie die Umstände und Fol-
gen sind. Wer argumentativ den Wind kluger Verän-
derung sät, wird Sturm ernten. Das Gegenbeispiel
liefert manch charakterschwacher Darsteller der
Politik: Er wechselt seine Meinungen schneller als
ein Chamäleon die Farbe. Dieser aalglatte Strip-
penzieher schließt Bündnisse je nach Stimmung
und Windrichtung. Doch egal ob Bulldozer oder
Everybody‘s Darling: Beide Extreme lassen Men-
schen ausbluten.
Längst ist das Strippenziehertum auch in der Wirt-
schaft anzutreffen. Früher sollten Führungskräfte
forsch vorwärts gehen, Chancen erkennen, Fehler
machen, lernen und schließlich gewinnen. Heute
sichern sie sich lieber gegen Fallstricke ab. Denn
der Druck, keine Fehler zu machen, hat extrem
zugenommen. Konkurrenzkampf und Veränderungs-
geschwindigkeit sind enorm. Gesetze und eine
strenge Compliance-Kultur sorgen dafür, dass man
bei Fehlern noch viele Jahre belangt werden kann.
Das ist auch gut so. Charakterschwache Führungs-
kräfte allerdings versuchen jetzt schon im Vorfeld
möglichen Versagens durch „die Fahne im Wind“
aus der Schusslinie zu kommen. Absicherungsstre-
ben schlägt Chancenstreben.
Was lernen wir daraus? Eine Unternehmenskultur
wird zuerst durch das Verhalten der Führung sicht-
bar und dann bei den Mitarbeitern. Das bedeutet:
In charakterarmen Organisationen dominiert die
passive Verantwortung. Charakterstarke Organi-
sationen leben aktive Verantwortung. Passive Ver-
antwortung wartet auf Aufforderung. In ihr regiert
eine informelle Dynamik von Cliquen, die weniger in
Unternehmenszweck und Kundenwerten denken,
sondern primär den eigenen, begrenzten Vorteil
sehen. Das Verhalten ist rechtfertigend
und jedem Eigenrisiko vorbauend. Aktive
Verantwortung wird umgekehrt gelebt:
Sie wird von sich aus gesucht, gefunden,
besprochen, definiert und dann sinnvoll
aufgeteilt.
Die Extreme „Starrsinn und Wankelmut“ sind abzu-
lehnen. Doch sie helfen beim Verstehen. Wird aktive
Verantwortung extrem, kann sie in Starrsinn enden.
Manch genialer Gründer endet im Alter leider dort.
Was in gesunder Dosis hervorragend wirkte, wird
als Überdosis tödlich. Auch die passive Verant-
wortung hat wohldosiert Sinn. Denn wer ständig
die Hand hebt, wird gerne ausgenutzt. „Die Dosis
macht das Gift“, sagte schon Paracelsus.
Ganz klar: Unternehmen mit charakterstarken Men-
schen sind kundenorientierte Ergebnisfabriken mit
Erfolgsgarantie. Aktive Verantwortung überwiegt die
passive. Mitarbeiter übernehmen Aufgaben meist
selbst, statt sie sich aufs Auge drücken zu lassen,
weil sie sich nicht schnell genug geduckt haben.
Beide Formen der Verantwortung sind wichtig! Doch
je größer die Organisation, desto leichter dominiert
das Passive.
Sind 70 Prozent „aktiv“ und 30 Prozent „passiv“, ist
alles in Ordnung. Doch wehe, das Pendel schwingt
in die andere Richtung. Dann regiert die organi-
sierte Unverantwortlichkeit. Unterm Strich lautet
mein Rat: Übernehmen Sie weder zu viel noch zu
wenig Verantwortung: 70 zu 30! Und sorgen Sie
dafür, dass auch andere dieses Prinzip verstehen.
Paragraf 51
Charakterstärke
entwickeln
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Grundl gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein neues Buch heißt: „Mach mich glücklich. Wie Sie das bekommen,
was jeder haben will“ (Econ Verlag 2014, 246 Seiten, 18 Euro). Boris Grundl beweist, wie leicht und schnell das Verschieben von Verantwortung in eine
zerstörerische Sackgasse führt und die persönliche Weiterentwicklung und damit Glück verhindert.
Der Druck, keine Fehler zu machen,
hat im Wirtschaftsleben extrem stark
zugenommen.
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