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            SCHWERPUNKT
          
        
        
          _INTERVIEW
        
        
          PERSONALquarterly  02/16
        
        
          ausreichend Spielräume und Gelegenheiten für Lernaktivitäten
        
        
          am Arbeitsplatz bestehen. Die Gestaltung solcher Lernum-
        
        
          gebungen ist anspruchsvoll und aufwendig. Sie ist in hohem
        
        
          Maße abhängig von der Kenntnis konkreter Arbeits- und Lern-
        
        
          anforderungen sowie der persönlichen Entwicklungsbedarfe
        
        
          und -bedürfnisse der Lernenden. Ist dies durch entsprechende
        
        
          HR-Methoden und -Instrumente gewährleistet, zeigen sich deut-
        
        
          liche Lerngewinne bei den Fach- und Führungskräften. Die Be-
        
        
          fundlage des Zusammenhangs zwischen Arbeitsmerkmalen und
        
        
          Kompetenzentwicklung zeigt beeindruckend, dass die Vielfalt
        
        
          geforderter Fähigkeiten, Autonomie und Partizipationsmöglich-
        
        
          keiten sowie Rückmeldungen und Abwechslungsreichtum lern-
        
        
          förderliche Arbeitsaspekte darstellen.
        
        
          
            PERSONALquarterly:
          
        
        
          
            In Unternehmen werden Kompetenzmanage-
          
        
        
          
            mentsysteme aufgesetzt. Was ist darunter zu verstehen und wie
          
        
        
          
            müssen diese aufgesetzt werden, damit sie sinnstiftend und
          
        
        
          
            wirkungsvoll genutzt werden?
          
        
        
          
            Sonntag:
          
        
        
          Lassen Sie mich zuerst erklären, was in diesem Zusam-
        
        
          menhang unter Kompetenzen zu verstehen ist. Kompetenz ist per
        
        
          se ein wohlklingender Begriff. Aus dem einfachen Grund, weil je-
        
        
          der gegen Inkompetenz ist, findet das Wort inflationäre Verwen-
        
        
          dung in allen gesellschaftlichen Bereichen – vor allem aber in
        
        
          der Personalentwicklung undWeiterbildungsforschung. Beliebig
        
        
          und diffus ist oftmals das Verständnis dessen, was Kompetenz
        
        
          wirklich meint. Wir sprechen von beruflicher Handlungskompe-
        
        
          tenz, die Organisationsmitglieder befähigt, Handlungen zielge-
        
        
          richtet und weitgehend selbstorganisiert umzusetzen, gestützt
        
        
          auf fachliches und methodisches Wissen, auf Erfahrung und Ex-
        
        
          pertise sowie unter Nutzung kommunikativer und kooperativer
        
        
          Möglichkeiten in einem sozialen Umfeld. In der Praxis, aber auch
        
        
          in der Wissenschaft hat sich inzwischen eine Spezifizierung in
        
        
          die Bereiche Fach-, Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz
        
        
          durchgesetzt. Wohlgemerkt: Berufliche Handlungskompetenz als
        
        
          Erfolgs- und Leistungskriteriummenschlicher Arbeit deckt nicht
        
        
          nur eine Kompetenzfacette ab (bspw. Fach- oder Methodenkom-
        
        
          petenz), vielmehr zeigt sie ihre Wirkung und den Nutzen erst in
        
        
          der Gesamtheit und Integration aller Kompetenzbereiche. Es ist
        
        
          also viel zu kurz gedacht, wenn aufgrund der zunehmenden Digi-
        
        
          talisierung und flexibler neuer Arbeitsformen nur dem Ruf nach
        
        
          fachspezifischem IT-Wissen Folge geleistet wird und die situati-
        
        
          onsübergreifenden flexibel einsetzbaren kognitiven Fähigkeiten
        
        
          oder aber sozialkommunikative Fähigkeiten außer Acht bleiben.
        
        
          Für den HR-Bereich eines Unternehmens, die Personalauswahl
        
        
          und -entwicklung, stellt die Kenntnis aktuell und zukünftig benö-
        
        
          tigter Kompetenzen eine fundamentale, ja existenzielle Voraus-
        
        
          setzung dar. Damit sind wir beimKompetenzmanagementsystem
        
        
          (KMS). Dieses anspruchsvolle System gibt letztlich Auskunft
        
        
          darüber, welche Denkanforderungen, motorische, sozialkom-
        
        
          munikative und motivationale Leistungsvoraussetzungen und
        
        
          Persönlichkeitsmerkmale am Arbeitsplatz in welchem Ausmaß
        
        
          gefordert bzw. beansprucht werden. Sie werden in Kompetenz-
        
        
          modelle aufbereitet. Ein seriöses KMS erfordert (1) den Einsatz
        
        
          von Aufgaben und Anforderungsanalysen, (2) die Erfassung
        
        
          aktueller und zukünftiger Aufgaben und Anforderungen, (3)
        
        
          die Einbeziehung von Stelleninhabern, Vorgesetzten und strate-
        
        
          gischemManagement, (4) die Transformation der Anforderungen
        
        
          in Kompetenzen pro Funktion oder Funktionsgruppe (Kompe-
        
        
          tenzmodellierung) sowie (5) die Planung und Umsetzung der
        
        
          ermittelten Kompetenz und -profile in Auswahl-, Beurteilungs-
        
        
          und Förderaktivitäten sowie in sonstige Personalprozesse. Ein
        
        
          solch evidenz- und strategiebasierter Ansatz wurde bei einem
        
        
          großen Change-Projekt der Schweizerischen Post erfolgreich er-
        
        
          probt. Er mag aufwendig erscheinen, bildet letztlich aber eine
        
        
          wesentlich verlässlichere und inhaltsvalidere Grundlage für die
        
        
          Personalauswahl, -beurteilung und -förderung, als wenn am grü-
        
        
          nen Tisch durch HR-Experten (und solche, die sich dafür halten)
        
        
          Kompetenzen in eiliger Runde festgeschrieben werden. Ein KMS
        
        
          setzt natürlich auch voraus, dass die Entwicklung und Nutzung
        
        
          der Kompetenzen entsprechend qualitätsgesichert ist.
        
        
          
            PERSONALquarterly:
          
        
        
          
            In den letzten Jahren hat sich eine Arbeits-
          
        
        
          
            kultur etabliert, in der die zunehmende Digitalisierung und
          
        
        
          
            Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse die Grenzen zwischen
          
        
        
          
            Arbeit und Freizeit verschwimmen lässt. Flexibilisierungsanfor-
          
        
        
          
            derungen im Innovationswettbewerb führen zu offeneren Orga-
          
        
        
          
            nisationsstrukturen. Die neuen Medien ermöglichen flexibles
          
        
        
          
            Arbeiten an verschiedenen Orten und zu flexiblen Zeiten. Dies
          
        
        
          
            eröffnet neue Handlungsspielräume. Gleichzeitig hat sich durch
          
        
        
          
            das flexible Arbeiten in vielen Unternehmen eine Kultur der
          
        
        
          
            ständigen Erreichbarkeit etabliert. Welche Kompetenzen müssen
          
        
        
          
            in Unternehmen entwickelt werden, um dem gerecht zu werden?
          
        
        
          
            Sonntag:
          
        
        
          Ständige Erreichbarkeit bzw. die Erwartungshaltung
        
        
          von Vorgesetzten, dass Mitarbeiter (insb. solche des mittleren
        
        
          und unteren Managements) immer erreichbar sein sollten,
        
        
          stellt einen wesentlichen psychischen Belastungsfaktor dar, mit
        
        
          negativen Beanspruchungsfolgen für die Betroffenen wie ver-
        
        
          stärktem Stressempfinden und Burn-out. Insofern ist das ein
        
        
          Aspekt gesundheitsförderlicher Führung und des Gesundheits-
        
        
          managements. Die Unternehmensleitung kann hierfür struktu-
        
        
          relle Maßnahmen einleiten, sodass eine Grenzziehung zwischen
        
        
          Arbeit, Privatleben und Familie möglich wird. Beispiele wie das
        
        
          Einstellen des E-Mail-Verkehrs am Feierabend oder im Urlaub
        
        
          zeigen Erholungseffekte. Aber auch durch Trainings können ent-
        
        
          sprechende Kompetenzen bei Mitarbeitern und Führungskräften
        
        
          entwickelt werden, umderen selbstregulative Fähigkeiten so aus-
        
        
          zubilden, dass sie die Chancen veränderter Arbeitsbedingungen
        
        
          (z.B. flexible Arbeitszeiten, Home Office) besser nutzen. Trotz
        
        
          arbeitsbedingter und privater Beanspruchung wird dadurch eine
        
        
          Trennung und Abgrenzung beider Lebensbereiche für die Betrof-
        
        
          fenen erreicht. Ein solches Training wurde von uns entwickelt
        
        
          und erfolgreich bei der Daimler AG eingesetzt.