wirtschaft + weiterbildung
05_2017
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Gibt es schon konkrete Kennzahlen zur
Nachhaltigkeit und Effizienz des digitalen
BGM?
Nürnberg:
An der TU München haben
wir schon einige Programme untersucht:
Mit webbasierten Tools werden grund-
sätzlich genauso viele Menschen erreicht
wie mit klassischen, analogen Maßnah-
men. Es werden eben andere Zielgrup-
pen angesprochen, zum Beispiel „Men-
tal Workers“, die generell schon digital
affin sind. Digitale Tools sind vor allem
bei stark filialisierten Unternehmen er-
folgreich: Bei Einzelhandelsunternehmen
mit 3000 Filialen kann man zum Beispiel
nicht in jedem Geschäft vor Ort BGM an-
bieten. Da macht eine virtuelle Lösung
durchaus Sinn.
Wer die App-Stores der Smartphone-
Hersteller genauer betrachtet, stellt fest:
Es gibt Tausende digitale Gesundheits-
programme. Wie gut sind die?
Nürnberg:
Es gibt tatsächlich unzählige
Gesundheits-Apps im deutschsprachigen
Raum. Leider sind mindestens 80 Prozent
davon Schrott! Programme, die diese so-
genannte „Trash-Quote“ bedienen, basie-
ren nur auf Algorithmen eines PCs und
sind nicht individuell auf den Nutzer oder
die Zielgruppe zugeschnitten. Das bedeu-
tet für mich: Nur die intelligenten webba-
sierten Lösungen werden sich dauerhaft
und nachhaltig durchsetzen. Vorzuziehen
sind intelligente Programme, bei denen
reale Therapeuten, Ärzte und Sportwis-
senschaftler ihren Teil beitragen.
Bei all den schönen neuen Möglichkei-
ten, die uns die Technik heute bietet – in
Sachen Datensicherheit können
webbasierte BGM-Methoden aber noch
nicht ganz überzeugen ...
Nürnberg:
Die Ein- und Hochhaltung des
Datenschutzes gehört für mich zu den
wichtigsten Aspekten bei der Bewertung
von digitalen Tools. Da sind wir Deut-
schen ja sehr sensibel. Bei den sehr guten
Anbietern werden die medizinischen
Daten – etwa Bewegungsdaten, gegebe-
nenfalls aber auch Protokolle aus Arztge-
sprächen, die dokumentiert werden – von
den persönlichen Daten getrennt und auf
unterschiedlichen, gut gesicherten Ser-
vern abgelegt. Falls es da also zu einer
Cyberattacke käme, könnte der Hacker
nur auf einen der beiden Orte zugreifen.
Glücklicherweise gibt es einige Anbieter,
die das schon ganz ordentlich erfüllen.
Welche Qualitätskriterien müssen denn
bei der Implementierung digitaler
BGM-Tools noch eingehalten werden?
Nürnberg:
Hinter nachhaltigen und ef-
fektiven webbasierten BGM-Tools sollten
wie schon angemerkt stets auch reale
Therapeuten stecken. Auch der Aus-
tausch mit anderen Usern, zum Beispiel
via Chatroom oder Whatsapp, sollte mög-
lich sein. Darüber hinaus ist wichtig, dass
die Apps immer wieder aktualisiert wer-
den und nicht statisch wirken. Bei der an-
haltenden Migration sollten auch mehr-
sprachige Versionen angeboten werden,
zumindest eine in englischer Sprache. Die
Tools sollten im besten Fall 24 Stunden
am Tag nutzbar sein, sodass jeder die An-
gebote entsprechend seines individuellen
Biorhythmus nutzen kann. Auch spieleri-
sche Elemente sollten eingebunden wer-
den, etwa ein Quiz, bei dem Nutzer ihr
Wissen testen können.
Was ist eigentlich mit kleinen und
mittelständischen Betrieben? Können
die sich BGM überhaupt leisten?
Nürnberg:
Webbasierte BGM-Tools sind
gerade in solchen Fällen die charmantes-
ten und preiswertesten Lösungen. Dabei
muss zum Beispiel kein Therapeut oder
Trainer vor Ort sein, was Kosten massiv
eindampft. Eine zentrale, elektronische
Lösung kostet in der Regel nur wenige
Euro pro Mitarbeiter pro Monat und bie-
tet sich gerade zum Einstieg für KMU
sehr gut an. In der Masse sind die kleinen
und mittelständischen Unternehmen in
Sachen BGM allerdings eher noch außen
vor, da sich die Umsetzung doch zuge-
gebenermaßen etwas schwierig gestaltet.
Wie könnte man denn die kleinen Firmen
noch mehr am BGM teilhaben lassen?
Nürnberg:
Zur Unterstützung der Gesund-
heitsförderung wurde ja im letzten Jahr
das Präventionsgesetz eingeführt. Das
heißt, die Krankenkassen haben für die
Prävention relativ viele Gelder zur Verfü-
gung, gerade um KMU zu unterstützen.
Dann liegt es in der Hand der Firmen,
sich an ihre Kassen zu wenden, sich zu
informieren und um Unterstützung zu
bitten. Letztendlich müssten die „Klei-
nen“ wissen, dass sie im Kampf um die
besten Fachkräfte keine Chancen gegen
große Unternehmen haben werden, wenn
sie nicht bestimmte Differenzierungs-
merkmale vorweisen können – zum Bei-
spiel ein ausgeklügeltes Gesundheitsma-
nagement. Das steigert die Arbeitgeber
attraktivität erheblich.
Wo sehen Sie das Betriebliche Gesund-
heitsmanagement in 20 Jahren?
Nürnberg:
Ich bin überzeugt, wenn wir
uns in 20 Jahren wieder unterhalten, wer-
den wir eine positivere Bilanz ziehen.
Interview: Charlotte Lisador
Foto: T.Wegner
Volker Nürnberg.
Der Experte
spricht am 10. Mai (13.40 Uhr,
Halle 1, Forum A) über Quali-
tätskriterien für webbasiertes
Gesundheitsmanagement.