PERSONALquarterly 2/2016 - page 6

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SCHWERPUNKT
_INTERVIEW
PERSONALquarterly 02/16
PERSONALquarterly:
Viele Unternehmen öffnen sich inzwischen
immer stärker dafür, wie die Kompetenzen ihrer Beschäftigten
sowohl auf betrieblicher als auch individueller Ebene optimal
genutzt und weiterentwickelt werden können. Welche Bedeu-
tung für die Kompetenzentwicklung hat dabei die Organisati-
onskultur?
Karlheinz Sonntag:
Die Kultur einer Organisation, eines Unter-
nehmens hat zentrale Bedeutung für das HR-Management und
seine Aktivitäten. Sie gibt Auskunft, wie zielgerichtetes Han-
deln und Verhalten der Mitglieder einer Organisation zu einem
spezifischen Sachverhalt untereinander gelebt und gepflegt
wird. Im Sinne des viel bemühten Eisberg-Modells („iceberg
metaphor“) von Edgar Schein setzt sich dieses abstrakte und
nicht einfach beschreibbare Konstrukt zusammen aus (1) sog.
Artefakten (als kleinerer Teil) sicht- und erfassbarer Struk-
turen, Normen und Verhaltensweisen, (2) kollektiven Werten
und Überzeugungen und (3) impliziten Grundannahmen, die
bestimmte Denkprozesse und Handlungen bei den Einzelnen
oder der Gruppe auslösen.
Es gibt nicht
die
Organisationskultur in einem Unterneh-
men. Facettenreich und kontextbezogen sprechen wir etwa
von Veränderungs-, Qualitäts-, Fehler-, Präventions- oder
Führungskultur. Wenn organisationskulturelle Aspekte auf
Kompetenzentwicklung der Fach- und Führungskräfte ausge-
richtet sind, sprechen wir von Lernkultur. Gerade vor dem
Hintergrund der aktuellen Herausforderungen zunehmender
Digitalisierung, des demografischen Wandels oder flexibler
Arbeitsformen gewinnt Lernkultur an enormer Bedeutung für
die Kompetenzentwicklung und Innovationsfähigkeit im Un-
ternehmen. Natürlich haben auch andere Kulturfacetten Wech-
selwirkungen mit der Kompetenznutzung. Dies gilt bspw. für
Fehlerkultur, wenn ein entsprechender Umgang mit Fehlern
lernförderlich gestaltet ist, oder wenn eine Qualitätskultur
durch sinnvolle Evaluation von Trainingsmaßnahmen eine Op-
timierung des Wissenserwerbs und der Verhaltensmodifikati-
on bei den Teilnehmern erreicht.
PERSONALquarterly:
Wie lässt sich Lernkultur überhaupt erfassen,
sodass sinnvolle und begründete HR-Aktivitäten abgeleitet
werden können?
Lernkultur und Kompetenzentwicklung
Das Interview mit
Prof. Dr. Karlheinz Sonntag
führte
Prof. Dr. Simone Kauffeld
Sonntag:
Die Dynamisierung der modernen Arbeitswelt erfordert
ein HR-Management, das auf verlässliche Daten zurückgreifen
kann, um eine (pro-)aktive Personalentwicklung zu betreiben.
Entsprechende Instrumente und Methoden können da un-
terstützen. So haben wir in Heidelberg ein praxistaugliches
Verfahren entwickelt, um Lernbedarfe im Unternehmen zu di-
agnostizieren: das Lernkulturinventar (LKI). Das LKI basiert
auf einem Managementmodell, wonach Lernen auf einer nor-
mativen Ebene in gemeinsamen Werten, Normen, Regelwerken
und Leitbildern (schriftlich) fixiert ist. Auf der strategischen
Ebene manifestiert sich Lernkultur in Governance-Strukturen,
die die Verantwortung für Lernen und Kompetenzentwicklung
aufbauorganisatorisch festschreiben und die Ressourcen für ein
nachhaltiges Lernen im Unternehmen bereitstellen. Operativ
konkretisiert sich Lernkultur in den vorhandenen Angeboten
und Formaten individuellen und gruppenbezogenen Lernens.
In einer Experten- (HR-Manager, Personalentwickler) und Mit-
arbeiterversion (Fach- und Führungskräfte) werden mit dem
LKI insgesamt neun Dimensionen beurteilt, so bspw. lernorien-
tierte Leitlinien, organisationale Rahmenbedingungen (lernför-
derliche flache Hierarchien, Anreizsysteme und Arbeitszeiten),
Strukturen des HR-Developments (Art und Umfang von Weiter-
bildungsangeboten, Existenz von Bedarfsanalysen, Qualitätssi-
cherung und Evaluation), Lernatmosphäre und lernförderliche
Unterstützung durch Kollegen und Führungskräfte sowie
Austausch von lernrelevanten Informationen und Wissen und
mediengestütztes Lernen. Mit dem LKI liegt somit ein valides
und reliables Instrument zur Erfassung von Lernkultur vor, mit
dem sowohl Qualität und Status quo (Stärken/Schwächen) der
Personalentwicklung als auch die Kompetenzentwicklung der
Organisationsmitglieder vorhergesagt werden können.
PERSONALquarterly:
Welche Wechselwirkungen zwischen Lernkul-
tur und Kompetenzentwicklung können angenommen werden?
Sonntag:
Eine Studie, vorwiegend in Großunternehmen, zeigte
durchgängig positive Zusammenhänge zwischen vorhandenen
Merkmalen einer Lernkultur und der Kompetenzentwicklung
und -nutzung durch die Organisationsmitglieder. Eine lern­
orientierte Unterstützung durch die Führungskraft weist dabei
deutlich hohe Werte auf, noch vor den organisationalen Rah-
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