Immobilienwirtschaft 11/2015 - page 36

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INVESTMENT & ENTWICKLUNG
I
EXPO REAL 2015
die Nachfrage sehr hoch ist – doch stellt
sich ja anschließend die Frage: Wohin mit
dem Erlös? Neue Immobilien zu hohen
Preisen kaufen?“, gibt Peter Tzeschlock,
Vorstand der Drees & Sommer AG, zu
bedenken. „Sinnvoller ist da in vielen Fäl-
len, den Bestand zu optimieren.“ Um zu
vermeiden, dass ein Refurbishment zum
finanziellen Desaster für den Bauherren
wird (nicht umsonst heißt es in der Bran-
che: „Revitalisierung, das letzte Abenteuer
inDeutschland“), ist indes viel Know-how
vonnöten. Grundsätzlich bieten Revi-
talisierungen aus Sicht von Tzeschlock
erhebliches Renditepotenzial: „Denn in
vielen Top-Lagen werden die Flächen für
Neubauten knapp, bei einem Abriss der
alten Gebäude wird häufig nicht mehr das
gleiche Bauvolumen genehmigt.“
BUILDING INFORMATION MODELING
Wie
innovativ die Immobilienbranche sein
kann, zeigte sich bei einem weiteren
„großen“ Thema der Messe: Ein Großteil
des diesjährigen Konferenzprogramms
stand im Zeichen der „Immobilienwirt-
schaft 4.0“ und behandelte die unter-
schiedlichenAspekte der fortschreitenden
Digitalisierung der Branche. Diese betrifft
bei Weitem nicht nur das „smarte Zuhau-
se“ – digitale Lösungen sind inzwischen
auch beim Immobilienmarketing, beim
Facilitymanagement und Portfolio- und
Asset Management gefragt und nicht zu-
letzt auch bei Architekten, Planern, Bau-
unternehmen und Projektentwicklern.
„Am Bau“ dreht sich die digitale Trans-
formation der Immobilienwirtschaft vor
allem um die zukunftsträchtige Methode
des BIM (Building Information Modeling
oder zu deutsch „Gebäudedatenmodellie-
rung“). Wie Peter Tzeschlock ausführt, ist
es mittels BIM möglich, dass sich alle am
Projekt Beteiligten zu jedem Zeitpunkt
über den aktuellen Stand der Planung und
des Baufortschritts informieren können:
„Für die Planer bedeutet es eine massive
Aufwandsreduzierung.“
DIE FLÜCHTLINGSKRISE
BIM könnte auch
mit Blick auf die drängenden Probleme
der Versorgung der Bevölkerung mit
Wohnraum an Bedeutung gewinnen, al-
lein schon weil die digitale Unterstützung
schnelleres Bauen ermöglicht. Rasche
Wohnraumbeschaffung zählt derzeit be-
kanntlich zu den größten Herausforde-
rungen in der Bundesrepublik – vor allem
wegen des nicht abreißenden Zustroms
von Migranten, der auf der Expo Real für
viel Diskussionsstoff sorgte. „Das Thema
Flüchtlinge und der politisch korrekte
Umgang der Branche mit der Thematik
– irgendwo zwischen Verantwortung und
Geschäft – hat die allermeisten Diskussi-
onen irgendwann gestreift“, berichtetTho-
mas Beyerle, Leiter Research bei Catella.
Eine Expertenrunde, initiiert vom
Düsseldorfer Immobiliendienstleister
Aengevelt, diskutierte über Lösungsan-
sätze. Allein die nüchternen Fakten, die
dort präsentiert wurden, beeindruckten:
Das Immobilienunternehmen hat berech-
nen lassen, dass in ganz Deutschland mit-
telfristig rund 500.000 Wohnungen mit
insgesamt 35 Millionen Quadratmetern
Nettowohnfläche benötigt werden. Bei
einer Wohnungsgröße von 80 Quadrat-
metern und wenn man mit äußerst nied-
rigen Anschaffungskosten von 1.000 Euro
pro Quadratmeter kalkuliert, entspricht
dies einem Investitionsbedarf von rund
26 Milliarden Euro. Mittel der Wahl für
den kurz- und mittelfristigen Bedarf an
Wohnraum für Asylsuchende ist aus Sicht
vonWulffAengevelt die Ertüchtigung von
Leerständen. Die Stadt Düsseldorf etwa
hat ein leer stehendes Bürogebäude in
Flughafennähe angemietet, um dort rund
250 der bis zu 7.000 Flüchtlinge unterzu-
bringen. Der Vermieter, ein Privatinvestor,
wird die Flächen mit einem Budget von
900.000 Euro umbauen. Die Stadt Haan
kaufte eine leer stehende Gewerbeliegen-
schaft zur Unterbringung von Flüchtlin-
gen. In beiden Fällen liegen die Kosten für
die Umnutzung der Gewerbeflächen bei
wenigen hundert Euro; für einen Neubau
fielen 1.000 Euro pro Quadratmeter an.
Andere Wege geht der Immobilien-
entwickler Markus Gildner, der derzeit in
Eckental bei Nürnberg in nur sechsMona-
ten Bauzeit eine Reihenhausanlage erstellt.
Die sechs rund 160 Quadratmeter großen
Häuser können in jeweils drei Unterein-
heiten, also insgesamt 18 Einheiten für 60
Personen, unterteilt werden. Gildner hält
die Kosten niedrig – die Häuser sind nicht
unterkellert und es wird mit vorgefertig-
ten Normbauteilen gebaut – und kommt
so auf Baukosten von rund 1.150 Euro
pro Quadratmeter. Die Regierung mietet
für zehn Jahre, und wenn die Flüchtlinge
ausziehen, soll die Siedlung auf dem frei-
en Wohnungsmarkt angeboten werden.
Das Vorhaben war zwar heftiger Kritik
in der Bevölkerung ausgesetzt; doch bei
Kommunen scheint das Konzept gut an-
zukommen, wie Gildner berichtete: Wei-
tere Kommunen hätten bereits Interesse
bekundet.
Die Teilnehmer der Podiumsdiskus-
sion versprachen, sich im nächsten Jahr
wieder zu treffen und dann zu erörtern,
ob die Branche ihren Beitrag zur Bewäl-
tigung der Flüchtlingskrise geleistet hat.
Sie müssen sich allerdings – wie alle an-
deren Immobilien-Profis – einen anderen
Termin im Kalender notieren: Die Expo
Real 2016 startet nicht wie gewohnt am
Montag nach demOktoberfest-Ausklang.
Sie findet 2016 von Dienstag, 4. Oktober,
bis Donnerstag, 6. Oktober, statt.
«
Birgitt Wüst, Dr. Anja Hall und Mathias Rinka
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HAUFE
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Dann schauen Sie sich den Messenach-
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