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2-01.2016
SUMMARY
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Grundsätzlich ist es fraglich,
ob die Mietpreisbremse so kurz nach der Einführung überhaupt schon Wirkung zeigen kann.
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Erste Analysen kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen,
von Preissenkungen bis zu drei Prozent bis hin zu gestiegenen Mieten
von bis zu sechs Prozent.
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Eine entscheidende Rolle bei der Berechnung der Vergleichsmiete spielt der qualifizierte Mietspiegel,
den es aber meist nur in Großstädten gibt – und selbst dort sind die Aussagen umstritten, was inzwischen auch Gerichtsurteile beweisen.
Die Mietpreisbremse führt trotz
der Ausnahmen für Neubauten
und Bestandsschutz zu einer
Senkung der erwarteten Rendi-
te und damit langfristig zur Zu-
rückhaltung der Angebotsseite,
erklärt Professor Marco Wölfle,
wissenschaftlicher Leiter des
Centers for Real Estate Studies.
Herr Professor Wölfle, die
Mietpreisbremse sichert Ver-
mietern den Bestandsschutz
für Mieten, die bereits mehr
als zehn Prozent über der
ortsüblichen Vergleichsmiete
liegen. Ist diese Gruppe damit
aus dem Schneider?
Leider nein.
Zwar muss diese Miete bei einer
Neuvermietung nicht nach unten
angepasst werden, eine Erhöhung
ist allerdings erst dann wieder
möglich, wenn die ortsübliche
Vergleichsmiete zuzüglich zehn
Prozent das Niveau der beste-
henden Miete erreicht. Darüber
können einige Jahre vergehen.
Verschärft wird der Mechanismus
durch die in Folge der gebremsten
Mietabschlüsse verzögerte Wachs-
tumsrate der Mietspiegel.
Können Sie hierfür ein Beispiel
aufzeigen?
Eine Hamburger
Wohnung wird für zwölf Euro
pro Quadratmeter vermietet. Die
durchschnittliche Mietsteigerungs-
rate der Stadt lag in den vergan-
genen 16 Jahren bei 1,7 Prozent.
Beträgt die ortsübliche Vergleichs-
miete zehn Euro pro Quadratmeter,
sind Wiedervermietungen nur
bis zu 11 Euro pro Quadratmeter
zulässig. Der Vermieter muss die
bestehende Miete so lange ein-
frieren, bis der Mietspiegel einen
Wert von 10,91 Euro pro Quadrat-
meter ausweist. Selbst bei einer
weiterhin konstanten Mietsteige-
rungsrate von 1,7 Prozent kann er
die Miete daher frühestens nach
sieben Jahren wieder erhöhen.
Geht die Mietsteigerungsrate auf
ein Prozent zurück, dauert es sogar
neun Jahre, bis der Mietspiegel
das Niveau der bestehenden Miete
erreicht.
Investitionen in Immobilien
verlieren also an Attraktivität?
Je länger die Mietpreisbremse in
Kraft ist und je geringer das Zins-
niveau für Finanzierungen ausfällt,
desto stärker müssen Vermieter
mit deutlichen Einbußen bei den
Ertragswerten rechnen. Dadurch
sinkt die Bereitschaft zu weiteren
Investitionen in Bestands- oder
Neubauobjekte, die Angebots-
knappheit wird langfristig weiter
erhöht. Diese Folgen lassen sich
bereits auf Märkten mit Mietpreis-
bremse in Spanien oder Kanada
beobachten.
Sie haben für die Stadt Ham-
burg die Differenzen zwischen
Markt- und Mietspiegelmieten
analysiert. Wie sehen die Er-
gebnisse aus?
Im Untersuchungs-
zeitraum von Juli 2014 bis Juni
2015 lagen insgesamt 72 Prozent
der Mietverhältnisse oberhalb
des Mietspiegelwerts zuzüglich
zehn Prozent. Diese überschrei-
tenden, künftig gebremsten
Mieten kosteten durchschnittlich
10,70 Euro pro Quadratmeter. Die
ungebremste Durchschnittsmiete
betrug 7,86 Euro, die Neubaumie-
ten erzielten durchschnittlich 14,07
Euro pro Quadratmeter. Während
der Anteil der Überschreitungen
in den jüngeren Baualtersklassen
ab 1978 bereits zwischen 26 und
54 Prozent schwankt, nehmen
die Überschreitungen besonders
in knappen Teilmärkten zu. So
liegen Wohnungen mit über 131
Quadratmetern aus der Zeit nach
dem Ersten Weltkrieg in guter Lage
ausnahmslos oberhalb des Miet-
preisbremsenniveaus. Die in dieser
Baualters-, Größen- und Lageklasse
eintretende Wartezeit bis zum An-
wachsen des Mietenspiegels wird
die Mieten aller Mietverhältnisse
einfrieren. Es bleibt fraglich, ob
der Gesetzgeber die Mieter dieses
Wohnungstyps als Zielgruppe für
die Mietpreisbremse vorgesehen
hatte.
Bei der Ermittlung des Markt-
werts spielt die nachhaltige
Miete eine entscheidende
Rolle. Welche Besonderheiten
gilt es in „angespannten
Märkten“ zu berücksichtigen?
Der Marktwert bestimmt sich
maßgeblich durch den Nutzen, den
ein Grundstück seinem Eigentümer
zukünftig gewährt. In Märkten, in
denen die Mietpreisbremse gilt,
sieht sich der Sachverständige bei
der Wertermittlung dem Problem
gegenüber, dass die Auswirkung
von subjektiven Kriterien, von
sich verändernden Rahmenbe-
dingungen und von möglichen
weiteren politischen Maßnahmen
abhängt. Er muss daher belast-
bare Annahmen zu allen diesen
Punkten treffen. Der Verzicht auf
eine „ungebremste“ Renditeent-
wicklung muss bei der Ertrags-
wertberechnung entweder in der
Entwicklung der Mieten oder im
Liegenschaftszins eingerechnet
werden. Glaubt der Sachverständi-
ge den Aussagen der Regierungs-
koalition, so ist ein Auslaufen der
Mietpreisbremse nach fünf Jahren
denkbar. In diesem Fall lägen
die Wertdifferenzen bei Berück-
sichtigung der Mietpreisbremse
unabhängig vom Liegenschaftszins
unter 1.000 Euro. Geht er dagegen
davon aus, dass Politiker einmal
eingeführte Regelungen – wie das
Beispiel des Solidaritätszuschlags
zeigt – ungern zurücknehmen,
müsste er die Mietpreisbremse
für 80 Jahre einrechnen, woraus
sich erhebliche Wertdifferenzen
ergäben.
INTERVIEW
MIT PROF. DR. MARCO WÖLFLE
Vermieter und Investoren in der Warteschleife
Professor Dr. Marco Wölfle
ist wissenschaftlicher Leiter
des Centers for Real Estate
Studies (CRES). In der aktuellen
Studie „Mietpreisbremse und
Immobilienwert“ zeigt er die
Auswirkungen des Gesetzes
am Beispiel des Hamburger
Markts auf.