Die Wohnungswirtschaft 5/2019 - page 33

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ermittelt. Komponenten für die heutige Satzung
sind u. a. die Wohnungsgröße, der Radius, in dem
ÖPNV-Angebote von der Immobilie erreichbar
sind, und insgesamt angeboteneMobilitätsverbes-
serungen als Alternative zumprivaten Pkw. Dabei
sind z.B. gut erreichbare und gut ausgestattete
Fahrradabstellplätze gemeint.
Barbara Landwehr, Fachbereichsleiterin Plan, Ent-
wickeln, Liegenschaften der Stadt, beschreibt die
Vorgehensweise: „Wir verstehen die Reduzierung
der auszuweisenden Stellplätze als ein Angebot
an die Bauherren.“ Man freue sich, dass das An-
gebot, Alternativen zumklassischen Stellplatz zu
schaffen, immer mehr angenommen werde. Die
Hintergründe für diese Entwicklung seien vielfäl-
tig. Tübingen habeMobilität schon früh progressiv
definiert, zudem ein gutes Nahverkehrsangebot,
ein seit zwei Jahrzehnten bestehendes Carsharing-
System und ein stetig wachsendes Radwegenetz.
Auch die demografische Entwicklung der Stadt
wirke sich positiv aus. Landwehr: „Wir nehmen
durch unsere Bauherren wahr, dass insgesamt
die Zahl der Mieter, die ein eigenes Auto haben,
weniger wird und man sich darauf dann auch
einstellt.“ Zu einer Vereinfachung oder Entlas-
tung der Genehmigungsverfahren habe die neue
Satzung jedoch nicht geführt. Mit Blick auf die
gemachten Erfahrungen gibt Landwehr anderen
Kommunen und Immobilieneigentümern den Tipp:
„Der Schlüssel zuweniger Stellplätzen ist, dass der
Weg zumAuto nicht besser und komfortabler sein
darf als zu einem alternativen Verkehrsmittel.“
Dresden arbeitet mit „Abminderungsbonus“
In der sächsischen Landeshauptstadt Dresden ha-
ben Bauherren seit Mitte 2018 die Möglichkeit,
einen „Abminderungsbonus“ für notwendige
Stellplätze zu nutzen. Generell vorgesehen ist
weiterhin je Wohnung einen Stellplatz – bei So-
zialwohnungen 0,6 – zu schaffen. Als Vorausset-
zung für eine Reduzierung nennt die städtische
Satzung drei Möglichkeiten: der Nachweis einer
Lagegunst zum ÖPNV inklusive des Abschlusses
eines Großkundenabonnements (z.B. Job- oder
Semesterticket), die Realisierung eines Carsha-
ring-Stellplatzes mit zertifiziertemBetreiber und
die Überdachung aller notwendigen Fahrradstell-
plätze eines Vorhabens. Mit einer detailliert be-
schriebenen Abminderungssystematik wird eine
prozentuale Reduzierung der Stellplätze geregelt.
Diese reicht von einer 5%igen Reduzierung bei der
Schaffung überdachter Fahrradstellplätze bis hin
zum Verzicht auf gleich fünf Stellplätze bei der
Schaffung eines Carsharing-Angebots. Auf eine
Reduzierungsmöglichkeit bei den Stellplätzen
durch Vorlage eines umfangreichen Mobilitäts-
konzeptes „wurde bewusst verzichtet, da der
Kontrollaufwand im Bauantragsverfahren und in
der späteren Praxis nicht als leistbar eingeschätzt
wurde“, heißt es aus demGeschäftsbereich Stadt-
entwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften der
Stadtverwaltung. Denn die Ziele der Neuregelung
sind „die Einsparung von Baukosten, wirksame
Verbesserungen des Klimaschutzes und eine ein-
fachere Handhabung der Satzung durch eindeu-
tigere Regelungen“. Errichtet der Bauherr dann
nicht die festgelegte Zahl an Stellplätzen, muss
weiterhin eine Ablöse für Kfz- und Fahrradstell-
plätze gezahlt werden.
Die ersten Erfahrungenmit der neuen Satzung sind
nachDarstellung der Stadtverwaltungweitgehend
positiv. „Die Bauherren sind froh über die neuenOp-
tionen. Die Abminderungsmöglichkeiten für Auto-
stellplätzewerden rege inAnspruch genommen und
bei den Carsharing-Standorten ist ein deutlicher
Zuwachs zu verzeichnen“, heißt es. Allerdings sei
auch feststellbar, dass „Bauherren mehrfach kei-
ne Carsharing-Anbieter fanden, weil keine hohen
Nutzerzahlen zu erwarten waren“. Mit Blick auf
die Regelungen zu den Fahrradstellplätzen will
die Verwaltung in zwei bis drei Jahren die Satzung
evaluieren, da offen sei, ob die Eigentümer den
Anforderungen der Satzungwirklich nachkommen.
Würzburg: Plausible Mobilitätskonzepte
gefragt
Viel vor nimmt sich die Stadt Würzburg. Dort hat
die PolitikMitte 2018 einenMasterplan „GreenCity
Würzburg“ beschlossen. Der Masterplan sieht u. a.
auch einen reduzierten Stellplatzbedarf vor. In der
politischen Beratung und Umsetzung ist eine Voll-
zugsanweisung vorgesehen, die die Bedingungen
in einer Testphase bis 2021 festlegt.
Anders als inDresden liegt inWürzburg der Schwer-
punkt auf der Forderung, dass Bauherren, diemehr
als 20Wohnungen schaffen, ein „vorhabenbezoge-
nes, plausibles Mobilitätskonzept vorlegen, wenn
sie die Zahl der Stellplätze reduzierenwollen“. Da-
mit will die Stadt Würzburg die Bedingungen klar
umreißen. Nachgewiesenwerdenmuss ein Betrei-
bervertrag mit einem qualifizierten Carsharing-
Anbieter, der jederzeit eine Buchung telefonisch
oder per App ermöglicht. Ist ein Carsharing-Platz
frei zugänglich, kann er sieben Stellplätze erset-
zen. Wenn mehr als zwei Fahrzeuge zum Einsatz
kommen, sollen zudem 35% der Carsharing-
Fahrzeuge mit Elektromobilität fahren. Zweite
Voraussetzung ist die Förderung der Fahrradnut-
zung, u.a. durch Vorgaben für die Abstellplätze
mit Raum für Spezialfahrräder und Lademöglich-
keiten für E-Bikes. Als Drittes muss der Bauherr
ein Marketingkonzept für die Information über
die gemachten Angebote präsentieren. Werden
diese drei Aspekte nachweislich bedient, prüft die
Fachabteilung Bauaufsicht die Möglichkeiten der
Reduzierung der Stellplätze. Das Maximale, was
ein Investor durch sein Konzept erreichen können
soll, ist die Reduktion um 30%.
Verkehrsexperte: Langfristig denken
Zurück zur bundesweiten Entwicklung: Verkehrsex-
perteHeinrichs rät allenKommunen, sichmit neuen
Mobilitätslösungen zu beschäftigen, denn der ge-
sellschaftliche Trend zu neuen Mobilitätsformen
werde sich nichtmehr umkehren. „Wichtig ist, dass
vor Ort langfristig gedacht wird. Es darf nicht dar-
umgehen, in einemQuartier für wenige Jahre eine
gute Lösung zu finden. Die Lebensumstände und
Mobilitätsbedürfnisse der Einwohner ändern sich.“
Es gelte, bei den Planungen immer eine Hintertür
offenzuhalten. Als Beispiel nennt er die klassische
Tiefgarage. „Die bleibt immer eine Tiefgarage und
kann nicht anders genutzt werden. Bei Parkhäu-
sern in modularer Bauweise sieht das anders aus.“
Er plädiere dafür, vor allem mit gesundem Men-
schenverstand und ohne ideologische Vorgaben zu
agieren. „NeueMobilität funktioniert nur, wenn die
Menschen davon profitieren.“ Dabei sei eswichtig,
die Kommunikation im Blick zu haben. „Weniger
Stellplätze funktionieren nur, wenn die Menschen
auchwirklichwissen, was es für alternativeMobili-
tätsformen gibt.“Nur dann könnten neueVorgaben
auch die gewünschte Wirkung entfalten.
Der Umgang
mit der Pkw-
Stellplatzpflicht
ist von Kommune
zu Kommune
unterschiedlich
Quelle: mgf eG
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