PERSONALquarterly 4/2017 - page 58

PERSONALquarterly 04/17
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SERVICE
_EVIDENZ ÜBER DEN TELLERRAND
D
ie Interpretation der Daten über die Einkommensent-
wicklung der privaten Haushalte wird nicht nur von
der Wissenschaft und der allgemeinen Öffentlichkeit
mit großem Interesse verfolgt, sondern auch von der
Politik. Dessen sind sich die Forscher bewusst, wenn sie der Fra-
ge nachgehen, ob sich die Schere zwischen Personen mit nied-
rigen Haushaltseinkommen und solchen am oberen Ende der
Skala schließt oder öffnet. Das DIW Berlin legt seinen Berech-
nungenMikrodaten des Sozio-oekonomischen Panels zugrunde,
die jedes Jahr von Kantar Public (früher TNS Infratest) erhoben
werden. Das Haushaltsnettoeinkommen, das dafür betrachtet
wird, umfasst das Erwerbs- und Kapitaleinkommen, private und
gesetzliche Renten sowie Sozialtransfers. Hiervon abgezogen
werden direkte Steuern und Sozialabgaben. Wie bei der EU-wei-
ten Einkommensverteilungsrechnung fließen nichtmonetäre
Faktoren wie der Mietwert selbst genutzter Immobilien ein. Das
Haushaltsnettoeinkommen wird auf einen Einpersonenhaus-
halt normiert, um einen Vergleich zwischen Haushalten mit
unterschiedlicher Zusammensetzung zu erlauben.
In der jüngsten Untersuchung kam das SOEP-Team 2017 mit
diesem Vorgehen zu folgenden Schlüssen: Die verfügbaren Ein-
kommen der privaten Haushalte in Deutschland sind von 1991
bis 2014 unter Berücksichtigung der Preisentwicklung imDurch-
schnitt um 12% gestiegen. Die Entwicklung verlief jedoch, nach
Einkommensgruppen betrachtet, sehr unterschiedlich: Während
die mittleren Einkommen um mehr als 8% stiegen, legten die
höchsten Einkommen um bis zu 26% zu. Die unteren Einkommen
gingen hingegen real zurück. Folglich hat die Einkommensun-
gleichheit insgesamt zugenommen. Die stärkstenVeränderungen
lassen sich für den Zeitraum Ende der 1990er-Jahre bis 2005
beobachten. Seither stagnierte die Einkommensungleichheit,
wenngleich zuletzt Anzeichen vorlagen, die auf einen erneuten
Anstieg der Einkommensungleichheit in Deutschland hindeuten.
Die Vereinten Nationen (UN) verabschiedeten 2015 einen
Katalog von 17 Nachhaltigkeitszielen. Dazu gehört das Ver-
teilungsziel, nach dem der Zuwachs des Einkommens bei den
ärmsten 40% einer Bevölkerung höher liegen sollte als das durch-
schnittliche Einkommensplus der Gesamtbevölkerung, um so
die Spreizung der Einkommen zu reduzieren. Noch hat die UN
keine Referenzperiode hierzu festgelegt. Betrachtet man aber den
SOEP-Untersuchungszeitraum von 2000 bis 2014, hat Deutsch-
land dieses Ziel in jedem dieser Jahre jeweils verfehlt.
Die Daten belegen auch, dass das Risiko, von Armut bedroht
zu sein, trotz des starken Rückgangs der Arbeitslosigkeit in den
letzten Jahren, sogar gestiegen ist. Das Armutsrisiko unter Al-
leinverdienerhaushalten steigt nahezu kontinuierlich leicht an.
Und: Altersarmut gewinnt, vor allem im Osten, an Bedeutung.
Kritiker dieser Ergebnisse verweisen darauf, dass ein ein-
facher Vergleich der unteren Einkommensbezieher über die Zeit
nicht angemessen sei, da es sich nicht um dieselben Personen
handeln würde. Dabei übersehen sie, dass für die SOEP-Daten im
jährlichen Abstand immer wieder die gleichen Personen zu ih-
remEinkommen befragt werden. Die Mobilität zwischen den Ein-
kommensgruppen hat in Deutschland seit 1991 abgenommen.
Wenn also eine Person in den Bereich der Einkommensarmut
abgerutscht ist, ist deren Risiko, dort zu verbleiben, bis 2014 grö-
ßer geworden. Zwar wächst der Wohlstand, aber die Verteilung
ist ungleich. Denn im Zeitraum 1991 bis 2015 ist das Bruttoin-
landsprodukt real um 26% gestiegen. Hätten alle Menschen in
gleichem Maße davon partizipiert, so hätten auch die untersten
Einkommensgruppen Einkommenssteigerungen erfahren. Fak-
tisch fand bei diesen aber ein Rückgang statt.
Realeinkommen: Steigerung ungleich verteilt
Dr. Markus M. Grabka,
wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des DIW Berlin
Gesamtwirtschaft: Arbeitnehmerentgelte, Gewinne der
Kapitalgesellschaften und Vermögenseinkommen
Veränderung in Prozent, 1991=100
Veränderungen gegenüber 1991
Quelle: Statistisches Bundesamt 2016; Berechnungen des DIW Berlin
Arbeitnehmerentgelte der Kapitalgesellschaften
Arbeitnehmerentgelte – gesamte Wirtschaft
Gewinne der Kapitalgesellschaften
Vermögenseinkommen
1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015
300
250
200
150
100
50
0
1...,48,49,50,51,52,53,54,55,56,57 59,60
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