wirtschaft und weiterbildung 2/2016 - page 52

training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
02_2016
tikgespräche und blicken ihnen eher mit
Unbehagen entgegen, anstatt sich auf sie
zu freuen. Denn sie wissen: Das Gespräch
wird sich vor allem darauf konzentrieren,
was in der Vergangenheit nicht optimal
lief. Woran liegt es, dass wir uns meist
vorwiegend auf unsere Schwächen statt
Stärken konzentrieren? Eine zentrale Ur-
sache hierfür ist, dass wir vieles, was wir
gut machen und können, als selbstver-
ständlich erachten.
So erfüllt es zum Beispiel manch guten
Texter nicht mit Stolz, dass er gut schrei-
ben kann. Und viele exzellente Zuhörer
sind keineswegs stolz darauf, dass sie gut
zuhören können. Entweder, weil ihnen
diese Fähigkeit nicht bewusst ist, oder
weil sie dieses Können als selbstverständ-
lich erachten. Anders verhält es sich mit
den Denk- und Verhaltensmustern, an
denen wir uns regelmäßig stoßen. Sei
es, weil wir ein anderes Wunschbild von
uns haben, oder weil sie uns im Alltag
tatsächlich zuweilen Probleme bereiten.
Mit diesen unerwünschten Denk- und
Verhaltensmustern beschäftigen sich
viele Menschen tagaus und tagein. Diese
„Schwächen“ versuchen sie abzubauen,
statt ihre Stärken auszubauen.
Stärken werden oft nicht
gewertschätzt
Ähnlich verhält es sich bei vielen Füh-
rungskräften. Auch sie erachten das, was
ihre Mitarbeiter gut können oder tun, oft
als selbstverständlich. Sei es, dass sie Ter-
mine zuverlässig einhalten oder selbst-
ständig Probleme lösen. Also verlieren sie
darüber keine großen Worte. Stattdessen
konzentrieren sie sich auf die Verhaltens-
weisen, bei denen die Mitarbeiter ihrem
Idealbild nicht entsprechen – selbst wenn
diese für den Arbeitserfolg eine geringe
Bedeutung haben.
Ein Umdenken findet meist erst statt,
wenn der Mitarbeiter das Unternehmen
verlässt und ein Neuer seinen Platz ein-
nimmt. Dann wird der frühere Mitarbei-
ter häufig glorifiziert. „Der Schmidt war
ein toller Mitarbeiter. Er hat zwar oft ge-
meckert, doch verkauft hat er wie kein
Zweiter.“ Oder: „Der Seifert war zwar
etwas chaotisch, doch im Programmieren
war er ein Ass.“ Dann ist das, was vorher
selbstverständlich war, auf einmal nicht
mehr selbstverständlich. Plötzlich werden
die Stärken des Ex-Mitarbeiters gewürdigt
und seine Schwächen sind nur noch An-
lass für Anekdoten. Und alle beklagen,
„Ich bin zu perfektionistisch.“ „Ich kann
mich nicht durchsetzen.“ „Ich werde
schnell ungeduldig.“ Solche Aussagen
hören Coachs oft, wenn sie Personen fra-
gen, warum diese mit bestimmten Auf-
gaben und Situationen Probleme haben.
So detailliert listen die Betroffenen dann
ihre vermeintlichen Schwächen auf, dass
man den Eindruck gewinnen könnte:
Diese Person hat nur „Schwächen“. Dabei
zeigt sich bei einem gezielten Nachfragen
meist schnell, dass die Person in ihrem
Leben schon viele Herausforderungen ge-
meistert hat.
Die ähnliche Konzentration auf die
Schwächen erlebt man häufig, wenn sich
Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern
zu Entwicklungsgesprächen zusammen-
setzen. Dann spielen die „Schwächen“
des Mitarbeiters eine so große Rolle, dass
man sich fragt: Warum hat das Unter-
nehmen diesem Mitarbeiter noch nicht
gekündigt? Viele Führungskräfte thema-
tisieren in den Entwicklungsgesprächen
mit ihren Mitarbeitern vor allem, was in
der Vergangenheit nicht optimal lief. Fol-
genden Punkten wird hingegen wenig bis
gar keine Aufmerksamkeit geschenkt:
• Was lief gut?
• Warum lief ist es gut?
• Welche Kompetenzen zeigte der Mitar-
beiter dabei?
• Wie kann er seine Stärken künftig noch
besser entfalten?
Was gut war, wird schnell abgehakt, um
anschließend die ganze Aufmerksamkeit
auf die Schwächen und Versäumnisse des
Mitarbeiters zu richten.
Dieses Ungleichgewicht spüren auch die
Mitarbeiter. Deshalb erleben sie die Ent-
wicklungsgespräche vor allem als Kri-
Schwächen können
verborgene Stärken sein
PSYCHOLOGIE.
Viele Menschen beklagen ihr Leben lang ihre Schwächen und versuchen
sie zu beseitigen. Das gelingt ihnen meist nicht – unter anderem, weil sich hinter vielen
unserer sogenannten Schwächen in Wahrheit Stärken verbergen. Viel sinnvoller ist es, die
vorhandenen Talente zu entfalten und die starke Seite unserer Schwächen zu nutzen.
Frank Rebmann
arbeitet als Trai-
ner, Berater und
Coach und gilt als
Experte für das
Themenfeld „Ermitteln und Entwickeln
der Stärken von Führungskräften und
ihren Mitarbeitern“. Der zertifizierte
Trainer und systemische Coach ver-
fügt über 16 Jahre Erfahrung als Füh-
rungskraft und 20 Jahre Erfahrung als
Verkäufer in Industrie- und Handels-
unternehmen.
Frank Rebmann, Stärkentrainer
Stresemannstr. 7, 70192 Stuttgart
Tel. +49711 91401156
AUTOR
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