wirtschaft und weiterbildung 1/2017 - page 50

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wirtschaft + weiterbildung
01_2017
learntec special
wichtigste Unterscheidungsmerkmal ist.
Während Lernen im formalen Kontext in
Bildungs- oder Ausbildungseinrichtungen
stattfindet, findet informelles Lernen im
Prozess der Arbeit statt. Insbesondere
hier lässt sich notwendiges Erfahrungs-
wissen für immer komplexer werdende
Arbeitsaufgaben erwerben. Ungeachtet
der Fragestellung, ob informelles Ler-
nen 70, 75, 87 oder doch 90 Prozent des
menschlichen Lernens umfasst, ist es un-
strittig, dass informelles Lernen immer
wichtiger wird – unter anderem vor dem
Hintergrund veränderter Kompetenzan-
forderungen. Festzuhalten ist, dass Men-
schen die meisten Kompetenzen außer-
halb der Bildungsinstitutionen und ohne
professionelle Lehrkräfte oder Lernbeglei-
ter erwerben. Wichtiger als „Wissen auf
Vorrat“ und „Informationen auswendig
kennen“ ist zu wissen, wo man Wissen
finden kann. Gleichzeitig ist zu beobach-
ten, dass sich tradierte Denkweisen über
das Lernen in den meisten Unternehmen,
vom Lerner bis zum Personalentwickler,
in hohem Maße verfestigt haben. Qua-
lifikationen im fachlich-methodischen
Bereich, Wissensvermittlung und -wei-
tergabe stehen im Vordergrund − auch
(und gerade) in einem traditionell gepräg-
ten Unternehmen wie Miele. Die Gründe
liegen oft in der oben erwähnten struktu-
rellen Nähe des formalen Lernens zu den
Anforderungen an Qualität, Standardisie-
rung und Vergleichbarkeit.
Neue Lern-Möglichkeiten
„Computergestütztes Lernen“, „Telemati-
sche Lernformen“ (als Zusammensetzung
aus den Begriffen Telekommunikations-
technik und Informatik), „Multimedia-
les Lernen“, „Computer-based Training
(CBT)“, „Web-based Training (WBT)“,
„E-Learning 1.0, 2.0, 3.0“: Es gibt viele
Begriffe, in denen es um „electronic
learning“ − wörtlich übersetzt „elek-
tronisches Lernen“ − geht. In den ver-
gangenen zwei Jahrzehnten hat sich der
Begriff „E-Learning“ gegenüber anderen
Begriffen für das netzbasierte Lernen
mit interaktiven Lernprogrammen im
Netz durchgesetzt. Gleichwohl kann der
Begriff des „elektronischen Lernens“ zu
folgenreichen Missverständnissen füh-
ren. Mit „E-Learning“ wird kein subjek-
tiv begründeter Modus der subjektiven
Prozesse von Lernen beziehungsweise
Kompetenzentwicklung und Bildung be-
nannt. Lernen bleibt eine individuelle
Eigenleistung des Lernenden, ist selbstge-
steuerte Aneignung und Anpassung und
führt zu relativ dauerhafter Veränderung
im Verhalten beziehungsweise der Verhal-
tensbereitschaft. Lernen kann im krassen
Gegensatz zur Arbeit nicht delegiert wer-
den. Das E-Learning selbst ist zunächst
nur eine andere Form des Lernens, eine
Form, die sich eines erweiterten Instru-
mentariums bedient. Durch die neuen
Mittel (Medien) ergeben sich aber unwei-
gerlich neue didaktische, wirtschaftliche
und technische Möglichkeiten: E-Lear-
ning ermöglicht einen individuellen und
wirtschaftlichen Wissensaufbau, weil es
jeder Lerner entsprechend seinem Vor-
wissen und seinen Lerngewohnheiten,
unabhängig von Ort und Zeit, allein oder
mit Lernpartnern, in der persönlichen
Lerngeschwindigkeit nutzen kann. Die
„neue“ Art des Lernens kann zunächst
sowohl zu formalem als auch zu infor-
mellem Lernen genutzt werden.
Die formalen Zwänge und Anforderun-
gen, die Unternehmen zum Beispiel
durch das Qualitätsmanagement zu er-
füllen haben, legen es nahe, E-Learning
einzusetzen, um große Zahlen von Mitar-
beitern in überschaubarer Zeit zu schulen
und vor allem zu zertifizieren. So werden
zum Beispiel Compliance-Schulungen
zur Absicherung gegen Korruption, Kar-
tellverstöße oder Verletzungen des AGG
eingesetzt. Die Einführung einer neuen
Software bringt Unsicherheit mit sich,
sodass zur Vermeidung von Bedienfeh-
lern und den daraus folgenden Kosten ein
E-Learning-Programm Abhilfe schaffen
kann. Die anschließende Lernerfolgskon-
trolle führt gegebenenfalls zu einem posi-
tiven Eintrag in der elektronischen Perso-
nalakte, einem Schritt auf dem Weg, sein
Jahresziel zu erreichen. Ebenso funktio-
nieren Sprachkurse, die Hinführung zur
Ausbildereignung und viele andere Lern-
angebote. In einem formalen Lernpro-
zess werden WBTs eingesetzt, die über
ein Learning Management System (LMS)
zur Verfügung gestellt werden. Die Steue-
rung und Kontrolle der Lernprozesse wird
dabei als großer Vorteil genannt. Durch
leistungsfähige Reportsysteme wird dem
Lehrenden Einblick darüber gegeben,
wer, wann, was, wie lange und mit wel-
chem Erfolg (Testergebnisse) bearbeitet
hat. Oftmals sind „bestandene“ E-Lear-
ning-Module sogar Voraussetzung für die
Teilnahme an Präsenztrainings. In dieser
Kombination von Online- und Präsenz-
trainings spricht man dann von „Blended
Learning“.
Neue Wege der
Weiterbildung
Es ist kritisch zu hinterfragen, ob mit die-
ser Form der Weiterbildung tatsächlich
immer etwas „gelernt“ wird. Die Aussage
des LMS ist am Ende nur die, dass ein
Test mit einer bestimmten Anzahl von
Punkten bestanden wurde. Dabei geht
es nicht um die früher häufig anzutref-
fende Angst, dass die Betreffenden den
Test gar nicht selbst ausgefüllt haben,
R
Dr. Steffan
Ritzenhoff
ist geschäftsführen-
der Gesellschafter
der Creos Lernideen
und Beratung GmbH Bielefeld. Er ist Phy-
siker und promovierter Philosoph.
Creos Lernideen und Beratung GmbH
Herforder Str. 22, 33602 Bielefeld
Tel. 0521 304100
AUTOREN
Hermann
Ortmeyer
ist internationaler
Produkttrainer bei
der Miele & Cie.
KG in Gütersloh. Er hat sich im Bereich
E-Learning spezialisiert.
Miele & Cie. KG
Carl-Miele-Str. 29, 33332 Gütersloh
Tel. 05241 894094
1...,40,41,42,43,44,45,46,47,48,49 51,52,53,54,55,56,57,58,59,60,...68
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