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1.2015
und Verkäufer, große Fonds und Versicherungen, die mit den
dicken Hosen auf den Ozeantankern, unterwegs. Baukultur steht
für diese Hochseekapitäne an der Isar nicht ganz oben auf der
Agenda. Denn die Branche ist in einem Rausch. Die niedrigen
Zinsen, eine leidliche Wirtschaftsentwicklung, langfristiger Zu-
zug in die Städte: Der Wind steht günstig, alle Segel sind gesetzt,
vor uns das offene Meer. Was kann da noch schiefgehen?!
Bundesbauministerin BarbaraHendricks spricht mittlerweile
nicht mehr von 250.000, sondern von mindestens 350.000 neuen
Wohnungen, die, befeuert durch die gestiegene Zahl an Flücht-
lingen, pro Jahr in Deutschland benötigt werden. Auch neue Bü-
ros werden wieder gebraucht, wie Bulwiengesa in ihrer Studie
zu Berlin im Wandel feststellt. Wir selbst sind Zeugen, wurden
mit unserem Büro aus dem schönen GSW-Hochhaus durch das
Rocket Internet Imperiumvertrieben. Die haben gleich das ganze
Haus mit 19.000 Quadratmetern gemietet.
Tatsächlich haben die Städte in diesen Boomzeiten enorme
Chancen, ihre Potenziale zu verwirklichen, Brachen wieder zu
revitalisieren, große Stadtverdichtungen und -erweiterungen er-
folgreich anzugehen. Geld flutet den Markt wie die Niagarafälle
eine Badewanne. Fonds, Versicherungen, Banken, sie alle wollen
die Riesenparty nicht verpassen.
In dieser mit Euphorie geschwängerten Bierzeltstimmung
tun sich Innovationen mitunter schwer. Ein Projektentwickler
von einem großen Wohnungsbauer fragt sich, was für Innovati-
onen er hausintern überhaupt durchbringen kann, wenn ihnen
jede noch so konventionelleWohnung inMünchen aus denHän-
den gerissen wird. Never change a winning horse...
Aber es geht noch weniger: Barry Leddy aus Irland war die
Jahre nach der Krise nach Malaysia ausgewandert. Jetzt ist er
zurück. Er erzählt die folgende Geschichte von einemMakler aus
Dublin aus vormaligen Boomzeiten: Auf die wiederholte Frage
des Entwicklers, warum die Werbeprospekte immer noch nicht
fertig sind, deutet der alte Vertriebshaudegen mit seinem Finger
auf seine ausgestreckte Zunge und antwortet genervt: „Thats me
broshure!“ Was kann da noch schiefgehen? Jörn Walter ist einer
der langjährigen Fahrensmänner, vielleicht zurzeit der bedeu-
tendste Stadtbauer undOberbaudirektor des Landes. Er kennt das
alles und ist überzeugt: Der nächste Absturz kommt bestimmt.
Ich erinneremich auch. 2008 war Berlin noch eine schrumpfende
Stadt. Nicht einmal 2.000 Wohnungen wurden in dem Jahr fer-
tiggestellt. Der Bürobau kam komplett zum Erliegen.
In diesem Jahr erwartet Engelbert Lütke Daldrup, Staats-
sekretär in der Berliner Senatsverwaltung, Baugenehmigungen
für 200.000 Wohnungen! Regula Lüscher, Berliner Senatsbaudi-
rektorin, ist von der allgemeinen Euphorie angesteckt: „Ich bin
begeistert!“ Aber die Kapazitäten in ihrem Amt reichen für all
die Projekte nicht aus. Peter Jorzick, Hamburg Team, kann das
bezeugen: „Sechs Jahre für einen Bebauungsplan sind eine zu
lange Zeit!“ Nachbarschaften, die sich gegen Bauvorhaben zusam-
menschließen, politische Kleinkriege zwischen den Fraktionen
auf lokaler Ebene und unterbesetzte, überforderte Planungsämter
verlangsamen die Verfahren zu Schneckenrennen.
Aber der Boom rüttelt auch am Selbstverständnis der Bran-
che und deckt interne Schwächen auf. Gleich zur ersten Projekt-
besprechung kündigt der Geschäftsführer an, eine Projektleite-
rin auf das Projekt zu setzen. Da der Firmeneigentümer bis zum
Bäumchen des Verkaufsmodells noch alles selber entscheiden
will, sind Konflikte, Kosten- und Terminverzüge zu erwarten.
Ein Grundproblem der Branche. Klare Entscheidungsstrukturen
schaffen und Verantwortung abgeben fällt so schwer. Doch ge-
rade in Ichweißnichtwasichzuersttunsoll-Zeiten entscheidet die
Qualität der Zusammenarbeit über den Projekterfolg.
Auf meiner Suche nach den Gründen, warum die Immo-
bilienbranche meint, ohne Frauen auszukommen, bin ich auch
fündig geworden. Ein erfahrener Anwalt einer großen Kanzlei:
Wenn einer beim Bewerbungsgespräch mit Work-Life-Balance
und so kommt, das geht gar nicht bei mir! Ich mag ja Frauen
wirklich gerne! Aber es ist schon blöd, dass praktisch alle nach
zwei Jahren unsere Kanzlei wieder verlassen, um Richter oder so
was zu werden. Völlig unerklärlich! Albert Heinermann hat von
möglichen Antworten gehört: Die Generation Y ist die erste Ge-
neration, die wirtschaftlich unabhängig ist und ein ausgewogenes
Leben führen will. Na, so was!
Wenn es boomt, erinnert sich kaum jemand mehr an die Krisen der Ver-
gangenheit. Auch Baukultur und Innovationen tun sich in Boom-Zeiten
mitunter schwerer. Genauso war es in diesem Jahr auf der Expo Real.
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.