leserbriefe
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wirtschaft + weiterbildung
05_2017
„Die Klugen kämpfen nicht“
in w+w Heft 03/2017
Die Jugend wird in den
Narzissmus gedrängt
Ich wehre mich seit Jahren gegen die
Behauptung, die Jugendlichen würden
immer narzisstischer und deshalb auch
immer aggressiver und bösartiger gegen-
über anderen Menschen – frei nach dem
Motto „ich, icher, am ichsten“. Ständig
gibt es neue Studien, die Kaufverhalten,
Medienkonsum, Karriereverhalten oder
andere Eigenheiten der „Millennials“
unter die Lupe nehmen. Es besteht bei
den Forschern offenbar Einigkeit darü-
ber, dass die Generation der Millennials
narzisstischer veranlagt sei als die äl-
teren Generationen.
Jetzt habe ich von einer US-Studie ge-
hört, wonach man aus der Tatsache, dass
fast alle Jugendlichen selbstverliebt bei
Facebook, Instagram, Youtube und ande-
ren Plattformen unterwegs seien, nicht
schließen könne, dass es eine wesent-
liche Zunahme narzisstischer Störungen
unter Jugendlichen gäbe. Viele junge
Menschen würden sich nur deshalb he-
rausputzen und selbstverliebt präsen-
tieren, weil sie sonst von Gleichaltrigen
wegen ihrer Social-Media-Abstinenz ge-
hänselt würden. Auch die Nutzung von
Fitnesstrackern zur Selbstoptimierung
sei eher auf einen Gruppendruck statt
auf krankhafte Selbstverliebtheit zurück-
zuführen.
Mareike Solling, Hannover
chische Prozesse beschreibt. Narzissten,
die dieses Buch lesen, kommen dann
voller Misstrauen, aber auch sehr inte-
ressiert ins Coaching und sind durchaus
(nach einer langen vertrauensbildenden
Phase) scharf darauf, ihre seelische Ver-
letzbarkeit zu ergründen. Sie erwähnen
zwar das Buch „Die Macht der Krän-
kungen“ in Ihrem Artikel, weisen aber
auf die extreme Nützlichkeit des Buchs
nicht hin.
Mir fehlt auch noch der Hinweis auf ein
zweites Buch von Haller. Es heißt „Die
Narzissmusfalle: Anleitung zur Men-
schen- und Selbstkenntnis“ und ist ein
nützlicher Ratgeber für alle, die sich fra-
gen: Wie erkennt man Narzissten, was
sind ihre Motive und wie kann man sich
vor ihnen schützen? Mein Fazit: Es gibt
Narzissten, die sich durchaus helfen las-
sen und die es sogar fertigbringen, ihr
narzisstisches Verhalten in Charisma zu
verwandeln.
Karl Kühl, Hamburg
„Hirn verpflichtet“
in w+w Heft 04/2017
Es gibt mehr Tiefsinn-
Coachs als wir denken
Gunter Dueck, der Held Ihrer Titelge-
schichte, hat recht, wenn er fordert, dass
wir uns im Internet mehr mit seriösen
Meinungsführern vernetzen sollten, um
sie zu stärken. Ich finde, Sie hätten ruhig
mehr Namen nennen können. Mir ge-
fällt als „Tiefsinn-Coach“ zum Beispiel
der Social-Media-Lernexperte Karlheinz
Klaus-Peter Wilde, Berlin
„Die Klugen kämpfen nicht“
in w+w Heft 03/2017
Narzissten sind nicht
dumm
Viele Narzissten bekommen via Selbst-
beobachtung durchaus mit, dass sie
schneller beleidigt sind als andere. Sie
fragen sich, warum das gerade bei ihnen
so ist und warum sie dann ausgespro-
chen wütend werden und auf Rache
sinnen, die dann von anderen als völlig
überzogen bezeichnet wird.
Die Beobachtung, dass Kränkungen zu
einer übergroßen Wut führen, die man
dann im Privatleben oder im Straßen-
verkehr herauslässt, hat schon manchen
Narzissten nachdenklich werden lassen.
Ich erlebe, dass solche Menschen in letz-
ter Zeit immer öfter auf das Buch „Die
Macht der Kränkung“ stoßen. Es stammt
von Reinhard Haller, einem Psychothera-
peuten, der sehr anschaulich innerpsy-
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wirtschaft+weiterbildung
03_2017
wirtschaft+weiterbildung
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BEKANNTEZITATE
VON ...
berühmtenNarzissten:
01.
„Mitmirkann sichkeiner ver-
gleichen,nirgends inderWelt.“
SilvioBerlusconi
02.
„IchbindereinzigeKünstler,
dendieNaturkopiert.“
SalvadorDali
03.
„IchmachekeineMode,
ichbinMode.“
CocoChanel
PSYCHOLOGIE. „
Narzisstische Politiker tauchen
gerne in Krisenzeiten auf und lassen sich als
Retter feiern“, hat der Psychoanalytiker Rolf
Haubl beobachtet. Solche Politiker gehen mit
billigen Parolen auf Stimmenfang und blenden
Nachdenklichkeit aus. Doch mehr als in der
Politik grassiert in der Wirtschaft ein
Narzissmus-Problem. Wie kann sich der
Einzelne gegen narzisstische Chefs wehren?
Die Klugen
kämpfen nicht
titelthema
R
Erich Fromm, ein bedeutender Psycho
analytiker, Philosoph und Sozialpsycho
loge, der von 1900 bis 1980 lebte, hat ein
mal geschrieben, Narzissmus sei die Be
rufskrankheit der Chefs. „Sie finden unter
den Führungskräften sehr, sehr viele Nar
zissten“, ist sich auch die PsychologinAn
nelenCollatz,CoAutorindesBuchs „Spaß
anderArbeit trotzChef“, sicher.
Wenn Berufstätige in diesen Tagen sehen,
wie geschockt dieWelt auf einen USPrä
sidenten reagiert, der nach Bewunderung
giert, Kritik nicht hören will, Kritiker Idi
otennennt, ihnen drohtund sich ohneBe
denken in Lügen flüchtet, um besser da
zustehen, dann fragen sie sich natürlich,
warum nur selten etwas von den narziss
tischen Entgleisungen in derWirtschaft in
Reinhard Haller.
Der Arzt und Psy-
chotherapeut gilt
als ein wichtiger
Kenner der Narziss-
musproblematik.
Foto: Ecowin