Wirtschaft und Weiterbildung 7-8/2017 - page 59

wirtschaft + weiterbildung
07/08_2017
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Digital und analog.
Die Berater von
Kienbaum setzten bei ihrer diesjährigen
Jahrestagung auf einen überzeugenden
Mix aus digital und analog: Es wurde mit
digital lesbaren Abstimmungskärtchen
abgestimmt, per Tablet kommentiert, auf
dem Podium diskutiert und im Hof
sozialisiert (Bilder von links nach rechts).
Trotz aller New-Work-Ansätze, die Re-
ferenten und Teilnehmer darstellten: Es
kristallisierte sich als moderate Mehr-
heitsmeinung heraus, dass für die Ar-
beitswelt der Zukunft nicht alles umge-
krempelt, nicht alles agil werden soll.
Vielmehr müsse man die relevanten Be-
reiche für solchen Veränderungen iden-
tifizieren und je Bereich situativ führen.
Auch künftig müssten die Mitarbeiter
in Innovationseinheiten anders geführt
werden als etwa jene in der Lohnbuch-
haltung.
Heike Bruch warnt vor
„Instrumenteneuphorie“
So mahnte auch Professor Heike Bruch
von der Universität St. Gallen in ihrem
Vortrag zu Vorsicht beim Umgang mit
New Work: Man solle nicht in eine „In-
strumenteneuphorie“ verfallen und sich
nicht auf solche Methoden stürzen, nur
weil sie gerade im Trend sind. Vielmehr
müssten zunächst die Grundlagen im
Unternehmen – eine gute Führung und
eine gute Unternehmenskultur – stim-
men. Manchmal, so ihr Eindruck, würden
Trends wie Agilität in einigen Unterneh-
men fast mit religiösem Eifer betrieben:
„Sind Sie Agilist oder nicht?“, spitzte
Bruch ihre Trendkritik zu.
Nach den Ausflügen in die schöne neue
Arbeitswelt holte der Promi-Gastredner
der diesjährigen Kienbaum-Jahrestagung
die Teilnehmer zum Abschluss wieder auf
den Boden der Tatsachen zurück: Verle-
ger und Autor Jakob Augstein wies in sei-
ner Keynote, die sich um die Frage drehte,
wie viel Ethik die Digitalisierung verträgt,
auf die moralischen Risiken der Big-Data-
Welt hin. Augstein verteufelte dabei nicht
die Möglichkeiten, die die Digitalisierung
bietet – aber er plädierte dafür, dass die
Menschen sich kritisch mit ihren Auswir-
kungen und ihren Grenzen beschäftigen
sollten.
Augsteins Position wurde schnell klar:
„Kein Mensch darf zum Objekt eines Al-
gorithmus werden“, sagte er und verwies
damit auf ein Zitat von Justizminister
Heiko Maas, der kürzlich einen Gesetz-
entwurf gegen Hassreden im Internet vor-
gelegt hat. Doch vielleicht, argumentierte
Augstein, könne es tatsächlich sein, dass
sich der Standard dessen, was rund um
Datenschutz und Privatsphäre als normal
und unproblematisch angesehen wird, in
Zukunft verschiebe – ebenso, wie heute
niemand mehr verstehen könne, warum
sich in den 1970er-Jahren solch ein mas-
siver Widerstand gegen die Volkszählung
regte.
Internet-Trolle erwachen in der
Anonymität
Die Chancen und Gefahren der Digitali-
sierung zeigten sich im Laufe des Tages
auch in den digitalen Kanälen, die die
Veranstaltung begleiteten. Als konstruktiv
und rege erwies sich etwa der Austausch
unter dem Twitter-Hashtag #EHR2017.
Allerdings zeigten sich auf dem interak-
tiven Feedback-Tool, das die Teilnehmer
über ausgelegte Tablets nutzen konnten,
im Laufe des Tags auch Schattenseiten
der Digitalisierung: Gegen Ende der Ver-
anstaltung – etwa gleichzeitig mit der
Podiumsdiskussion und Augsteins Ethik-
Vortrag – erwachten hier die Internet-
Trolle, und die Kommentare auf dem Tool
wurden immer harscher und destruktiver,
teilweise sogar ausfallend.
Live vorzuführen, dass sich Nutzer digi-
taler Medien, wenn sie anonym bleiben,
leicht dazu hinreißen lassen, andere zu
beleidigen, hatten die Veranstalter si-
cher so nicht geplant. Aber der Aspekt
ergänzte hervorragend das offizielle Ta-
gungsprogramm, bei dem die Referenten
alle Vor- und Nachteile der Digitalisierung
durchdeklinierten und definierten, wel-
che Rolle HR dabei künftig spielen kann
und muss.
Andrea Sattler
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