Immobilienwirtschaft 2/2019 - page 14

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POLITIK, WIRTSCHAFT & PERSONAL
I
FÖRDERPROGRAMME
wie Homeoffice und dezentrales Arbei-
ten. Auf das damit verbundene Potenzial
weist auch Dr. Gerd Landsberg, Haupt­
geschäftsführer des Deutschen Städte-
und Gemeindebundes, hin. „Wenn es
möglich ist, in den ländlichen Regionen
über Telearbeitsplätze zu arbeiten, schnell
ohne Auto in die Städte zu gelangen, und
dieMenschen eine attraktive Infrastruktur
im Bildungs-, Gesundheits- und Freizeit-
bereich vorfinden, wird auch der Zuzugs-
druck auf die Ballungsräume abnehmen.“
Landsberg fordert deshalb „ein ganzes
Bündel an Maßnahmen“ wie bessere An-
bindung an die Ballungsräume, eine Stär-
kung des ÖPNV und die Schaffung einer
leistungsstarken digitalen Infrastruktur.
Ob die Politik diese Forderungen auch
umsetzt, bezweifelt KonstantinKortmann,
Head of Residential Investment bei der
Beratungsgesellschaft JLL. „Um die ange-
spannte Situation in den Ballungsräumen
zu entlasten und die Lebensverhältnisse
einander anzugleichen, sollte die öffent-
liche Hand die Infrastruktur verbessern“,
sagt er. „Leider tut sie genau das Gegenteil
und zieht sich aus der Fläche zurück. Da-
durchwird der ländliche Raumabgehängt,
und der Druck auf die Städte steigt.“
Die Lösung liegt nicht
nur in zentralen Förder-
programmen
Allerdings könnten nicht alle Pro-
bleme durch zentrale Förderprogramme
gelöst werden, meint Prof. Dr. Hans-
Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer
des Deutschen Landkreistages. „Viel wich-
tiger ist es, Landkreise und Gemeinden zu
befähigen, ihre Belange selbst in die Hand
zu nehmen, indem mehr Geld zur eigen-
verantwortlichen Verwendung auf die
kommunale Ebene gegeben wird.“
Tatsächlich gibt es in den Kommunen
eine ganze Reihe von Projekten, mit de-
nenVerantwortungsträger und engagierte
Bürger die Lebens- und Wohnqualität in
Klein- und Mittelstädten sowie auf dem
Land erhöhen. Ein Beispiel ist das För-
derprogramm „Jung kauft Alt“, das es
mittlerweile in unterschiedlicher Form in
vielen Gemeinden gibt. Stets geht es da-
rum, junge Familien beimErwerb von Be-
standsimmobilien zu unterstützen. In Em-
den zum Beispiel, einer Stadt mit 50.000
Einwohnern in Niedersachsen, erhalten
junge Paare und Familien einen Zuschuss
von 600 bis 1.500 Euro für die Erstellung
eines Altbau-Gutachtens. Wenn das Gut-
achten ergibt, dass die Immobilie nicht
sanierungsfähig ist, können der Abriss
und der zeitnahe Neubau auf dementspre-
chenden Grundstück gefördert werden.
Entschließen sich die jungen Leute hin-
gegen zum Kauf des mindestens 35 Jahre
alten Hauses, bekommen sie sechs Jahre
lang je nach Kinderzahl zwischen 600 und
1.500 Euro pro Jahr von der Kommune.
Anderswo steht die Digitalisierung
im Vordergrund. So hat der Landkreis
Emsland das niedersächsische Förderpro-
gramm„Regionale Entwicklungsimpulse“
genutzt, um den „Zukunftsraum Ems-
land“ einzurichten – einen Container, der
zu Demonstrationszwecken mit digitaler
Technik für den Wohnbereich ausgestat-
tet ist. Mit deren Anwendung sollenMen-
schen möglichst lange in ihren eigenen
vier Wänden wohnen bleiben können.
Dafür ist allerdings eine leistungs­
fähige Internetverbindung nötig. Vo-
rangegangen ist hier Pirmasens. Der
41.000-Einwohner-Stadt in Rheinland-
Pfalz, die seit Jahren mit erheblichen
strukturellen Problemen kämpft, ist es in
Kooperation mit Partnern wie der Deut-
schen Telekom und Vodafone gelungen,
innerhalb von 24Monaten eine Breitband-
Abdeckung von 99 Prozent zu erreichen.
Wie sich ein Dorfkern stärken lässt,
zeigt beispielhaft dieGemeindeNeusitz im
Landkreis Ansbach. Für die Dorferneue-
rung ihres Ortsteils Schweinsdorf erhielt
sie im November 2018 den Staatspreis
des Bayerischen Landwirtschaftsminis­
teriums. Nach Ministeriumsangaben ist
es gelungen, in diesem mittelfränkischen
Dorf eine erfolgreiche Innenentwicklung
umzusetzen. Bereits 2002 beschloss der
Gemeinderat von Neusitz, in Schweins-
dorf keine neuen Baugebiete mehr aus-
zuweisen und stattdessen leerstehende
Gebäude umzunutzen. So entstanden
beispielsweise im ehemaligen Gasthaus
neun Sozialwohnungen.
Nutzung von leerstehen-
den Bestandsgebäuden
muss überdacht werden
Damit entspricht Schweinsdorf ziem-
lich genau den Forderungen, die der
GdW und die Bundesstiftung Baukultur
in einem gemeinsamen Positionspapier
formulieren. „Bei der Aktivierung vonGe-
bäudeleerständen im Ort ist die Nutzung
der Schlüssel“, heißt es darin. „Vor allem
im Ortszentrum sollte die Gemeinde ge-
gebenenfalls neuartige, gemischte und
bedarfsgerechte Konzepte entwickeln und
wo möglich durch Eigennutzer betreiben
lassen.“
Eine Umfrage der Bundesstiftung
Baukultur hat übrigens Bemerkenswertes
zutage gebracht: Entgegen der weitver-
breiteten Ansicht scheint es keineswegs
alle Menschen in die großen Städte zu zie-
hen. Der Umfrage zufolge würden näm-
lich 45 Prozent der Deutschen am liebsten
in einer ländlichen Gemeinde wohnen, 33
Prozent in einer Klein- oder Mittelstadt
und nur 21 Prozent in einer Großstadt.
«
Christian Hunziker, Berlin
„Bei aller Anstrengung
wird man das Problem
der Wohnungsknappheit
nicht allein in den gro-
ßen Städten in Deutsch-
land lösen können.“
Axel Gedaschko,
Präsident des GdW
Bundesverband deutscher Wohnungs-
und Immobilienunternehmen
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