Wirtschaft und Weiterbildung 7-8/2017 - page 52

training und coaching
52
wirtschaft + weiterbildung
07/08_2017
R
ihm unangenehm: „Nein, ich muss raus
und woanders was suchen, aber wie soll
ich das irgendwo verkaufen, da nimmt
mich ja keine Firma mehr.“ Zur Vorbe-
reitung der Suche nach einer neuen Posi-
tion wird das eigene Profil erarbeitet. Das
Programm „Profilentwicklung“ beginnt
mit der Erhebung der Talente, die zu sei-
ner Persönlichkeit gehören und in ihrer
Kombination einzigartig sind. Dann der
Blick auf die Funktion und Rolle: Es gibt
Fragebögen und Interviews zur idealen
Position und dem idealen Unternehmen,
zu seinen Neigungen und seiner Eignung.
Zusammen mit seinen Werten gibt ihm
dies eine klare Richtung für die Suche
nach einer neuen Position und es stärkt
sein Selbstbewusstsein.
Nicht selten spielen bei relevanten be-
ruflichen Entscheidungen die Aufträge,
Grundannahmen und Leitwerte, die aus
der Familienbiografie stammen, eine
Rolle. Sie steuern unbemerkt das Han-
deln, so auch in diesem Fall: Welche will
er bewahren, welche sollen verabschiedet
werden? Hier war es die innere Ausein-
andersetzung mit dem Wunsch des Va-
ters, der Sohn möge beruflich aufsteigen.
Ressourcen erhält man, wenn man in den
letzten drei Generationen nach guten Mo-
dellen für die Lösung solcher Dilemmata,
wie der Klient sie jetzt erlebt, forscht.
Dies ist Teil des Programms „Biografie-
analyse“.
Noch bevor er mit seinem Profil auf den
Markt geht, hilft (wie so oft in dieser
Übergangsphase) der „Zufall“ mit. Er
trifft auf einer Tagung des Ingenieursver-
bands, zu der er wegen des Themas geht,
einen früheren Kollegen, der vor fünf Jah-
ren eine Firma für Steuer- und Regelungs-
technik von Windkraftanlagen gegründet
hat. Der sucht eine Art Projektleiter, der
für die Entwicklung eines neuen Pro-
dukts für Offshoreanlagen verantwortlich
zeichnet, selbst daran mitarbeitet und ein
kleines Team von drei Spezialisten leiten
soll. Der Klient gleicht die Rahmenbedin-
gungen mit den Ergebnissen der Profil-
entwicklung ab, die Position passt zu 90
Prozent, aber er müsste umziehen. Seine
Frau willigt rascher ein als gedacht. Sie
gesteht, dass ihre Sorgen um ihn und
seine Gesundheit größer waren, als sie
habe durchblicken lassen. Auch sein altes
Unternehmen zeigt sich kulant und er
wechselt rasch. Nach einem halben Jahr
schreibt er: Es habe sich gelohnt, er pen-
dele noch zwischen den Orten, aber ein
geeigneter Wohnsitz sei gefunden. Er und
seine Leute wären an einer „ganz hei-
ßen Sache“ dran. Er könne seine Talente
leben, würde forschen und entwickeln,
sein Chef vertraue ihm voll und ließe ihm
freie Hand. Aufstieg und formale Positi-
onen seien ihm nicht wichtig, hier sei er
genau richtig!
Zweites Fallbeispiel: „Bleiben
oder gehen“
Frau S. (Anfang 30) ist als Consultant in
einer mittelständischen IT-Beratungsfirma
angestellt, die Konzerne berät. An dieser
Stelle sei noch einmal gesagt, dass man in
der Triadischen Karriereberatung stets mit
den drei Programmen „Werteklärung“,
„Biografie- und Karriereanalyse“ sowie
„Profilentwicklung“ arbeitet, jedoch, den
Besonderheiten des jeweiligen Falls Rech-
nung tragend, unterschiedliche Verfah-
ren, Methoden und Wege nutzt.
Frau S. fragt gemeinsam mit ihrem Vor-
gesetzten ein Coaching an. Beim Erstge-
spräch werden von beiden die zu bearbei-
tenden Themen, die ‚karrierehinderlich‘
seien, offen benannt. Es geht überwie-
gend um das unterschiedliche Verständ-
nis von Arbeit und Leistung zwischen
Frau S. und dem Team, das sie führt,
sowie um ihren Kommunikationsstil im
weitesten Sinne. Es kommt ein Kontrakt
für ein prozessbegleitendes Business-
Coaching zu den identifizierten Themen-
feldern für den Zeitraum von sechs Mo-
naten zustande. Die Entwicklungs- und
Zielerreichungskriterien sind vereinbart.
Gleich zu Beginn der Arbeit mit Frau S.
wird deutlich, dass sie darüber hinaus
noch ein ganz wesentliches Thema um-
treibt: „Ich sehe so viel Entwicklungspo-
tenzial, ich sehe alle Probleme unserer
Firma deutlich vor mir. Wir haben Pro-
bleme in unseren Projekten, mit unseren
Kunden, aber mein Team ist es nicht ge-
wöhnt, so leistungsorientiert arbeiten zu
müssen und meine Chefs hören meine
Gestaltungsvorschläge einfach nicht. Sie
vertrauen mir und meiner Kompetenz
nicht. Was tun? Eigentlich will ich blei-
ben – aber wie kann ich mir gezielt Gehör
verschaffen?“
Daraufhin geht der Beratungsprozess in
zwei Parallelsträngen weiter und wir ver-
einbaren einen zweiten Kontrakt zur Klä-
rung der (karriereindizierten) Fragestel-
lung: „Wie kann ich ein vertrauensvolles
und konstruktives Verhältnis zu meinen
Chefs aufbauen und meine Kompetenzen
deutlicher zeigen, um meine Perspektiven
in der Firma zu klären? Das Ziel von Frau
S. besteht darin, Teil der Geschäftsleitung
zu werden. Bleiben oder gehen war das
„Thema hinter dem Thema“. Diese Fra-
gen wurden aus dem Business Coaching
herausgenommen und so bearbeitet:
1. Schritt:
Klärung der handlungsleiten-
den Werte anhand des oben beschriebe-
nen Interviews. Die Beschäftigung mit der
Frage, was „richtige Arbeit“ sei, war ein
zentrales Thema.
2. Schritt:
Erhebung der Karriereanker
mit dem Karriereanker-Fragebogen (nach
Edgar Schein, Organisationspsychologe
am Massachusetts Institute of Techno-
logy in Cambridge) der in der Triadi-
schen Karriereberatung im Unterschied
zur Arbeit von Edgar Schein zum Verste-
hen der Beziehungen zwischen den drei
höchst platzierten Ankern genutzt wird.
So konnte das Spezifische für Frau S. aus
dem Zusammenwirken der Anker her-
ausgearbeitet und auf ihre verschiedenen
Rollen, Funktionen und Tätigkeitsfelder
übertragen werden. Ihre drei zentralen
Anker waren „Selbstständigkeit und Un-
abhängigkeit (SU)“, „totale Herausforde-
rung (TH)“ und „General Management
(GM)“, die sich auch in dem Interview
schon gezeigt hatten und nun vom Fra-
gebogenergebnis bestätigt wurden. So
Buchtipp.
Kornelia Rappe-Giesecke:
„Triadische Karriereberatung“ (EHP Verlag
Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach
2008, 339 Seiten, 35,50 Euro)
1...,42,43,44,45,46,47,48,49,50,51 53,54,55,56,57,58,59,60,61,62,...68
Powered by FlippingBook