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SERVICE
_FORSCHERPORTRÄT
PERSONALquarterly 04 /17
Diversity als (Lebens-)Philosophie
Professorin Désirée Ladwig steht für Kontinuität und Neuerung. Sie passt ihre diversen
Forschungsschwerpunkte an die Herausforderungen der Digitalisierung an.
Ruth Lemmer,
Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg
D
ie Neugierde auf Vielfältiges ist eine starke Trieb-
feder für Désirée Ladwig, seit 2008 Personalwirt-
schaftsprofessorin an der Fachhochschule Lübeck.
In ihrer Heimatstadt Hamburg studierte sie an
der Universität zuerst Betriebs- und anschließend Volkswirt-
schaftslehre. Sie wollte beide Perspektiven auf die Wirtschaft
und die Vielfalt der relevanten Facetten kennenlernen. Die
Diplom-Kauffrau und Diplom-Volkswirtin heute: „Was ich da-
mals als Studentin schon hinterfragte, wird jetzt offen und
kritisch diskutiert: Wachstum um jeden Preis zum Beispiel
oder die Problematik einer Europäischen Union, die eine ge-
meinsame Währung hat, aber keine gemeinsame Wirtschafts-
politik und Konvergenzkriterien, an die sich (kaum) ein Land
hält.“ Für die Promotion entschied sich Ladwig dann für die
Betriebswirtschaftslehre, wechselte die Hochschule und wurde
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Personalwesen
und Internationales Management an der Hamburger Universi-
tät der Bundeswehr (heute Helmut-Schmidt-Universität). Ihr
Dissertationsthema schöpfte auch aus dem Fundus der Vielfalt:
Forschungs- und Entwicklungskooperationen in kleinen und
mittleren Unternehmen – ein empirischer und konzeptioneller
Beitrag zum Prozessmanagement von FuE-Kooperationen. Ih-
re Gutachter: Professor Joachim Fischer aus Paderborn und
PERSONALquarterly-Herausgeber Professor Dieter Wagner.
Auch in Bezug auf Arbeitszeit- und Karrieremodelle be-
geistert sich die Professorin für Diversität. Was haben etwa
Spezialisten und Frauen gemeinsam? Beide Gruppen arbeiten
gerne explizit fachlich. Klassische Führungs- undManagement
aufgaben wie Budgetverhandlungen, Projektkoordination und
Mikropolitik priorisieren sie oft nicht. Die Vielfalt der Mit-
arbeiter erfordert deshalb vielfältige Aufstiegsmodelle. „Das
traditionelle Modell der männlichen Vollzeitkraft, die sich
ohne Unterbrechung und fast ausschließlich einem einzigen,
aufstiegsorientierten Karriereweg widmet, wird heute immer
weniger nachgefragt“, sagt Désirée Ladwig. „Es gilt, alternative
Karrierewege zu konstruieren für eine Vielfalt an Mitarbeiten-
dengruppen und Generationen.“ Die Fachlaufbahn ist solch
ein Weg, über den die Hochschullehrerin mit den Fachgebieten
Allgemeine BWL, Human Resource Management, Internatio-
nal Management sowie Gender- und Diversity-Forschung seit
vielen Jahren arbeitet. In einem vom BMBF und von der EU
geförderten Verbundprojekt beschrieb die 53-jährige Wissen-
schaftlerin zusammen mit ihrem Kollegen Professor Michel E.
Domsch alle Facetten der Fachlaufbahn
d schlägt mit diesem Thema heute einen Bogen zur di-
gitalisierten Wirtschaftswelt. Denn gerade in einer Welt agiler
Strukturen und innovativer Arbeitskonzepte passen konventi-
onelle Fach- und Managementlaufbahnen nicht mehr.
Diversität der Studierendengruppen nimmt zu
Ein Thema der Diversity-Forschung treibt die Professorin
schon seit Jahrzehnten an und um: die Gender-Forschung, ak-
tuell das Cross Mentoring. „Mentoring und Cross Mentoring
sind Instrumente, die mit den höchsten Wirkungsgrad in der
Frauenförderung besitzen“, versichert Ladwig. „Wichtig ist,
dass es institutionalisiert wird, dann werden ehemalige Men-
tees irgendwann zu Mentorinnen und der Kreis schließt sich.“
Um den Diskurs über Diversity- und Gender-Themen über
Branchengrenzen hinweg kontinuierlich voranzubringen, lei-
ten Ladwig und Domsch als Tandem seit mehr als zwölf Jahren
die Genderdax-Community
ne Erfah-
rungsaustauschgruppe von Unternehmen aller Größenklassen
aus vielen Branchen. Es gibt Jahrestreffen und Workshops,
Austausch on- und offline, gemeinsame Veröffentlichungen
und Projekte. Ursprünglich ein 2005 bis 2007 vom Bund ge-
fördertes Projekt zur Steigerung der Chancengleichheit nur
für Frauen im Führungsbereich, hat sich der Genderdax zum
Diversity-Netzwerk erweitert und ist nun bei Désirée Ladwig
in Lübeck angesiedelt. Die Professorin ist selbst Mentorin. Sie
wollte und konnte sowohl Karriere als auch Kinder in ihrem
Lebenskonzept vereinbaren. Die Mutter zweier erwachsener
Töchter: „Ich liebe meinen Job so sehr, dass ich es mir nie hätte
vorstellen können, ihn für die Kinder aufzugeben oder länger
auszusteigen.“
Die überzeugte Konstruktivistin entwickelte und imple-
mentierte 2011 das Career Development Center an der FH
Lübeck und leitete es bis 2016. Die zunehmende Diversität
der Studierendengruppen führte zu einer speziellen Diversity-
Strategie der Fachhochschule. Studierende mit unterschied-
lichem Hintergrund, etwa abgeschlossene Lehre oder zweiter