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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2017
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Psychiater Manfred Lütz davor gewarnt,
dass Coaching sehr gefährlich sein
könne. Dabei unterstellte Lütz ernsthaft,
ein Coach sei eine Art besserwisserischer
Ratgeber. Wie sehen Sie solche
Veröffentlichungen?
Tutschka:
Wenn in Deutschland immer
wieder Beiträge wie „Der Coaching-
Wahn“ (3 Sat) oder „Die gefährliche Illu-
sion über das Coaching“ (Die Welt) oder
„Coaching kann glücklich machen – aber
auch süchtig“ (Die Welt) erscheinen,
dann steht das in krassem Gegensatz zur
Realität – auch in Deutschland. So hat die
Middendorf-Studie nicht nur einen weite-
ren signifikanten Anstieg der gebuchten
Coachingstunden auch in Deutschland
nachweisen können, sondern auch, dass
die Kundenzufriedenheit seit Jahren auf
einem hohen Niveau ist. Das wird vor
allem darauf zurückgeführt, dass immer
weniger sogenannte „schwarze Schafe“
(Coachs ohne qualifizierte Ausbildung)
in der Branche unterwegs sind. Denn
die Ausbildungsqualität und -quantität
hat sich nachweislich erhöht. Ein Trend,
der übrigens auch von der internatio-
nalen Coaching Study des ICF bestätigt
wird. Dies haben vor allem die professi-
onellen Berufsverbände bewirkt – auch
wenn nicht jeder professionelle Coach
Mitglied in einem Verband ist oder sein
muss. Autoren oder Interviewpartner die-
ser oben angeführten Artikel sind meist
Psychologen der alten Schule, die dabei
vergessen, dass bis vor knapp hundert-
fünfzig Jahren auch die Psychologie noch
keine anerkannte Wissenschaft war und
einen steinigen Start hatte. Einen quali-
fizierten Beitrag über die Coachingbran-
che erkennen Sie an Zahlen, Daten und
Fakten, die wissenschaftlich beziehungs-
weise empirisch belegt sind, sowie daran,
dass professionelle Coachs oder auch
offizielle Branchenvertreter wie die Be-
rufsverbände oder der Round Table der
Coachingverbände zu Wort kommen: Ver-
antwortliche, die sich an ihren Angaben
von Berufs wegen messen lassen.
Was tut die ICF konkret für die
Professionalisierung der Coachs?
Tutschka:
In Deutschland haben wir ein
ganz spezielles Bild: Mehr als 15 Be-
rufsverbände für Coachs prägen hier die
Branche. Angefangen von Verbänden für
Therapeuten bis hin zu Sozialarbeitern,
Verbänden für Berater und Coachs oder
auch Trainer und Coachs. Dies ist histo-
risch so gewachsen und wurzelt sicher
auch in der typisch deutschen Vereins-
kultur. Der Coachingbranche hat diese
Zersplitterung jedoch nicht gutgetan, da
sich dadurch für die Öffentlichkeit ein
sehr unübersichtliches Bild ergeben hat.
Immerhin hat jeder Verband eigene Auf-
nahmekriterien, Ausbildungen und Qua-
litätsmerkmale. Dem wurde vor einigen
Jahren mit der Gründung des „Round
Table der Coachingverbände“ (RTC) ent-
gegengewirkt. Der RTC ist der Zusam-
menschluss aller maßgeblichen Verbände
für Coachs im gesamten deutschsprachi-
gen Raum. Alle diese Verbände haben
sich auf einheitliche Qualitätskriterien
für professionelle Coachs geeinigt, die in
einem Qualitätspapier niedergelegt wor-
den sind, welches Eingang in jede ein-
zelne Verbandsrichtlinie gefunden hat.
Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt
hat sich also in der Branche gerade in
den letzten Jahren ganz Entscheidendes
in der Evolution des Coachings getan.
Die bereits erwähnte unabhängige Mid-
dendorf-Studie zur Coachingbranche in
Deutschland wurde beispielsweise ganz
wesentlich vom RTC unterstützt, gerade
auch um seriöse Zahlen, Daten und Fak-
ten, empirisches Material eben, zu erlan-
gen. Heute wirkt die deutschsprachige
Coachingbranche also nur noch auf den
ersten Blick uneinheitlich. Tatsächlich
haben die RTC-Qualitätskriterien diesen
Zustand längst beseitigt. Was bleibt ist
eine Vielzahl von Berufsverbänden für
Coachs aller Branchen mit unterschied-
lichen Ausrichtungen, Methoden und
Schwerpunkten. Ich kenne viele Kolle-
gen, die keinem Berufsverband oder meh-
reren Verbänden gleichzeitig angehören.
Wichtig für den einzelnen ist ja am Ende,
was ihm persönlich die Mitgliedschaft
bringt.
Wodurch hebt sich die ICF von diesen
anderen Verbänden ab?
Tutschka:
Die ICF unterscheidet sich in
genau zwei Punkten von allen anderen