DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 1/2019 - page 54

MARKT UND MANAGEMENT
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weitert den Kreis der möglichen Käufer, indem es
den blöckeweisen Verkauf von über 15 Jahre alten
sog. Zwischenwohnungen an jede privatrechtliche
juristische Person gestattet, beispielsweise eine
Aktiengesellschaft.
Die Verpflichtung zum Verkauf einer bestimmten
Quote von Wohnungen pro Jahr wurde vorerst
zwar nicht beibehalten, zwischen den einzelnen
Akteuren und demStaat soll es jedoch zur Abspra-
che eines Verkaufs-„Ziels“ kommen. Damit be-
kennt sich Frankreich erstmalig offen zumVerkauf
seines Bestands an Sozialwohnungen.
Schließlich ist anzumerken, dass das neue Gesetz
die Verpflichtung der Städte, bis 2025 mindes-
tens 25% Sozialwohnungen anzubieten, durch
verschiedene Bestimmungen lockert und die
Gründung von Tochtergesellschaften zur Schaf-
fung von Zwischenwohnungen, deren Mieten
zwischen denen von Sozial- und frei finanzierten
Wohnungen liegen, zulässt.
Die ersten Auswirkungen
Es ist zu begrüßen, dass die durch diese Ent-
wicklungen ausgelöste öffentliche Debatte dazu
geführt hat, dass mehrere der Grundlagen des
französischen Modells des sozialen Wohnungs-
baus beibehalten wurden, insbesondere sein ge-
neralistischer Charakter, die Nachhaltigkeit seiner
Finanzierung durch die Ersparnisse der Bevölke-
rung und die Aufrechterhaltung der Kontrolle der
öffentlichen Hand über seine Tätigkeit.
Die neuen Haushalts- und Rechtsvorschriften
ändern jedoch das Gefüge der Akteure und die
Bedingungen für ihre Finanzierung erheblich. Zu-
dem erscheinen erste wirtschaftliche Prognosen
beunruhigend.
Bei den privaten sozialen Wohnungsbaugesell-
schaften dürfte die in Gang gesetzte Dynamik
dazu führen, dass sich ein Gefüge von 220 in ih-
rem Gebiet verwurzelten sozialen Unternehmen
zu einer Struktur aus wenigen großen nationalen
Akteuren wandelt, die vermutlich nach finanzi-
ellen Kriterien handeln werden. Die öffentlichen
sozialenWohnungsbaugesellschaftenwerden sich
dieser Entwicklung nicht entziehen können. Es
stellt sich nunmehr die Frage nach der Übertra-
gung der Kompetenzen in der Wohnungsbaupolitik
und der Erteilung der Baugenehmigungen auf die
Ebene der städtischen Ballungszentren oder Me-
tropolregionen anstelle der einzelnen Städte. Ein
zersplittertes Gefüge wird somit einer umwenige
große Gruppen konzentrierten Struktur weichen.
Darüber hinaus erfordern der Verzicht auf staat-
liche Zuschüsse und die Verringerung der Miet-
einnahmen infolge der Réduction de Loyer de So-
lidarité unter dem Vorwand des Schuldenabbaus
ein ebenso notwendiges wie nützliches Ziel, dass
die sozialen Wohnungsbaugesellschaften ihre Fi-
nanzierungsquellen diversifizieren. Es liegt nun an
ihnen, sich finanzielle Unabhängigkeit aufzubauen.
Schließlich sind die ersten Prognosen der Caisse
des Dépôts, der öffentlichen Finanzierungsinstitu-
tion für sozialenWohnungsbau, in ihrer aktuellen
jährlichen Studie über die langfristigen Perspek-
tiven der sozialen Wohnungsbaugesellschaften
eher alarmierend. Dort heißt es eindeutig, dass
„sich das Ergebnis der Vermietungstätigkeit in den
nächsten 20 Jahren durch denMieteinnahmever-
lust und die Fremdkapitalkosten stark verschlech-
ternwürde“. Darüber hinaus würde die Schaffung
von Wohnraum ab 2020 auf weniger als 100.000
Sozialwohnungen sinken, und zwischen 2027 und
2050 um die 63.000 Wohneinheiten betragen.
Das ist weit entfernt von den derzeit gebauten
durchschnittlich 130.000Wohneinheiten pro Jahr
und demvon der Regierung angestrebten Ziel von
150.000 neuen Wohneinheiten.
Fazit
Unternehmerisches Denken, finanzielle Autonomie
– in der Verwaltung zeichnet sich eine regelrechte
kulturelle Revolution ab. Neben der Schaffung von
Wohnraum ist dies auch den neuen Herausforde-
rungen geschuldet, denen sich die Akteure des so-
Auf neue Herausforderungen müssen sich
die französischen Wohnungsunternehmen
künftig vor allem im Bereich der
Finanzierung einstellen
zialenWohnungsbaus in Frankreich stellenmüssen.
In Abhängigkeit von den gewählten Lösungenwird
das französische Modell des sozialen Wohnungs-
baus daraus entweder gestärkt und leistungsfähi-
ger hervorgehen, insbesondere dank innovativer
Partnerschaften, die es ihm ermöglichen, seinen
öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen, oder der
sozialeWohnungsbauwird der strengen Finanzlo-
gik des Immobilienmarktes und den territorialen
Ambitionen zum Opfer fallen und bestenfalls nur
mehr für die Bedürftigsten da sein.
Die European Federation for Living startet
2019 zwei wissenschaftliche Projekte zur
Untersuchung von Vor- und Nachteilen der
Fusionierung sowie strategischen Allianzen
von Wohnungsunternehmen. Die Projekte
werden u. a. von der University of Cam-
bridge begleitet. Auch deutsche Unterneh-
men können teilnehmen.
FORSCHUNGSPROJEKTE
Weitere Informationen:
Neubau und Sanierung
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Rechtssprechung
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