PERSONALquarterly 4/2017 - page 54

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SERVICE
_DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE
PERSONALquarterly 04/17
D
ie Deutsche Bank hat im Mai und Juni dieses Jah-
res rund 83.000 Beschäftigte nach ihrem Befinden
befragt – und sich, so berichtet das Manager Maga-
zin im Juli, eine schallende Ohrfeige abgeholt. Denn
über drei Viertel der Mitarbeiter gaben an, sie seien unsicher,
ob sie in drei Jahren noch bei der Bank arbeiten wollten. Der
Bericht basiert auf Informationen der Frankfurter Allgemei-
nen Zeitung. Und die hatte schon 2016 über die mangelnde
Loyalität der Mitarbeiter berichtet. Denn auch vor einem Jahr
äußerten sich die Beschäftigten sehr deutlich: Nur die Hälfte
der damals befragten Mitarbeiter war stolz darauf, für den
Konzern zu arbeiten. Ein Ergebnis, das sich 2017 wiederhol-
te. Manager, die mit solchem Rumoren wiederholt umgehen
müssen, haben eines nicht geschafft: auf die Antworten zu
reagieren und die Stimmung durch ihre Entscheidungen oder
Handlungen zu drehen.
Da stellt sich die Frage, warum sie trotzdem turnusmäßig ih-
re Mitarbeiter befragen. Die beantworten Konzerne wie BASF,
Generali oder Daimler damit, dass sie regelmäßig ein Stim-
mungsbild der Belegschaft erfassen, die Zufriedenheit messen
und steigern möchten. Der Stuttgarter Autobauer schrieb im
August 2017 sogar eine Doktorandenstelle für die Mitarbeiter-
befragung mit dem Schwerpunkt Trucksektor aus: Konzeption
der Fragestellung, Feldarbeit während der Erhebung, Aufbe-
reitung und Kommunikation der Ergebnisse werden wissen-
schaftlich begleitet.
Die Standards müssen stimmen
Professor Stefan Süß sieht „in der Interpretation der Daten die
Königsdisziplin der Mitarbeiterbefragung“. Der Inhaber des
BWL-Lehrstuhls für Organisation und Personal an der Hein-
rich-Heine-Universität Düsseldorf beschreibt: „Der Fragebogen
liefert nur Zahlen und Daten in Skalen oder die Antworten in
freien Textfeldern, dann geht die Arbeit erst los.“ Er hält es für
sinnvoll, wenn große Befragungen im festen Turnus mit den
gleichen Fragen durchgeführt werden. „Es sind nicht die elabo-
riertesten Methoden nötig, um bei einer Mitarbeiterbefragung
schlüssige Ergebnisse zu erhalten“, sagt der Wissenschaftler,
der mit seinem Team Mitarbeiterbefragungen zu Gesundheits-
themen und Führungsverhalten entwickelt und anwendet.
Die Anonymität ist das große Plus des HR-Instruments Mitarbeiterbefragung.
Fortschritte aber erzielt erst die Umsetzung der Ergebnisse – am besten im Dialog.
Mitarbeiterbefragungen als Eisbrecher
„Aber die Standards müssen stimmen.“ Das erreicht man sei-
nes Erachtens am sichersten mit validierten Skalen aus der
Betriebswirtschaftslehre und der Arbeitspsychologie.
Für Süß liegt der große Vorteil dieses HR-Instruments in
der Anonymität: „Die Befragung wird nie repräsentativ sein,
aber es wäre gut, wenn alle Unternehmensbereiche abgedeckt
würden.“ Dazu noch eine der Firma entsprechende Verteilung
bei den Geschlechtern und dem Alter der Mitarbeiter. Dann
„kann man mit einem vernünftigen, guten Instrument in die
Belegschaft hineinhorchen“, so Stefan Süß. Wissenschaftler
müssen dazu nicht jedes Mal die Welt neu erfinden. Etablierte
Fragebögen zu variieren und auf den Einzelfall zu adaptieren,
möglicherweise mit Interviews zu ergänzen, kann durchaus
reichen, wenn das Verfahren beständig kontrolliert wird. Per-
sonalmanager sollten mit Befragungsexperten zusammenar-
beiten, müssten aber selbst in der Lage sein, die Empirie zu
beurteilen – und vor allem müssen sie vor der Mitarbeiterbe-
fragung die strategischen Überlegungen anstellen, was sie mit
den Ergebnissen machen wollen.
Ursache und Wirkung analysieren
Professorin Tatjana Seibt verweist auf die lange Tradition der
Interventionsmethode, die bereits seit Mitte des vergangenen
Jahrhunderts eingesetzt wird – und zwar mit fast 98 Prozent am
häufigsten zu Kommunikation und Führung. Deutlich seltener
wird die Mitarbeiterbefragung für Probleme wie Mobbing und
Diskriminierung am Arbeitsplatz genutzt. Die Professorin für
Personalmanagement und Diagnostik an der privaten, staat-
lich anerkannten Hochschule für angewandtes Management
in München und ihr Team führen aktuell Befragungen durch
zu Anreizsystemen im Rahmen von Employer-Branding-Strate-
gien und zur Auswirkung von Persönlichkeitsmerkmalen aufs
Commitment. Seibt: „Der praktische Wert dieser Untersuchung
liegt in der individualisierten Gestaltung von Anreizsystemen
in einem Unternehmen, unter Berücksichtigung von Persön-
lichkeitsmerkmalen.“
Aussagen zur Wirksamkeit von Mitarbeiterbefragungen, de-
nen in mehreren Studien eine mittlere Effektstärke nachgesagt
wird, hält Tatjana Seibt allerdings für nicht aussagekräftig:
„Die Komplexität des Themas verlangt nach einer umfassenden
Ruth Lemmer
, Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg
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