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wirtschaft + weiterbildung
01_2017
Unternehmer im Unternehmen agiert, be-
treibe Karriereselbstmord. Denn er müsse
eingestehen, dass er keine Ahnung habe,
ob und wie seine Idee funktioniere und er
einfach etwas ausprobieren müsse. Daher
verlören Unternehmen auch ihre besten
Talente. „Die Art, wie wir unser Geschäft
aufrechterhalten, beinhaltet gleichzeitig
auch das größte Risiko, dass wir scheitern
werden“, so Osterwalder.
Wo bleibt der „Master of
Business Creation“?
„Etwa 20 Prozent unserer MBA-Studenten
wollen nicht mehr in einem großen Un-
ternehmen arbeiten, sondern im Bereich
Corporate Venture, in Inkubatoren oder
ein eigenes Unternehmen gründen“, be-
obachtet Philip Kotler, Professor an der
Kellogg School of Management in Chi-
cago. Schon heute beschwerten sich
große Unternehmen, dass Kellogg-Absol-
venten ihre Jobangebote nicht mehr an-
nähmen.
Zwar gebe es an der Schule bereits ein In-
novations-Center, wo die MBA-Studenten
an Projekten arbeiten könnten, aber das
genüge nicht. Business Schools müssen
die Wahl zwischen einem MBA (Master
of Business Administration) und einem
MBC (Master of Business Creation) an-
bieten. Letzterer müsse die Studenten vor
allem in vier Kernkompetenzen trainie-
ren: Discovery, Testing, Raising money,
Pitching and Lauching – also entdecken,
ausprobieren, Geld einwerben und star-
ten. Das Studium müsse projektorientiert
sein und in Teams stattfinden.
Die Frage sei allerdings, ob es nicht auch
genüge, im MBA-Studium Kurse in Entre-
preneurship anzubieten. „Vielleicht füh-
len die Studenten sich damit sogar woh-
ler, weil ihnen ein MBA-Studium mehr
Flexibilität bietet“, erklärt der Marketing-
professor. Schließlich könnten große Un-
ternehmen auch Bedenken haben, dass
die MBC-Absolventen zu innovativ seien.
Denn für etablierte Firmen sei es schwie-
rig, unternehmerisch denkende Mitarbei-
ter zu integrieren. „Die wollen schnelle
Fortschritte sehen und Freiheit haben“,
gab der Marketingexperte Kotler kritisch
zu bedenken.
Wie schlecht es um die Unternehmer-
Gesellschaft in den USA bestellt ist,
machte der Managementexperte Gary
Hamel deutlich. Die Selbstständigkeit sei
auf dem bisher tiefsten Stand gesunken.
Am schnellsten wachsen die Unterneh-
men mit mehr als 5.000 Mitarbeitern,
und zwar vor allem durch Fusionen.
Peter Drucker habe 1988 vorhergesagt,
dass die Unternehmen in 20 Jahren zwei
Drittel ihrer Managerebenen abgebaut
hätten. Das sei nicht passiert. Im Ge-
genteil. Seit 1983 habe sich diese „büro-
kratische Klasse“ verdoppelt. „Die USA
sind eine Zitadelle von Bürokratie“, so
Hamel. Zwar werde immer viel über die
Unicorns geschrieben, also jene Start-ups,
die mehr als eine Milliarde wert seien,
doch sie stellten nur einen winzigen Teil
des Marktes dar. So hätten die Unicorns
in den USA einen Gesamtmarktwert von
353 Milliarden Dollar. Das seien gerade
mal zwei Prozent des Marktwerts der 500
größten Unternehmen.
Dabei hält der Strategieprofessor an der
London Business School die Beziehung
zwischen Entrepreneurship und den bü-
rokratischen Strukturen großer Unter-
nehmen für symbiotisch. Jedes Start-up
erkenne schnell, dass es Strukturen, Kon-
formität und Vorhersagbarkeit brauche,
wenn es verlässlich sein und effiziente
Produkte liefern wolle. „Wenn Start-ups
wachsen, verlieren sie daher oft ihren un-
ternehmerischen Spirit“, so der Professor
an der London Business School. „Die Zer-
störer von heute werden daher morgen
zerstört.“ Dabei glaubt der Amerikaner,
dass Entrepreneurship durchaus auch
in großen Unternehmen möglich sei. Al-
lerdings sei es nicht einfach, die „Büro-
kraten“ zu überwinden. Dafür brauche
es vor allem auch einen anderen Ansatz
von Change Management. Denn die Vor-
stellung von Veränderungsmanagement
unterliege vier entscheidenden Beschrän-
kungen.
Falsche Vorstellungen vom
Wandel im Management?
Erstens seien es in den Unternehmen in
der Regel nur einige wenige Personen
an der Spitze, die das Recht haben, Ver-
änderungen zu starten. Sie seien jedoch
meist vom Rest isoliert und bis sie die
Notwendigkeit vom Wandel erkennen,
sei es meist schon spät. Deshalb seien die
meisten Change-Programme nur Aufhol-
Programme. Die zweite Fehlannahme sei,
dass Change nach unten kaskadiert wer-
den könne. Das sichere allenfalls, dass
keine Veränderung passiere. Gesellschaft-
liche Veränderungen würden oft von
sozialen Aktivisten gestartet. „Aber wir
haben unseren Mitarbeitern nicht beige-
bracht, dass sie wie Aktivisten handeln“,
so der Strategieberater.
Der Change wird nie mehr
aufhören
Der dritte Irrglaube sei, dass Change ge-
plant werden könne. Das funktioniere
nur, wenn die Veränderungen keine wirk-
liche Transformation seien. Und schließ-
lich sei es falsch, Change nur als eine
Episode zu betrachten. „Man macht eine
Veränderung und dann wartet man, bis
die nächste kommt“, so Hamel. „Aber
wir sind nie fertig damit.“ Es sollte
daher keine Change-Programme mehr
geben, sondern eine Change-Plattform
und eine fortlaufende Konversation, um
fit für die Zukunft zu bleiben. Eine Stra-
tegie der kleinen Schritte, die zu einem
sich selbst verstärkenden Kreis würden,
empfahl John Hagel III, Geschäftsführer
von Deloitte Consulting. Unternehmen
müssten ihre Mitarbeiter zur Kreativität
ermuntern, aber gleichzeitig das Risiko
reduzieren und Scheitern akzeptieren.
Dabei dürfe man aber das starke Immun-
system von Unternehmen nicht unter-
schätzen. „Wenn Veränderung so wichtig
ist, warum gibt es so wenig davon in den
Organisationen?“, fragte der Amerikaner.
„Und wie viel davon ist nur Innovations-
Theater?“ So schaffe man etwa mit einer
offenen Bürogestaltung noch kein innova-
tives Verhalten.
Während in vielen Präsentationen und
Diskussionen durchaus auch skeptische
Worte fielen, verbreitete Tamara J. Erick-
son überschwängliche Euphorie. Die
unternehmerische Gesellschaft sei un-
ausweichlich, behauptete die Gründerin
und CEO des Beratungsunternehmens
Tammy Erickson Associates. „Wir brau-
chen keine großen, formalen Organisati-
onen, wir haben Individuen“, schwärmte
die Amerikanerin. Allerdings müsse man
darüber diskutieren, welchen Risikoan-
teil der Einzelne, die Regierung und die
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