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-8.2016
stapelt, wie bereits in den 60er Jahren, gut gelaunt bunte Contai-
ner aufeinander. Die Länderpavillons in den Giardini machen
mehr oder weniger ihr eigenes Programm. Ganz in der Tradition
des Biedermeier geht es in England um Wohnungen für Jahre,
Monate, Tage und Stunden (wen interessiert schon der Woh-
nungskrieg der Spekulanten gegen den Rest der Gesellschaft in
London?). Australien hängt ab an einem 20 Zentimeter tiefen
Swimmingpool (Danger! Shallow Water). Japan zeigt mal wie-
der die liebevoll geklebten Modellhäuser für gemeinschaftliches
Wohnen, winzig kleine Beispiele höchster Ansprüche.
Zusammen mit dem Berliner Architekturbüro Something
Fantastic hat das Deutsche Architektur Museum den Pavillon
der Deutschen ruiniert, also aufgebrochen und mit großen Öff-
nungen versehen. Ein Bild für die offene Gesellschaft, die wir
ja auch für ein paar Monate waren. Für eine Gesellschaft, die
für Ankömmlinge Heimat werden möchte und die sich an ihrer
Nazipavillon-Vergangenheit (Baujahr 1938) immer wieder abar-
beitet. Und die von dem ungläubig staunenden internationalen
Publikum selten verstanden wird.
Das ist wohl auch der vorrangig lateinamerikanischen Jury
so gegangen. Sie hat lieber dem Spanischen Pavillon den Gol-
denen Löwen gegeben und sich damit eindeutig für eine archi-
tektonisch fein ausgearbeitete Lösung und gegen die großen ge-
sellschaftlichen Fragen ausgesprochen. Nach zwei Tagen bin ich
müde gelesen, gesehen, gebadet, gelaufen, eröffnet, gefeiert. Und
plötzlich wütend. Wütend über meine eigene Zunft. Wütend auf
diese Ausstellung!WennArchitekten sichmit den Frontverläufen
dieser Welt beschäftigen, mit den schreienden gesellschaftlichen
und politischen Ungerechtigkeiten, mit der brüllenden Armut,
den brutalen Kriegen, Flucht und Vertreibung, aber auch mit
dem städtischen Elend, zeigt sich, dass ihreWerkzeuge, ihre Stra-
tegien, ihr Wissen, ihre Wut, ihr Einfluss und ihre Macht nicht
ausreichen, um über ihren eigenen Kontext hinaus Fortschritt
zu erzeugen.
Die Ausstellung stellt hochpolitische Fragen, aber scheitert
allzu häufig mit ihren rein architektonischen Antworten. Nach
allen Vorträgen und Eröffnungsfeierlichkeiten treffe ich spät in
der Nacht Patrik Schumacher, meinen Studienfreund, den lang-
jährigen Partner der verstorbenen größten Architektin, Zaha
Hadid. Er fordert, die Ausstellung zu schließen. Architekten
sollten sich mit Hochkulturarchitektur beschäftigen. Damit ha-
ben sie schon genug zu tun. Für ihn sind Elendsviertel keine
Aufgabe für ausgebildete Architekten. Infrastruktur einbringen
können Ingenieure besser. Damit formuliert er das Denkmodell
vieler so genannter Stararchitekten. Suche dir die reichsten Bau-
herren auf der Welt und baue die schönste Oper, das größte Mu-
seum oder das höchste Hochhaus, so gut sie dich lassen. Und da
haben wir den tatsächlichen Frontverlauf in der zeitgenössischen
Architektur: solitäre Meisterleistungen versus gesellschaftliche
Verantwortung.
Doch beide Positionen treffen für sich allein nicht den Kern
des Problems. Beide sind selbstgerecht und protzig. Wie kann
man einerseits davon ausgehen, dass für Millionen Architekten
und Milliarden Menschen auf der Welt einzig und allein die
Opernhäuser, Sportstadien und Skischanzen kulturell relevant
sind? Und wie kann man andererseits überhaupt auf die Idee
kommen, dass diese komplexen Probleme von Architekten allein
gelöst werden können?
Was macht Gesellschaften erfolgreich? Wie wird Wohlstand
auf der Welt gerechter verteilt? Wie werden Slums zu quali-
tätvollen Quartieren? Wie geht bezahlbarer Wohnraum? Wie
entstehen durchmischte und für alle offene Städte? Architektur
ist alles, was uns umgibt, und ist die Welt, die wir uns schaffen.
Zur Initiation und Moderation dieser Fragen ist deshalb kaum
eine Profession besser qualifiziert.
Dochwennwir Architekten das Schicksal dieserWelt wirklich
zumBesseren wenden wollen, müssen wir raus aus unserem Silo,
aus unserer Komfortzone. Wir müssen teilen lernen und uns für
ein neues Verständnis, ein neues Bild unseres Berufes öffnen. Wir
müssen uns viel stärker einmischen undmit den Engagierten aus
anderen Disziplinen vor Ort gemeinsam Lösungswege finden.
Wenn das nicht geschieht, wie in Venedig gerade vorgeführt,
bleibt allzu vieles im kleinen, beschaulichen, biedermeierlich
romantischen Kontext stecken.
Wenn wir Architekten das Schicksal dieser Welt zum Besseren wenden
wollen, müssen wir uns mehr einmischen. Sonst bleibt allzu vieles im
kleinen, beschaulichen, biedermeierlich romantischen Kontext stecken.
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.